The following text is not a historical study. It is a retelling of the witness’s life story based on the memories recorded in the interview. The story was processed by external collaborators of the Memory of Nations. In some cases, the short biography draws on documents made available by the Security Forces Archives, State District Archives, National Archives, or other institutions. These are used merely to complement the witness’s testimony. The referenced pages of such files are saved in the Documents section.
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Das Wichtigste ist, dass man miteinander redet.
Geboren 1932 in Baudach, Kreis Crossen
Februar 1945 flüchtet die Familie vor der Roten Armee nach Westen
Mai 1945 Rückkehr nach Baudach
Sommer 1945 Vertreibung, zunächst nach Berlin, dann nach Sachsen-Anhalt
1946 Beendigung der Volksschule und Beginn einer Ausbildung zum Mechaniker
1961 Übersiedlung nach Westdeutschland und Beginn eines Lehramtsstudiums
1994 Pensionierung
Seit 2002 zahlreiche Besuche in seiner alten Heimat
Transkription – Interview Willi Gerlach
Sequenz - Kindheit
DA: Genau, also, ich möchte mit einer sehr allgemeinen Frage anfangen, wo du dann einfach soviel erzählen kannst, wie du möchtest und ich werde dich erst mal eine Weile nicht unterbrechen., also, einfach, möchte ich dich bitten, mir deine Lebensgeschichte zu erzählen
WG: Mhm, gut, versuchen wirs doch mal, ne? Äh über Kindheit, Schulzeit…?
DA: alles, alles bis heute.
WG: alles, bis heute, mhm, mhm. Naja, werden wir ja hoffentlich fertig werden. Gut. Frage!
DA: Kannst du mir bitte deine Lebensgeschichte erzählen?
WG: Ich wills versuchen, ja. Mal gucken, nicht wahr, was ich dir alles verraten darf, denn, meine Frau hört ja hoffentlich nicht zu, nicht?
DA: Sie ist gerade nicht dabei.
WG: Tja, wie du weißt, hier ganz in der Nähe in einem Ort namens, Baudach, heute Budache…Budachow, bin ich geboren, 1932, habe dort meine Kindheit verbracht, bin dort zur Schule gegangen, in Bezug auf Schule sollte ich noch etwas sagen, ich bin länger zur Schule gegangen als im Normalfall üblich, oder verlangt, mein Bruder, der knapp 3 Jahre älter ist als ich, der ist 2 Jahre vor mir zur Schule gegangen, und der erzählte mir immer von seiner Schulzeit, von der Schule, ich war neugierig, bin da mitgegangen. Bin also vom 5. Lebensjahr zur Schule gegangen, bin mitgegangen, habe alles mitgemacht, äh, bloss, wenn Blödsinn gemacht wurde, ich wurde nicht zur Rechenschaft gezogen, und das war vermutlich der Punkt, als ich dann zur Schule gehen musste, da wollte ich nicht. Da habe ich mich irgendwo in der Ecke gesetzt und hab geheult „Ich gehe nicht“. Denn, äh, jetzt, äh, konnte mir ja das gleiche passieren, was den anderen passierte, den zur damaligen Zeit gab es noch den so genannten Rohrstock. Und, äh, den haben dann die Jungen von Fall zu Fall zu spüren bekommen ….
(Technische Probleme mit dem Aufnahmegerät, ein Teil fehlt)
Immer dann wenn äh, ein Zug mit Nachschubgütern für die Front kam, dann wurden wir irgendwo auf ein zweites Gleis abgeschoben, ein Abstellgleis im Bahnhof, mussten wir, ich glaub, regelmäßig hatten wir um halb vier zuhaus sein müssen, es kam dann vor, dass wir um sechs, halb sieben, sieben nach haus kamen, und äh, zu dieser Zeit, war ich natürlich, fünf, ich bin dann später mal gefragt worden, was ich gemacht habe, da habe ich gesagt, ich war ein eifriger Marschierer, ich gehörte ganz einfach dazu, und äh, Schüler, die mich dann eben, die dann sagten „ja, aber, sie hätten sich doch informieren können“, ich sag „wo mit, worin“, dann wurde gesagt „Ja, Fernsehen zum Beispiel“, und damit hatten wir ihre erste Hausaufgabe, sie sollten raus finden „Wann ist die erste Braunsche Röhre erfunden worden“, und, ähm, Fernsehen wie es heut üblich ist, kennen wir nicht, oder kannten wir nicht, wir konnten wohl weit gucken, wenn wir aufem Berg waren, aber ansonsten nix. (atmet) Naja, und mit dem Krieg hatten wir auch weiter nichts zu tun, wir hörten wohl hier und da „der ist gefallen, der kommt nicht wieder nach Hause“, aber... ansonsten.. nichts. Wir hatten hier unsere Spielorte, die ich ja auch näher beschrieben habe, wir hatten, äh, unseren Mühlberg, wir hatten Sparrmanns Bergchen, natürlich alles Spezialnamen für unseren Heimatort, äh, gestern wurde hier festgestellt, „was heißt „unterm Gay“, ja, unterm Gay, ich kann es nicht erklären, ob das nun aus dem Altgermanischen kommt, aus der deutschen Sprache oder ob das aus dem slawischen kommt, und, äh, es wurde mir gestern gesagt, gay heißt soviel wie „kleines Wäldchen“, aber durch die Gay-Brücke werdet ihr heute nicht fahren, sondern durch die so genannte Stiernerbrücke, (räusper), wir sind dort Schlitten gefahren, wir haben Fußball gespielt und so weiter, wie es eben bei Kindern üblich ist, es wurden, Fensterscheiben gingen zu Bruch, und äh (räusper), es wurde anderer Blödsinn gemacht, (räusper), Tschuldigung (räusper; trinkt), naja, und, äh, dann kam der Gendarm, der Polizist, da hat man dann natürlich immer ein schlechtes Gewissen, dann ist man schnell über die, „was hast du denn heut wieder angestellt“, und das interessante ist, im vorigen Jahr habe ich hier mit polnischen Frauen gesprochen, der Elterngeneration der heutigen Kindergeneration, die aber schon hier in meinem Heimatort aufgewachsen sind, und da stellte sich heraus, dass die den gleichen Spielort praktisch gewählt haben, den wir ja auch hatten, und da kam unheimlich viel Freude auf, da wurde gelacht, da wurde gescherzt, da wurde Blödsinn gemacht, und äh, es war schön, dass man eben am Tisch saß, Deutsche, Polen und äh, sich nicht gegenseitig angiftete, sondern eben miteinander Spaß und Freude hatte.
Sequenz - Kriegserlebnisse
Hier, die Beata war ja auch dabei, ja, und dann aber im Januar 1945, das heißt schon Ende der, des Jahres 1944, änderte sich die ganze Chose so ein bisschen. In Reppen, der Zug der nach Hause, mit dem wir nach Hause fahren, hatte Verspätung, wir standen auf dem anderen Bahnsteig, der aus, da fuhr der Zug ein von Posen, kommend, und, es kamen immer mehr Lazarettzüge, und in diesen Lazarettzug sahen wir.. viele Verwundete. Früher war es so, dass äh, dass man in die Züge nicht hinein gucken konnte, jetzt waren auch die Vorplätze belegt, mit Verwundeten belegt, man sah plötzlich blutige Verbände, was früher überhaupt nicht der Fall war, jetzt kamen Fragen auf, die aber eigentlich keine Antworten fanden, und dann passierte es im Januar 45, wir waren mit Freunden zusammen und fuhren Schlitten und plötzlich hörten wir einen gewaltigen Donner.. (Pause) Schweigen. Dann sagte einer: „Das ist Kanonendonner“, „Ne, Kanonendonner, unmöglich“. Keiner hat daran geglaubt. Und, äh, wir sind dann, äh, haben weiter gemacht, es grummelte in der Ferne, aber, wir haben nicht mehr groß drauf geachtet. Am nächsten Tag, oder ein (Pause) ein, zwei, drei Tage danach, kamen die ersten Trans…., Trecks hier in unser Dorf, ich erinnere mich noch ziemlich gut daran, die fuhren bei uns hier, auf einen, auf den Hof eines, einer Landwirtschaft und, äh, es war ja nun Winter, eine Frau gab mir ihr Kind, in einem Bündel, Bündel vom Wagen herunter, machte so, ich sollte leise sein, ich war ganz leise, ich wunderte mich, dass da dieser kleine Körper da irgendwie für mich eigenartig war, und ich stellte fest: das Kind war tot. (pause) das hatte sie überhaupt noch nicht gemerkt. Naja, das gab dann nachher natürlich ein großes Geschrei, die Mutter war… fertig, hier und da hörten wir dann sie wären von Panzern überrannt, überrollt worden, soundsoviele wären nicht durchgekommen, auch, von diesen Wagen, die hier bei uns im Dorf erschienen waren einige beschädigt, wir hörten erstmals davon, dass eben äh, Zivilisten erschossen worden waren, wir hörten, dass Frauen besondere Erlebnisse hatten, aber… die nächsten Tage verliefen wieder ruhig. Bis dann eines Morgens, das muss der erste Februar gewesen sein (Pause) es versammelten sich einige Männer an Kiebels Ecke, Kiebel war nen Kaufmann bei uns, und ähm, da standen damals der Lehrer, der Postangestellte und noch,… ein oder zwei Männer, ein junger Mann war dabei, der sonst bei der SS war, und äh, denn man muss wissen, die letzten Jugendlichen, die zur eingezogen wurden, die wurden überwiegend zur SS eingezogen, ob sie wollten oder nicht. Und der war fahnenflüchtig geworden, der hatte, der Vater hatte den zuhause versteckt. Jedenfalls mein Bruder und ich wir stellen uns dazu, und da hörten wir dann plötzlich, ja, es wären russische Spähwagen durchs Dorf gefahren, (unverständlich) russische Vorposten. Wir konnten nicht so richtig dran glauben. Aber, wir gingen dann weg, und am nächsten Tag (pause) kam ein mächtiges Gerassel auf und es dauerte nicht lange, es war so gegen Mittag, da standen die ersten Panzer vor unserer Tür…. Die ersten, die bei uns in die Wohnungen kamen, die waren, verhalten sich… ziemlich…. menschlich. Es gab kaum Probleme, bis auf, äh, die nachkommenden Truppenverbände, da ging es dann schon ein bisschen anders zu, ich mein, dann wenn mal ein Flugzeug rüber, rüber kam, stürzten sich die Soldaten von ihren Wagen runter, in die Häuser rein, es fielen Schüsse, man hörte das Schreien der Frauen (Pause) und, äh, mhm, es war glaube ich die erste… Nacht, da hörte ich dann plötzlich ein, ein, ein…. Knallen… guckte zum Fenster raus, da brannte schräg gegenüber das erste Haus. Am nächsten Tag, in der nächsten, am nächsten Abend war unser Nachbarhaus dran, Kiebels Ecke. Unsere Oma, meine Großmutter, die-die rief „Jungs, holt mal ganz schnell die Handwagen aus der Scheune“. Meine, mein Bruder und ich wir eilten hinüber in die Scheune und holten, und wollten die Handwagen raus holen, aber als wir aus unserer…. Scheuentür raus kamen, haben die Russen Scheibenschießen auf uns gemacht. Die fuhren vorbei, ob sie nun gezielt geschossen haben oder nicht gezielt, das-das kann ich nicht sagen. Aber wir hatten natürlich Angst. Wir habens dann doch irgendwie geschafft, dass wir mit unseren Handwagen rüber kamen ins Haus (Pause) und diese Nacht war schlimm. Meine Großmütter, Mutter von Vater, Mutter von… meiner… Mutter, und meine Mutter, wurden (Pause) geholt, sie sollten zum Kochen. Aber vorher noch… wir standen bei uns in der Küche, und äh der eine Soldat wollte meine Mutter anfassen, da sprang mein Bruder hinzu (Pause) und äh, der Russe verstand das natürlich richtig, als Drohung, Bedrohung, ein Russe nahm die Maschinenpistole und wollte meinen Bruder rausdrängen, da warf sich meine Mutter dazwischen „Nehmt mich, nehmt mich“. Naja, und da wurden die Frauen von uns getrennt, und sie kamen erst irgendwann mitten in der Nacht nach, wieder zu uns. Zu uns, das waren mein Großvater, mein Bruder und ich. In dieser Nacht haben wir… nicht geschlafen, was selbstverständlich ist, und diese Russen… das muss ich nachtragen, die verlangten nach etwas ganz Bestimmten, wir verstanden sie aber nicht. Und dann gingen sie durch die… Räume und fanden dann… Sauerkraut. Eingelegtes Sauerkraut. Und äh, sie wurden nun wütend, denn sie nahmen an, wir hätten, wir wollten das verstecken, wir wollten ihnen das nicht geben. Aber (räusper) dann eben eskalierte diese ganze Chose und in der Nacht waren unsere, die Frauen eben von uns getrennt. Am nächsten Tag entschlossen wir uns von unserer, aus unserer Wohnung in die Wohnung des, der Großeltern, die in der Nähe des Bahnhofs lag, umzuziehen. Und, äh, Nachbarn, die Nachbarn, die hatten zwei Mädchen, die damals 14 und, 15, 16 Jahre alt waren, und äh, die Nachbarin, die bat uns, dass wir die jüngere Tochter mitnahmen, denn die hatten auch schon schlechte Erfahrungen gemacht, in dieser bestimmten Nacht. Und wir zogen zum Bahnhof um. Wir gingen getrennt und trafen uns in der Wohnung von meinen Großeltern wieder. Hier war Ruhe. Wir eilten zwei Stunden. Plötzlich standen die deutschen Kriegsgefangenen vor der Tür. (Pause) Und, äh, die wurden dann… in ein nahe gelegenes Lagerhaus, das zu dem, ähm, das dem Besitzer der Wohnung gehörte, die ind er meine Großeltern wohnten. Das waren Obsthändler oder, ja Obsthändler, und äh, meine Mutter und die beiden Großmütter, die wurden dann wieder zum Kochen geholt und zwei oder drei gefangene Soldaten, die kamen hinzu und schälten Kartoffeln. Die Russen achteten darauf, dass äh… meine, die Frauen mit den Gefangenen nicht ins Gespräch kamen, aber der eine oder andere hat dann doch mal was anderes zu tun, er musste gucken ob er eventuell im Nachbarzimmer was brauchbares fand, was er sich dann aneignetete, aber äh, die Gefangenen machten sich, sagten dann zu den Frauen „Ja, morgen sind wir wieder hier“,… „und übermorgen wieder… aber wir werden immer weniger“. Die wurden praktisch in einem Tagesmarsch, in einem, umher getrieben und fanden sich wieder bei uns in Baudach am Bahnhof. Aber es waren weniger. Die Schwachen lagen dann im Straßengraben. Ich habe später (Pause) ähm, nach dem 10. Februar, äh, viele, viele Tote in einem Straßengraben gesehen, wo ich aber gleich noch zu sprechen kommen werde und ähm, viel viel später… erst, äh, Jahrzehnte später, als ich mich damit beschäftige, und jetzt hier, für meinen Heimatkreis arbeitete, da kamen dann… der Gedanke und ich habe, dass das beabsichtigte Kreise waren, ich habs dann äh als „Todeskreis“ bezeichnet, jetzt wurde auf diese Art und Weise selektiert, und ähm, der abendliche Ort, wo man sich dann immer wieder zum Schlafen traf, war immer an einem Bahnhof, und äh, die Schwachen, die blieben eben zurück, und die Starken, die wurden eben nach Russland transportiert. Und, äh, das ist nun die Vermutung von mir, entstanden eben aus der Kindheit und nachvollzogen später im fortgeschrittenen Alter.
Sequenz - Flucht
Wir wurden dann am 10. Februar aufgefordert unsere Wohnung zu verlassen, wir sollten uns alle Ausgang des Dorfes… gen Norden sammeln. Jeder kam mit dem was er hatte, wir hatten ja nun unseren Handwagen. Parallel zu uns liefen deutsche Gefangenen, in dreier oder vierer Reihen, wir waren am Dorfrand angekommen, da wurden diese Gefangenen auf den, auf ein freies Feld getrieben und es dauerte nicht lange, es knatterten Schüsse. Die Gefangenen wurden dort… erschossen. Viel, viel später sagte eine Frau, …. die aus einem Nachbarort kommt, hier aus Mesow, „Ja, Baudach ist uns… habe ich in ganz schlechter Erinnerung. Da haben Leichenberge gelegen von erschossenen Soldaten“ (Pause) Wir (Räusper)… unser Treck ging dann weiter bis nach Dobersaul,… am Rande von Dobersaul wurde unserer Bürgermeister erschossen. Unterwegs trafen wir junge deutsche Soldaten. Zum Teil waren es Flaghelfer, die damals mit fünfzehn, sechzehn, siebzehn Jahren, eingezogen worden waren, wir gaben ihnen soweit wir konnten etwas Nahrung, wir gaben ihnen, soweit wir hatten, Kleidung… ob die den nächsten Tag überlebt haben, das bezweifle ich sehr. Wir zogen weiter, kamen dann in einen Ort namens Topper. Hier wurden am Abend junge Mädchen (Pause) äh, von uns weggeholt. Die kamen uns dann am nächsten Tag entgegen. Keiner fragte. Wir sprachen nicht mehr darüber, Kopf runter und weiter. Kamen nach Lago, in Lago hatte ich… eigentlich meine schlimmste Erinn-, Erfahrung, als damals noch nicht 13-Jähriger. Auch bei den Massenerschießungen hier am Dorfrand, standen wir dabei. Davon träume ich heute noch. In Lago erf-, erlebte ich, dass ein Russe ein kleines Kind an die Beine packte und gegen die Wand schlug, weil die Mutter nicht so wollte, wie er wollte,… ich ergriff die Flucht, später, viel viel später,… im Laufe des letzten Jahrzehnts sagte eine Nachbarin zu mir „Ja, aber du hast doch geholfen“. Die wusste nicht… wie die Zeit damals war. Denn äh, hätte ich versucht zu helfen, dann hätte ich… dann würde ich hier nicht mehr… sitzen. Nen paar Tage in Lago, nachdem wir uns…. Äh, ja, doch in Lago gab es noch ein ganz bestimmtes… Erlebnis. Die Männer, wir waren erst mal mit 24 Leutchen in einem Raum, der nicht größer war als… ein normales Schlafzimmer, von vier mal vier Metern, mit 24 Personen… die Männer, die wurden… abgeholt, die wurden, die gingen zum Bahnhof, die mussten Getreide ausladen, beziehungsweise verladen. Am Abend, wenn sie nach Hause kamen, hatten sie die Taschen voller Getreide. Wir haben, wir Jungens, wir haben dann… Kaffeemühlen gesammelt und dann hatten wir eine Beschäftigung tagsüber, wir haben die Getreidekörner durch die Kaffeemühle gemahlen. Und eines Tages war es soweit, das erste Brot war da. Denn wir haben ja solange eigentlich nur aus dem, von dem gelebt, was wir aus den Kellern holten, aus Kellern (nuschel) zerstörter Häuser, war nicht immer ganz ungefährlich. Und, äh… jetzt war das erste Brot da, eine Scheibe… Brot. Das schmeckte wie der, wie das schönste Torte. Ein paar Tage später ging es weiter, und… ich erwähnte vorhin schon, dass ich etwas später die gleiche Erfahrung machte, dass viele, viele Leichen (Pause) Soldaten, mit… eingeschlagenem Schädel (Pause) mit Genickschuss im Straßengraben lagen. Zwischendurch auch Frauen, Zivilisten,… und es ging weiter in einen Ort namens Wutschdorf. Dieser Ort liegt im Kreis Süchau-Schwüritz. Mein Bruder, ich sagte schon, der drei Jahre älter ist, der war damals ja 15 Jahre (Pause) und äh, der war, wurde mehrfach von den Russen abgeholt, der hatte aber immer wieder Glück, dass er entweder entlassen wurde, oder einmal, aber das passierte jetzt hier in Wutschdorf,… da war er bis zur polnischen Grenze mit einem Viehtrieb unterwegs und gegen Abend, ist er gemeinsam mit einem… Jüngeren... geflüchtet. Er konnte sich durchschlagen, und er lebt heute als 82-Jähriger auch in Westdeutschland.
In Wutschdorf war eine verhältnismäßig ruhige Zeit. (Pause) Ähm,… in der Nacht schrieen Frauen, da gab es noch ein bestimmtes Erlebnis, vor ein paar Jahren war ich mit meiner Frau, mit meiner Tochter in… diesem Ort. Und, ein… Freund, der andere Erlebnisse hatte, der damals beim so genannten HJ-Volkssturm war und der zur damaligen Zeit, als wir, (räusper), nach, Ende Februar in Wutschdorf ankamen, der war er schon Richtung Russland unterwegs. Er kam in der Nähe von Halbe in russische Kriegsgefangenschaft, der erzählte seine Erlebnisse, ich erzählte unsere Erlebnisse, die wir hier hatten, und ähm, ich machte auf das Nachbarhaus aufmerksam, da war unserer Gastwirt drin, auch wieder mit anderen Leutchen aus unserem Dorf, die lagen auch mit… sehr vielen in einem Raum, und in der Nacht versuchte ein Russe ein Fenster auszuhebeln und wollte in das Zimmer rein, dann nahm unser Gastwirt dieses Fenster und hats dem Russen über den Kopf geschlagen. Der war plötzlich eingerahmt, wie in einem Bilderrahmen… und… flüchtete. Denn zur damaligen Zeit hatten wir hier in diesem Ort einen sehr guten Kommandanten, einen Russen, da konnte passieren, wenn er schreie hörte, dass er zur Hilfe kam. Und vielleicht muss ich noch mal zurückgehen nach Lago. Hier hatten wir Unterstützung durch einen kleinen, einen jungen russischen Offizier. Der kam zu uns, sah bei uns einen kleinen Jungen, von damals drei, vier Jahren, er ist leider nicht viel älter geworden, der ist wenig später an Diphtherie verstorben. Und das war sein Sohn. Er zeigte uns Bilder von seinem Sohn, den er nie gesehen hatte… und äh, er brachte dem Jungen… jeden Tag Milch, Graupen oder irgendetwas zu essen, aber er sollte nicht, der Kleine sollte nicht zu ihm, sollte nicht zu Alexander kommen. Alexander war Leiter einer Wache, die in der Nähe lag, wir konnten hingucken. Und eines Tages kamen zu uns Mongolen rein, fanden bei uns eine Uhr, bei einem älteren Herrn, die Uhr hatte eine Besonderheit, war Museumsstück, die konnte man mit einem Schlüssel aufziehen, der Schlüssel war aber weg. Jetzt sagten diese… Soldaten „In zwei Stunden, oder alle Bumm, wir werden euch alle erschießen“. Jedenfalls, wir konnten, die Soldaten saßen vor dem Fenster, hatten ihre Flasche dabei, tranken Wodka, waren vorher schon angetrunken, keiner konnte vorne zum Fenster raus, aber seitig war ein kleines Fenster, aber selbst ein 6-Jähriger ging nicht durch, aber Jürgen ging durch. Den haben wir durchgeschoben, „zu Alexander gehen“, der kleine trippelte bei uns vorbei am Fenster, „zu Alexander“. Der Alexander sah ihn kommen, machte die Tür auf, nahm den Kleinen in Empfang, „aber du sollst doch nicht“, „Alexander, komm“. Alexander guckte zu uns runter, sah die zwei Russen dort, rief seine Wache, die griffen nach ihren Maschinenpistolen und kamen zu uns. Die Russen, die, die bei uns, vor der Tür saßen wollten flüchten. Nein, die Wache hat in die Luft geschossen, Alexander kam zu uns rein, fragte, was war los, wir erzählten ihm das. Er nahm die zwei, führte sie um die Ecke und erschoss sie. Das ist auch vorgekommen, ja. So, zurück nach Wutschdorf. Ne ziemlich ruhige Zeit. Wir mussten dann allerdings dann jeden Morgen, es war ja nun schon April, raus, so wie es hell wurde, kamen die Russen, kamen Soldaten, holten uns ab, wir bekamen einen Spaten in die Hand gedrückt, mussten die Felder umgraben. Es ging jetzt hier nicht darum, dass die Felder, äh, für eine äh, Ernte oder für eine äh, für eine… vorgesehen werden, äh würden, werden sollten, für, äh Kartoffeln, Kartoffeln- oder Getreideaussaat, es ging darum, wir konnten hier schneller, äh oder besser bewacht werden. An allen, an bestimmten Punkten saßen Posten, die hatten Langeweile, die schossen in die Luft, machten Blödsinn, und wir haben gegraben, aber wir haben dann nicht mehr gegraben, wir haben die Erde praktisch nur noch ganz flach angestochen, umgeworfen, es sah schwarz aus. Ja. Dann und wann musste, durfte mein Bruder und ich mit unserem Opa, Großvater, mit unserem Opa, äh, der als… in einer Landwirtschaft geboren… wurde… (Pause) äh, und dem man ein paar Pferde in die Hand gedrückt hatte, der musste dann Feld umpflügen, hier ging es wirklich darum, das Feld vorzubereiten für spätere Aussaat, da durften wir die Pferde führen. Wachposten waren hier zwei ältere Russen und der eine war schon früher, im Ersten Weltkrieg dabei, war in Deutschland in Kriegsgefangenschaft, sprach noch ein wenig Deutsch, und der war, der sagte immer „Ja, ich war in Frankfurt am Main, mir ging es gut“ ähnliches hat er an uns weiter gegeben. Abends sind mein Bruder und mich dann mit den Pferden in die, ins Dorf geritten, und äh, das waren kleine Panchegaule, und äh, naja, so ging es denn dann in Wutschdorf weiter und eines Tages, ne wüste Knallerei vor den Fenster… „Wojna kaput“. Der Krieg war zu Ende. Und ob es uns nun danach besser ging oder schlechter, das weiß ich nicht mehr. Aber in dieser Zeit hier in Wutschdorf, da feierte ich damals meinen 13. Geburtstag (räusper), es gab Kuchen… Kuchen, das war praktisch, gekochte Kartoffeln, die gequetscht wurden, nen bisschen Mehl dazu, und das wurde dann irgendwo ein bisschen gebacken, kam dann Zuckerrübensirup dazu, und äh, ansonsten hatten wir nichts. Aber vielleicht noch hier etwas ganz Besonderes. Wir hatten zur damaligen Zeit alle Untermieter. In unserer Kleidung. Ich erinnere mich heute noch sehr gut daran, wir haben diese Untermieter vernichtet… ich glaube der Rekord war 38, wir saßen auf der Türschwelle, es war ein Junge namens Dieter, der ganz in der Nähe von meinem Elternhaus wohnte, er war Sohn des damaligen Bäckers in unserem Dorf, er war damals 6, 7, 8 Jahre alt und ich, wir machten hier unsere Läuse kaputt. Weiß heute nicht, wo der Junge wohnt, der damalige Junge, und äh, naja, so verbrachten wir unsere Tage, wir bekamen dann einen ziemlich schlimmen Ausschlag, dagegen half eine junge russische Ärztin, Militärärztin, und dann irgendwann,… Mitte Mai, hieß es „heimwärts“.
Sequenz - Heimweg und letzte Tage in Baudach
Unser Handwagen wurde wieder beladen und wir zottelten ab. In einem Dorf namens Kunersdorf, sahen die, dass der Wald vor uns brannte, aber wir mussten von Kunersdorf nach Dobersaul, seit 1937 hieß dieser Ort Schönerode, durch den Wald, der aber nun jetzt vor uns brannte. Die meisten Familien, die tendierten dahin, dass sie zurück bleiben, noch nicht durch, äh durch den Wald gehen, doch meine… unsere Mannschaft, Großvater, Groß-, zwei Großmütter, meine Mutter, mein Bruder und ich, und noch zwei, drei andere Familien, wir machten uns auf und… hinein in den Wald, war ja runter gebrannt. So glaubten wir. Mitten drin im Wald kam das Feuer wieder. War wie ein D-Zug, so hörte sich das Ganze an. Wir unsere Großmutter auf den Wagen und dann ab. Ne Nachbarfamilie namens Wieke, der Mann der war aus dem Ersten Weltkrieg nach Hause gekommen, dem fehlte ein Arm und ein Bein,… der wurde auch auf seinen Wagen geladen und immer mit, immer mit, immer durch. Meine Mutter lief barfuss, sie hat die Schmerzen nicht gemerkt, nicht gespürt, und dann irgendwann kamen wir an eine… Lichtung, wir sahen einen… Hirsch stehen, mitten drin, mitten auf der Lichtung, der guckte zu uns runter, dachte wohl auch „na, denen jetzt wohl genauso wie mir, die müssen rennen“. Als wir dann ein Stück weiter waren kam ein kleiner Bach und wir haben getrunken, wie eben der Hirsch trinken würde, runter mit den Mündern, runter, also runter auf die Knie und getrunken. Aufblickend sahen wir dann ein totes Pferd im Bach liegen, aber Gott sei Dank bachabwärts. Dann noch einige Kilometer dann waren wir in Dobersaul angekommen. Hier haben wir dann Quartier bezogen… und wurden untergebracht in einem Saal der Gastwirtschaft, in einer Gastwirtschaft. Und einige Stunden später kamen dann die Zurückgebliebenen, die dachten natürlich wir wären schon längst verkohlt. Am nächsten Tag ging es dann heimwärts in unseren Ort (Pause) und ähm, wir fanden vor, dass unser Haus besetzt war, da war die russische Kommandantur drin. (Pause) Wir wurden gegenüber in einem, einem anderen Haus untergebracht, deren Besitzer geflohen waren und ähm, haben dann hier die nächsten Tage verbracht, bis wir dann… och, das kann Anfang (zögern) Juni gewesen sein, Ende Mai, Anfang Juni, konnten wir in unser Haus dann wieder hinein. Wir haben uns eingerichtet, so gut es konnte, alles was uns fehlte, haben wir aus anderen Häusern geholt, deren Besitzer geflohen waren. Viel, viel später sind wir dann einmal deswegen angesprochen worden „Ihr habt uns beraubt“. (Pause) Und, ähm, aber wir haben kein… (Pause) zur damaligen Zeit als es, als wir das machten haben wir nicht daran gedacht. Wir haben ja hier alle nur… wir haben ja hier alle nur von einem Tag zum anderen gedacht. (Pause) Ich, äh (Pause) habe dann beim Bürgermeister als Laufjunge gearbeitet. Der Bürgermeister war sehr, sehr…. nett zu uns. Der hat… auch wieder davon gesprochen, er wäre in deutscher Kriegsgefangenschaft gewesen, und er hätte am Fließband gearbeitet, und ähm, am Abend, nur am Abend, gabs einen Unterschied zwischen den deutschen Fließbandarbeitern und ihm. Die Deutschen gingen nach Hause, zu den Familien, und er ging ins Lager. (Pause) Äh… einige Zeit später, ich hatte mich übrigens in dieser Zeit angefreundet mit dem Bürgermeistersohn, Woyczechowski, Edmund Woyczechowski, und einige Zeit später, hieß es dann, wir müssten, sollten unser Dorf verlassen.
Sequenz – Vertreibung
Wir versammelten uns wieder mit unseren Handwagen und wurden aus dem Dorf getrieben. … Ein, äh, Pole… später wurde mir gesagt, vom Edmund Woyczechowski gesagt, es wäre ein Überlebender von Auschwitz... aber mit Auschwitz konnte ich zur damaligen Zeit nichts anfangen, das wussten wir nicht, wir glaubten ja da-damals ja fast noch bis an den Endsieg, an deutsche Wunderwaffen, alles was da so kam… und ähm… (Pause) wir… (Pause) zogen dann gen Norden, wollten eigentlich gen Süden… und, äh… sind dann mit unseren Handwagen bis vor, kurz vor Crossen gekommen, gar nicht weit von diesem Ort hier entfernt und sind dann kurz vor Crossen mussten wir umkehren, weil ihnen einfiel, dass ja die Brücke zerstört war und dann ging es an einem der nächsten Tage nach Frankfurt an der Oder, dort über die Oder, und äh, dann waren wir wieder in Deutschland. Denn man hatte uns gesagt, zur damaligen Zeit „das hier wird Polen werden“, was wir nicht geglaubt haben… viel, viel später einmal habe ich dann gesagt… „ich habe zur damaligen Zeit alles gehasst, was Russisch oder Polnisch sprach.“ Dann während einer langen Krankheit, im Jahre 1953… habe ich an der Person von Josef Woyczechowski und seinem Sohn Edmund Woyczechowski, habe ich meine damalige Haltung korrigiert. Ich hab gesagt „ok, es gibt auf beiden Seiten sohne und solche“.... (Pause) und äh… dann habe ich weiter gesprochen und heut habe ich meine besten Freunde in Polen. Und damit sollten wir erst mal Schluss machen.
DA: Ja?
WG: Es gibt sicherlich noch nen paar andere Sachen, die mir zwischendurch einfallen, aber…
DA: Aber was ist denn nach 45 noch passiert?
WG: Ach so, nach 45 auch noch…
DA: Ja, bis 2011.
WG: Oh scheiße. Kannste raus schneiden, ne?
Tja, äh, oh, von Frankfurt an der Oder sind wir dann ein paar Tage später Richtung Berlin gezogen, denn in Berlin hatten wir die einzigen, äh, Verwandten, die westlich der Oder wohnten, und äh… ich kenne das… noch rauchende, die noch rauchenden Trümmer von Berlin… ich erinnre mich noch sehr gut daran, dass eine Frau uns entgegen kamen, oder, dass wir einer Frau begegneten, die äh, ihrem Mann Kaffee bringen wollte und als sie uns sah, wurde dieser Kaffee an uns weiter gereicht, an uns ausgeschenkt, wir wohnten dann ein paar Wochen in äh in Berliner, in Berlin. Ich ging dort wieder zur Schule, bis Mitte Julei 1945, wurden wir dann wegen der Verpflegungslage von Berlin ausgewiesen. Ich kam nach Sachsen-Anhalt, meine Mutter suchte dann eine Bleibe, was ja gar nicht so einfach war, denn westlich der Oder hieß es ganz einfach „Die Polaken kommen“, die Fenster gingen zu… (Pause) und äh, man nahm uns nicht auf. Wir durften eventuell in der Scheune schlafen, im Stall schlafen, obwohl viel, äh, oft das Haus leer stand.
Sequenz – Nachkriegszeit bis heute
In Sachsen-Anhalt habe ich dann meine Schule abgeschlossen, keinen besonderen Abschluss, sondern einfach Volksschule, 8. Klasse, und ähm…
(Störung durch den Sohn von Beata Halicka, kurzes Gespräch mit ihm)
Das ist der jüngste von ihr… der ist übrigens in Vechta geboren
DA: Ah ok, waren die in Vechta damals?
WG: Die Beata ja, ich glaube zwei Jahre. (Räusper) Eine höhere Schule wäre in Barbi gewesen, doch dazwischen lag… eine Brücke und die war kaputt, die lag in der Elbe. Ein paar Kilometer weiter elbaufwärts war eine Fähre gewesen, aber das war zur damaligen Zeit noch zu gefährlich. Also bin ich in der Volksschule entlassen worden. 1946 Weihnachten kam mein Vater aus englischer Gefangenschaft. Er nahm Kontakt zu einem Kameraden in Treuenbriezen auf,… und im Julei (zögern) 1947 ist die ganze Familie nach Treuenbriezen umgezogen. Aber hier war es dann auch wieder, die Wohnung, die uns eigentlich zugesagt war, die war wohl nur kurzfristig leer, dann kam wieder eine… eine russische, ähm… Funkstelle dort hinein, dann wurden wir untergebracht irgendwo in der Stadt und man gab sich keine große Mühe, denn wir waren ja eben die Polaken, aber hier in Treuenbriezen habe ich dann bis 1969 gelebt, ich habe hier eine Lehre angetreten als Mechaniker, vorher wurden wir, wurde ich, wurden mein Bruder und ich zwangsverpflichtet in ein Sägewerk und ich durfte dort mit 15 Jahren, die ich ja inzwischen geworden war, schwere Schwellen schleppen…. Und ähm, dann die Lehre, ersten Freundinnen, dann neunzehnthundertund… ach so, 1947 geheiratet, 57 pardon, 57 geheiratet, 1958 ist unsere Tochter geboren, dann im Jahre 1953, wieder zurück blickend bitte, ähm, wurde ich CBS-krank mit einer Lebenserwartung von noch 10 Jahren. Ähm, ich habe dann in dieser Zeit eben meine Einstellung den Polen gegenüber korrigiert, das war meine schwere Erkrankung, und im Jahre neunzehnhundert-, ach ja im Anschluss an meine Erkrankung konnte ich nicht mehr in der Industrie arbeiten, es wurde mir aber auch so nichts mehr anderes nachgewiesen, ich wollte hier dann später mein Abitur nachholen über die so genannte Arbeiter- und Bauernfakultät…. Aber meine gesellschaftliche Tätigkeit war gleich null, ich wurde abgewiesen. Man wollte mich zur Armee haben, das wollte ich wieder nicht und äh, über Freunde bin ich dann, mit ähm, würde ich angestellt in der Abteilung Volksbildung, seit 1956 dann dort als Lehrer gearbeitet, für den Bereich Technik, habe aber fast alle anderen Fächer auch unterrichtet, hatte meine Probleme aufgrund meiner gesellschaftlichen Einstellung. Ich äh, mhm, hatte aber ganz spezielle Freunde, also wirklich echte Freunde, neben den so genannten Freunden, und davon war ein Freund, der zwar auch ein Parteigenosse war, der damaligen SED, der in dieser… Pa… auch in der, auch als Parteisekretär arbeitete, der kam zu mir und sagte „Willi, wenn du dich verändert möchtest, dann mache das bis Mitte 1961“. Und als ich in fragte „was passiert, was ist, was ist da so wichtig“, da sagte er „ja, es passiert etwas, aber was“. Ja, und 61 kam ja dann die Mauer… aber wir waren schon im Westen. Leider ist dieser Freund verstorben, aber ich habe Kontakt zu seinen Kindern und die werde ich in den nächsten Tagen besuchen. Ja, äh… (Pause) Seit,… jetzt muss ich ein wenig überlegen, denn jetzt geht es ein bisschen durcheinander, in Westdeutschland habe ich dann noch einmal studiert, habe hier meine Lehrerprüfung gemacht, war dann in einer Hauptschule tätig… überwiegend auch für den technischen Bereich, aber auch Erdkunde, Geschichte und einiges andere, seit (zögernd) 1994 bin ich Pensionär und seit 2002 etwa, oder im Jahre 2002 habe ich dann meine erste Fotoreise gemacht um Bilder in der alten Heimat zu machen. 2004 lernte ich Beata Halicka kennen, die ja ihr Buch schreiben wollte und als ich das Material bekam, zu sehen bekam, was ihr zur Verfügung stand, da hatte ich… bekam ich Angst, denn damit konnte man nicht schreiben. Aber ich konnte dann aufgrund meiner, meines, meiner Bibliothek, oder des Materials was mir schon zur Verfügung stand ihr Material deutlich aufbessern, so dass sie nicht mit einer Chronik dieses Buch in Angriff nahm, sondern mit drei oder vier Chroniken. Und ich hab sie seitdem immer mit Material versorgt und seitdem treffen wir uns jährlich ein, zwei Mal und somit auch heute hier zum Piroggenfest, nach Baudach, mein Heimatort, naja, und… so sind wir heut hier zusammen gekommen. (Pause) Es sind bestimmt viele Lücken, aber dann hätt ich mich vorbereiten müssen.
Sequenz – Vertreibung
DA: Darf ich noch ein paar Dinge nachfragen?
WG: Du darfst.
DA: Wie geht’s mit dem Hals?
WG: Er ist schlimm.
DA: Ok, also sag Bescheid wenns nicht geht.
WG: Jaja, jaja.
DA: Und zwar interessiert mich noch, wie das dann im Mai beziehungsweise Juni 45 genauer gelaufen ist, konntet ihr euch entscheiden wohin ihr hin...?
WG: Nein. Doch. Wir konnten, wir sahen... wir haben uns gewehrt. Wir sollten eigentlich im Bereich von Frankfurt an der Oder, ich glaube Müllrose war damals im Gespräch, sollten wir eingewiesen werden, aber wir haben damals noch nicht gesehen, dass es da irgendwo etwas Organisiertes gab. Die Frauen, unsere Mütter, die gingen damals, fragten natürlich sofort „wo kriegen wir was zu Essen?“. Ja, dann wurde da ne Stelle gesagt und da gingen se nun hin und dann wollte man Geld haben... und da haben wir gefragt „Geld, was ist das?“. Denn wir haben ja jetzt in der ganzen Zeit nur davon gelebt, was wir irgendwo fanden (Pause) Ja, wir sind, wir Kinder sind in die Ruinen rein gegangen, wir sind in die verlassenen Häuser rein gegangen, haben gesucht und so weiter, und das war, was wir gefunden haben, haben wir geteilt, aufgeteilt, das war unser, und da brauchten wir nicht bezahlen. Hätten wir als das Geld mitgenommen, was wir auf der Straße liegen sahen, ich erinnere mich noch grad in Lago, da bin ich in eine Wohnung rein gekommen, da lag... Schmuck. Nicht so öffentlich, aber man, wir suchten ja als Kinder. Da hatte ich so ne Schatulle plötzlich, die war mit viel viel Schmuck. Und ich kann mir denken, so wie das ganze Haus aussah, das war echter Schmuck. Ja? Und dann, äh, ein paar Tage später haben wir gesagt „Ok, wir gehen nach Berlin“. (räuser) aber hier hatte ich noch eine bestimmte Begegnung mit einer Klassenkameradin aus Reppen. Und diese Klassenkameradin erzählte mir, dass von unseren Klassenkameraden, Kameradinnen sich einige gemeinsam mit ihren Müttern das Leben genommen haben. Wie viele insgesamt und so weiter, ich weiß es nicht mehr.... Ja? Denn... wir sind wirklich aus, in alle Winde zerstreut. Ich hab in Treuenbriezen mal versucht, jemanden zu erreichen, einen, ich bin dort zur, zur Meldestelle gegangen und, die unterlag der Volkspolizei natürlich, und wollte einen Freund suchen. „Nein, geht nicht, ham wa nicht, kenn wa nicht“. Und der ältere Herr, der tut sein Geschäft, der sagte „Willi, gehst du gleich nach Hause?“, „Ja“, „Ich komme mit“. Unterwegs sagte der, „Willi, die wollen doch gar nicht, dass ihr euch trefft, dass ihr euch zusammen findet“. (Pause) Nein, das zusammen finden, das habe ich erst viel, viel später dann vollzogen, als ich dann hier im Westen war. Das erste war ein Freund mit dem ich heut noch Kontakt habe, der wohnt in Vierzen, und den einen oder anderen, den haben wir wieder aufgestöbert, aber die meisten...wo? Wir wissen es nicht. Der eine soll in Kana, in Kanada sein, der andere in Australien, überall hin, als hätte es hier einen Einschlag gegeben. Aber das ist ja jetzt in ganz Europa so, das ist ja nicht nur betreffend, bezogen auf die ehemaligen Ostgebiete, ne? (Pause)
DA: Und wie seid ihr dann nach Sachsen-Anhalt gekommen?
WA: Von Berlin aus gewesen, da ging es dann nen bisschen organisiert. Ihr müsst, also bis Güterglück... und dann mussten wir wieder suchen, ja? Wir haben praktisch dort, die erste Nacht in einem großen Saal verbracht, und, äh, da hatte meine Mutter dann noch eine, eine, eine, ein Erlebnis... sie ging ja dann in, am nächsten Tag los und suchte, und an einem Ort namens Götnitz, da war sie beim Bürgermeister drin und sagte „Ja, ich bin, mein Name ist Gerlach, geborene Jirschke“, und auf einmal sprangen aus in der Ecke sitzend drei Frauen auf... „das ist doch Jirschkes Lieschen“... die kamen aus (bewegt sich; Pause) hier aus diesem Ort! Aus Stirn... (unverständlich) Die kamen aus diesem Ort hier. Aber in diesem Moment fällt mir das ein. (Pause) Und äh, die habe ich zum Teil... aber wieder andere, wieder getroffen in, in, äh, in äh Sachsen, ne stimmt nicht, warte mal, das war Sachsen-Anhalt, jetzt läufts nen bisschen durcheinander. Ja. Und mit dem einen davon bin ich dann später kon, konformiert worden, von dem einen Sohn. Hatte dann, äh, vor dem letzten Jahrzehnt noch mal Kontakt aufgenommen, als ich dann schon für meinen Kreis arbeitete. Und der sagte „Ja, aber, das war ja nicht so schlimm mit der Stasi, wies mal gemein-, wies mal gesagt wird“. Ich geh mal davon aus, dass er so nen bisschen selbst damit zu tun hatte, nicht? (Pause) Denn ich habe andere Erfahrungen gemacht.
DA: Was für Erfahrungen?
WG: Was für Erfahrungen... ich habe, allerdings immer nur Gott sei Dank vom Hörensagen, das eben äh, (Pause) wie jetzt auch in einem Film, oder, aufgezeigt, grade vor ein paar Tagen wohl, dass mit den... bestellten Morden... den organisierten Morden, drüben in Westdeutschland. Von Seiten der Stasi. Ich kanns nicht beweisen, ich kanns jetzt in diesem Moment nur nachsagen. Ja? Aber ich weiß, dass ich zum Beispiel... nachdem ich 1953 im Krankenhaus erstmals von diesen Massenerschießungen in meinem Heimatort gesprochen hatte, seitdem steh ich vermutlich in der schwarzen Liste. Denn da war wohl schon, ob das damals schon der Staatssicherheitsdienst war oder ob diese, diese äh Einrichtung noch ne andere Bezeichnung hatte, weiß ich nicht. Die standen wohl schon auf der Matte, und... auch wieder durch einen guten Freund, ja, bin ich äh da praktisch dann äh so nen bisschen ins (unverständlich) geraten (Pause) Tja, was war noch?
Sequenz – Anfangsjahre in Sachsen-Anhalt
DA: Wie waren denn die ersten Jahre in Sachsen-Anhalt, wie wurdet ihr dort aufgenommen?
WG: Joah, ähm, eigentlich... unterschiedlich, sehr unterschiedlich. Es war eine Familie, ähm, die äh, eine alte Frau namens Hilbricht... werd ich nie vergessen, die war wie eine Großmutter zu mir. Wenn ich denn aus meiner, wir wohnten ja, ich wohnte, oder wir wohnten ja in einer Försterei. Ich musste wenn ich morgens zur Schule ging an ihrem Haus vorbei. … und wenn sie mich sah „Willi komm mal rein, zeig mal, zieh mal die Schuhe aus, was hast du für Socken an?“ … mhm, naja... und ähm... „Das geht nicht, das geht nicht“. Vor allen Dingen dann im Winter „Das geht nicht“. Dann ging sie los, holte von ihrem Sohn, der gefallen war, nen paar Socken oder etwas, dann eben Unterhosen oder sonste wat, alles, sie hat mich dann eingekleidet. „Was haste für Frühstück mit? Haste was mit?“. Willi hatte nix mit. Die Frau Hilbricht ging los und machte ne Stulle. (Pause) Leider, leider alle schon längst tot. (Pause) Aber es gab auch welche, nicht?, die waren eben, da gingen die Türen zu, Fenster zu. Und wir damals – es waren ja noch andere, ähm, Kinder dort, denn ich war ja damals erst 13 Jahre alt, die eben auch vertrieben waren, die eben auch geflüchtet waren. Und ich mache den deutlichen Unterschied zwischen „vertrieben“ und „geflüchtet“. Die geflohene Frau, natürlich vorausgesetzt, dass sie nicht wieder zurückgegangen ist, die hat nie die Erfahrung gemacht, wie die Frau, die da geblieben war. (Pause) Ja? Denn da gabs keine Unterschiede. Vor einiger Zeit bin ich angesprochen worden, oder wenn ich dann davon erzähle, da wurde gesagt „Ja, aber was haben wir gemacht?“ (Pause) Da hab ich gesagt „Ok, es sind Verbrechen, aber von beiden Seiten“. Nur unsere Soldaten, die hat man zu Verbrechern erklärt, die da hat man kriminalisiert, aber und das eben in der DDR. Denn ich hab ja damals in der DDR gelebt. Die Soldaten der Roten Armee, die hat man zu Helden gemacht. Über Verbrechen wurde da doch nicht gesprochen, das waren die Helden, in der Sowjetunion. Dagegen wende ich mich. Nicht gegen den russischen Menschen. Ich habe deutlich anständige russische Menschen kennen gelernt. Nicht? …
Sequenz – Beziehung zu Polen
Und auch jetzt wenn ich hier nach Polen fahre, wenn wir an einem Tische sitzen, nicht wahr?, Deutsche oder Polen, das ist mir doch schnurz piep egal. Ich war vor 1,5 Jahren, Beata auch, zu einer Ausstellung in Berlin, im Verkehrsministerium... ähm... das wurden Projekte aufgezeigt zwischen Deutschen und Polen, also deutsche-polnische Projekte, und das was hier in Baudach... ähm, organisiert worden ist von polnischen Frauen, und wir sind Mitglieder geworden, äh, war ein Teil dieses Projektes. Und äh, da hab ich dann auch irgendwie dann noch mal drauf hingewiesen und das war dieser Ort wo ich gesagt habe, „Ich habe 45 alles gehasst“. Und der Bürgermeister von Sagarn, der hat dort, wie ein Chamäleon, laufend seine Farbe verändert, der damalige Oberbürgermeister von Frankfurt an der Oder, der Herr Patzelt, der kam dann zu mir, der sagte „Gerlach, das war gut, was Sie gesagt haben. Ich hab den Bürgermeister beobachtet.“ Erst als ich gesagt habe „Ich habe alles gehasst, was Russisch oder Polnisch sprach“ angespannt war er schon. Und dann kam, dann konnte, ja dann habe ich meine Einstellung korrigiert. Und dann kam der letzte Satz „Und jetzt habe ich meine besten Freunde in Polen“. Und dieser Mann, ich glaub, der gab mir dann gleich anschließend eine Visitenkarte, ja? Für mich ist eben wichtig, dass wir ins Gespräch kommen. Äh, hier in Baudach, in meinem Heimatort, sollte es, tschuldige bitte mal (trinkt) eigentlich schon einen Programmpunkt gegeben haben „Willi erzählt“. Ich wollte eben mit den polnischen Kindern, in meinem Ort, über Spielorte sprechen, über Spiele. Ganz einfach nur mal, um ins Gespräch zu kommen. Ja? Denn äh, eben grade das Gespräch, das ist wichtig. (Pause)
DA: Hast du denn mit dem Edmund und seinem Vater noch mal Kontakt gehabt?
WG: Nein. Wir haben da gestern noch mal drüber gesprochen. Beata ist sogar ins Internet gegangen, hat mal geguckt, ob da eventuell, denn ich, der Vater, der muss hier ind er Nähe gelebt haben, nachher. Er war von Beruf, soweit ich weiß, Fischer, und hatte dann wohl hier seinen Heimatort, seine, ob er die Familie, vermutlich hat er ne Familie nachgeholt, in der Nähe, wir haben den See als Tiefensee genannt... aber, mehr weiß ich nicht. Ich will jetzt auch noch mal versuchen verstärkt ins Internet zu gehen, Beata versucht, dass man diesen Übergang, der damals stattgefunden hat, von deutscher und von polnischer Seite, der Edmund, der war immerhin... vier, fünf Jahre älter als ich, der hats sicherlich schon ganz anders erlebt, ja?
Sequenz – Verhältnis zur polnischen Verwaltung Baudachs, zu Russen und zu Polen heute
DA: Wie war denn die Situation damals, als ihr zurückgekommen seid und ihr habt gesehen, da ist jetzt ein polnischer Bürgermeister und ein russischer Kommandant?
WG: Das kann ich dann nicht mehr sagen. Ähm, was haben wir dabei gefühlt? Ähm, Kinder in, für Kinder ist es ja häufig wie nen Abenteuer, ja? Wir haben ja noch keine Verantwortung getragen, die Verantwortung war ja in diesem Moment noch bei unserer Mutter. Vater der war im Krieg, der war irgendwo in Italien, ja? Und äh... es war wie nen Abenteuer, ich weiß nur eins, wir sind aus dem Haus kaum raus gegangen, weil ja auch immer noch Russen da waren. Und für mich waren zur damaligen Zeit die Russen die Schlimmen. (Pause) Und äh, obwohl ich auch mit äh, gerade auch in Lago mit dem Alexander, ganz andere Erfahrungen gesammelt hatte, aber hier in Baudach, ich hatte keinen, keinen Russen hier, irgendwo, wenn ich jetzt versuche mich zu erinnern, mit dem ich besonderen Kontakt hatte. Da waren Russen oben auf dem Gut, auf dem Gutshof, da war die Kommandantur in unserem Haus... (Pause) diese Kommandantur hatte dann, das verstärkte natürlich das äh noch mehr, dass man nicht, Kontakt suchte zu den Russen. Der Kommandant, der hat unseren Lehrer dann abgeholt, äh, zum Verhör geholt, der hatte den, äh, den, den Postangestellten zum Verhör geholt, der da ohne Arm und ohne Bein aus dem Ersten Weltkrieg nach Hause gekommen war, ähm, einer hatte dem, dem, dem Postbeamten nen Stuhl unterm Hintern weggezogen, so dass er runter fiel, obwohl er schwer behindert war. Und unser Lehrer Seemann, der wurde abtransportiert. Da hab ich dann viel viel später, als wir dann schon hier im Westen warn, also nach 1961, irgendwann in einer Heimatzeitung gelesen, er wäre 1946, Ende 46 im KZ Buchenwald verstorben (Pause) Ja? Näheres weiß ich nicht. Da ist sooo vieles, was man nie erfahren wird. (Pause) Ja? Und vor allen Dingen, was jetzt das Schlimme ist, wir sagten gestern immer wieder, das hätte zwanzig, dreißig Jahre früher sein müssen. Ich habe hier noch einen speziellen Freund, einen guten Freund... einen Polen, der wohnt hier in Crossen, 90 Jahre alt, nein stimmt nicht, plus eins, 91. ja? Da hab ich auch über Woyczechowski gesprochen. Wo ist der geblieben? (Pause) Aber es ist alles... und dieser, dieser, dieser Freund war der erste der gesagt hat, „Crossen ist nicht von Deutschen abgebrannt worden, denn hier hieß es, während der ganzen Zeit bis neunzehnhundert-, bis Ende der 80er Jahre.... äh, Crossen wäre von SS, äh SS und Werwolf abgebrannt worden. Das stimmt nicht. Dieser Pole sagte „Mein Freund war als, war als, ähäh, damals als Zwangsarbeiter hier in Crossen, und der hat gesehen wie die Russen die Häuser abgebrannt haben.“ (Pause) Ne? Und für mich ist wichtig, und das machen wir ja: es muss alles auf den Tisch, es muss alles gesagt werden. Ob nun gut für Polen oder für Russen oder für Deutsche, spielt überhaupt keine Rolle. Es muss historisch aufgearbeitet werden, es muss die Wahrheit gesagt werden. Ja? Und ich erlebe, ich habe immer wieder meine Probleme, wenn ich mit ehemaligen Genossen da drüben zusammen komme, ich habe auch für die Zeitung gearbeitet, für den Vorstand lange Zeit gearbeitet, plötzlich saßen nur noch Genossen am Tisch und ein Stasioffizier. Und ich war es gewöhnt, erst natürlich, so lange ich in der DDR gelebt habe, war ichs auch gewöhnt, dass da zwei Figuren am Tisch sitzen, die sagen das und das wird gemacht und die anderen hatten zu funktionieren, und habe es ziemlich dumm aus der Wäsche geguckt als ich neunzehnhundert-, ähm, 61, ja, 1966 in, in Westdeutschland im Schuldienst war und wir hatten Konferenz und wir hatten pädagogische Konferenz und der Schulleiter sagte plötzlich zu mir „Und Herr Gerlach, was ist Ihre Meinung dazu?“. (Pause) Jetzt war meine Meinung plötzlich gefragt, das kannte ich doch gar nicht. Ja? Und die sage ich jetzt!
Sequenz – Arbeit im Heimatkreis
Und ich bin, ähm, bin mit diesem „deine Meinung ist wichtig“ wieder hier herüber gekommen, habe mit Genossen an einem Tisch gesessen, die das nicht kannten und die mir jetzt ihre Meinung aufzwingen wollten und ich habe dagegen begehrt, aufbegehrt und da die eben in der Mehrheit waren, haben die mich ausgemobbt. Und dann habe ich eben gesagt „Ok, ich arbeite weiterhin für die Menschen des Kreis Crossen, und für Menschen, die heute im Kreis Crossen leben, aber nicht mehr für Vorstand und Zeitung“.
DA: Was war das für eine Organisation, wo du da drin warst?
WG: Äh, das ist so nen Ableger von der Landsmannschaft. Ja? Äh, du kennst ja die alten, zumindest vom Hörensagen, die Landsmannschaften. Ja? Und da hats nun, jeder Kreis ist organisiert. Und jeder Kreis hat, oder hatte, zumindest eine Zeitung. Und bei uns wars, früher warns die Crossener Heimatgrüße, dann gabs die Crossener Heimatzeitung... ähm, die Heimatgrüße haben wir raus gegeben eine gewisse Zeitlang. Der früher hier in Crossen auch das Crossener Tageblatt geschrieben hat. Chefredakteur damals, in diesem, in dieser Zeitung war ein gewisser Karl Wein, der hat dann die Heimatgrüße übernommen, aber nur für Westdeutschland. Und jetzt in den letzten Jahren hat der, ist dann ein gewisser, was heißt in den letzten Jahren, seit den 50er, 60er, hat es dann der Sohn Hans-Ulrich Wein übernommen, und der macht es jetzt auch wieder, 90-jährig. Und mit dem hab ich zurzeit eben wieder engen Kontakt und das ganze Bildarchiv, was da bei ihm in, im Laufe, oder bei den dreien, im Laufe von 60 Jahren entstanden ist, das digitalisiere ich zur zeit, das lese ich in den Computer ein, ne?
DA: Und hast du auch über den Verein noch viel Kontakt zu anderen Leute, die auch aus dem Kreis Crossen kommen?
WG: Hatte ich, hatte ich. Ich habe aber heute nur noch einige wenige, einige wenige Ansprechpartner. Äh, das sind eben äh, hier im Raum Berlin, in Westdeutschland wenig... und dann eben überwiegend Beata, Andrzej Antonowicz, Tadeusz Słomiński mit seinen 91 Jahren und ein paar andere. Ja?
Sequenz – Reisen in die alte Heimat
DA: Wie bist du denn zu diesem Kontakt gekommen, also mit der polnischen Seite?
WG: Durch meine Fototouren damals. Ja? Da stand ich plötzlich... ich sollte für eine alte Dame. Ich sollte eine alte Dame mitnehmen. Die Dame war aber damals so um die 88 Jahre. „Ja, Mensch, was machste mit der Frau, wenn da drüben was passiert?“ Irgendwie Mund-zu-Mund-Beatmung und so weiter, das wird ja wohl nicht funktionieren. Ich hatte Gott sei Dank zur damaligen Zeit nen ziemlich schweren Unfall auf der Autobahn, da hab ich gesagt „Ich nehm doch keinen wieder mit.“, “Aber du nimmst was mit“.... es wurde mir zugeschickt, war so etwas ähnliches wie eine Chronik von dem Ort hier. Und da ich ja nun perfekt Polnisch spreche, kam ich dann hier in diese Gegend, fragte dann also in Steern, seit 37 hieß dieser Ort dann Teichwalde, zeigte dann die Anschrift, „Jaaa, asfalto, asfalto“, sagte er. Verstehe perfekt Polnisch, wusste ich „Asphalt“. Also beim nächsten Mal wieder „asfalto, asfalto“, denke mir „Mensch, soviel Asphalt hats doch hier nie gegeben“, aber es ging jetzt hier in Richtung meines Heimatortes, und dann hier raus gekommen, denk mir, „Moment mal, hier muss ich wieder fragen“. Hier waren drei, vier Männecken beschäftigt. Meinen Wagen abgestellt da draußen und wieder hier her. Und plötzlich sagt jemand zu mir „Ah, das gehört meiner Frau, ich hol sie“. Na, sie kam, „Was machen Sie denn hier? Ach wissen Sie was, schieben Sie mal Ihren Wagen aufs Gelände und äääh, dann können wir darüber sprechen.“ (Pause) Wir setzten uns drüben in dieses kleine Häuschen dort, vorn, in, Veranda praktisch. Ich frag „Ja, was machen Sie denn“? „Ja, ich habe die Absicht eine Chronik über das 1000-jährige Crossen zu schreiben.“, „Ja, bitte?“, „Ja, mit Unterstützung vom Bürgermeister hätte sie“ und und und. Was dann natürlich später wieder ins Wasser fiel, warum, das weiß ich nicht, vielleicht weil sie mit Deutschen Kontakt hatte, ich weiß es nicht, jedenfalls äh, fragte ich dann „Was für Material haben Sie zur Verfügung?“. Dann brauchte sie zwei Kopien von Kreiskalender. Kreiskalender das sind so... Hefte, die jährlich erschienen sind, hier im Kreis, und zwar 30 Stück, von 1913 bis 1942. (räusper) Da haben die, da hat der Lehrer drin geschrieben, da hat der Pfarrer drin geschrieben, die einzige Literatur, was, die etwas über das Leben der Menschen in diesem Raum aussagt. Es gibt Fachliteratur, Erdkunde, allgemein, das über die Moränenlandschaft geschrieben wird, und so weiter, aber... eben nichts, was eben das Leben der Menschen hier beschreibt. Und dann hatte sie eine Chronik. Ich sag „Wo haben Sie denn die Kreiskalender her?“, „Ja, die hab ich von äh, vom äh Herrn Reinicke“. „Der Reinicke? Vom Dr. Wilfried oder vom Helmut Reinike?“, „Wat der kennt das? Ähm, ja vom Dr. Wilfried Reinicke.“, Und ich sag „Der hat sie vom Helmut“, „Ja, das ist möglich.“, „Und der hat sie vom Gerlach.“ …. „Ja, den möcht ich kennen lernen. Der soll noch mehr haben.“ Man gibt sich die Hand, sagt seinen Namen, versteht nicht, aber denkt „Naja, ich bin ja gleich wieder weg“. Ja, ich sag „Fragen se doch, ich bins doch“, „Wie? Ja, dann hab ich einen Schatz!“, ich sag „Ich hab nen Schätzchen gefunden“. Ne? Und äääh, zur damaligen Zeit hatte ich vielleicht zwanzig Kalender. Heute habe ich sie alle. Ich habe die größte Sammlung. Hier jetzt beim Bürgermeister, in Crossen, und gemeinsam mit Andrzej Antonowicz, da sagte der Andrzej, also sie sagte, sie hätte die meisten in Deutschland, „Die meisten auf der Welt?“, ich sag „Stimmt auch, natürlich. Kannst natürlich erst mal Europa sagen, und dann die Welt.“ Äh, ich hab sie nicht alle im Original, aber ich hab etwa 25 im Original, die anderen hab ich im PC, und die druck ich aus, kann ich dir nachher mal zeigen. Äh, die Qualität, wie das aussieht, die müsste ich auch, Beata hat auch alle hier, und äh... ich hab dann sämtliche Bilder bearbeitet in ihrem Buch, und ich sagte dir draußen schon, in der Nacht um zwei kam dann ne E-Mail an, „bitte mache das“, ich denke mir wirklich, schwarzes, es war nur so nen schwarzes Rechteck, hab ich zurück geschrieben „ist das nun der Elbtunnel bei Nacht?“. Ja, dann hab ich dann zurück geschickt, hab dann Licht rein gebracht, ich glaub das hat sie dann sogar in ihrem Buch nachher dann auch gebracht... und seitdem besteht dieser Kontakt. Und der ist eigentlich immer nur noch gewachsen. Und als sie dann damals von mir Material bekam, sagte sie mir auch „Was kann ich für dich tun?“. Sag, „ja, Baudach, mein Heimatort, da existiert ne Chronik, die ist über 200 Jahre alt. Versuchen Sie die zu erreichen.“ Die haben wir bis heute noch nicht. Die ist irgendwo, in einem der Häuser oder aber, wenn man nicht die Wichtigkeit erkannt hat, dass man sie weggeschmissen hat, zu Altpapier. (räusper)
DA: Was konntet ihr denn damals überhaupt mitnehmen?
WG: Mädchen, mach dir doch mal Gedanken. Was würdest du einpacken, wenn man zu dir sagt, in zwei Stunden musste hier raus. (Pause)
DA: Klamotten.
WG: Naja, Klamotten, und nachher merkste, Klamotten ist gar nicht das Wichtigste. Klamotten kannste ersetzten, aber Fotografien und so weiter kannste nicht ersetzten.
DA: Die sind da geblieben?
WG: Zum großen Teil, ja. Die sind aber beim ersten Mal im Februar schon da geblieben wohl.
DA: Dachtet ihr immer ihr kommt zurück?
WG: Das kann ich nicht sagen, ob wir uns da Gedanken gemacht haben. Wir haben wirklich von einem auf den anderen Tag gelebt.
Sequenz – Heimat, Interesse von Seiten der Familie
Das ist das nächste, was ich mache. Alte Ansichtskarten aufarbeiten. Ich habe rund, von Crossen hier, habe ich rund 600. Habe auch wieder, 50, 60 im Original, die anderen im PC. Ich habe jetzt, ähm, zwei Teile, also, ein Album heraus gegeben, zweiteilig. Was heißt heraus gegeben? Sechs angefertigt und weiter gereicht. Ja, an die, die damit weiter arbeiten. Ich habe dann wieder ärger bekommen von Leutchen, die jetzt im Vorstand arbeiten. „Du darfst kein deutsches Kulturgut weiter reichen.“ (Pause) ja? Und ich bin der Meinung. Wir wurden, wir leben heute alle unter einem Dach. Und das ist das Gute. Ich habe gestern erst zu jemandem gesagt, „Ja, es gibt so viele, die regen sich auf, wenn heute so viele Nationalitäten in einer Fußballmannschaft spielen.“ ich sag immer „ist doch besser, man treibt Sport miteinander, als dass man sich, wie es früher war, gegenseitig den Schädel einschlägt“. Ja? Wies mit der äh, mit der Identifizierung aussieht, für diesen Verein und so weiter, das ist die andere Chase.
DA: Und womit identifizierst du dich?
WG: Ich bin Europäer.
DA: Und deine Heimat?
WG: Meine Heimat ist hier. Ich bin Brandenburger. Ich bin Brandenburger. Ja. (räusper) Und wenn ich hier her rüber komme, ich habe dann unter anderem auch in Berlin gesagt, „ich fahre nicht mehr nach Polen“, „wie nicht, nicht mehr?“, „Nein, ich fahre zu Freunden“. Ja? Wenn ich über die Oder fahre, nicht wahr, dann fahr ich nach Hause. Der Andrzej Antonowicz, den wirst du heut Nachmittag kennen lernen, der sagte zu mir mal, als ich hier kam „Ja, jetzt bist du zuhause“, ich sag „Ne, zuhause, das ist bei meiner Familie. Ich bin daheeme.“ Wir haben hier daheeme gesagt, ne?
DA: Und was hast du denn deiner Tochter oder deiner Enkelin erzählt?
WG: Das haben die sich alles schon angeguckt hier. Tochter war hier, die Tochter mehrfach, die Enkeltochter einmal. Die wissen darum. Ja? Und, äh, die Enkeltochter nun, die ist ziemlich aktiv, aber in anderem Bereich, die ist jetzt in München zurzeit, studiert da noch mal, sie hat Produktdesign studiert und jetzt wird da nen Master noch da drauf gesetzt. Und äh, sie hat in München, äh in Aachen ihren Diplom gemacht, und äh wir werden uns, die ist zur zeit in Köln, gestern hat sie sich mit meiner Frau getroffen... nein, die sind informiert, die Tochter ist mehrfach, sagtse, „Papi, wenn du fährst“, setzte sich ans Steuer und fährt se. Obwohl ich sehr gern die lange Tour fahre, bloss manchmal wird’s nen bisschen lang. Es sind immerhin 655 km. (Pause) Wo kamst du her?
DA: Münster. Auch weit. Darf ich noch einmal kurz...?
WG: In Münster ist übrigens auch nen Gerlach tätig.
DA: Ja, wer denn?
WG: Ein Ralf Gerlach.
DA: Ich kenne einen Arzt, der so heißt.
WG: Nein, Arzt nicht. Der ist inner, inner, im Drogenbereich tätig. Ralf Gerlach. Wenn du ins Internet gehst, der schreibt Bücher darüber und so weiter. Der war als Streetworker tätig in, in Solingen, ich weiß nicht wieweit in, in, in Münster auch. Wenn du ihn findest, kannste ihm nen Gruß bestellen.
DA: Mach ich. Darf ich noch eine Frage?
WG: Du darfst alles.
Sequenz – Wandel des Verhältnisses zu Polen
DA: Mich interessiert das sehr mit dem Verhältnis zu den Polen. Du hast gesagt, dass du Anfang der 50er Jahre so deine Meinung eigentlich geändert hast. Wie kam das?
WG: Ja, ich hatte hier jetzt Gelegenheit zu überlegen. Ich hab ja im Krankenhaus gelegen, mit der Lungen-TB (räusper) ich hab damals auch viel aufgeschrieben, leider ist alles damals in der damaligen DDR geblieben. Ähm, ich hatte auch aufgelistet, wo waren wir wann, was war besonders, aber leider alles weg. Und da hab ich eben auch immer wieder, ich weiß gar nicht, ob ich auch damals schon versucht habe, das erste Mal Kontakt wieder aufzunehmen zu Woyczechowski. Ja? Und, äh, dass ich dann gesagt habe, ja, funktioniert nicht, drüben gibt’s genauso Anständige. Ich weiß noch, wir waren in Gödnitz, Sachsen-Anhalt, wir sahen die ersten Poster von einer, Gott wie heißt se mit Vornamen, Koch mit Nachnamen, Ilse Koch. Jedenfalls wars ne Kommandanteuse aus einem Konzentrationslager. Die hatte dann, so wurde gesagt, äh, die Lichtschalter wären Daumen oder Zeh von nem Menschen gewesen, mit äh, Lampenschirme mit Menschenhaut überzogen. Ich weiß nicht, ich kanns nicht, nicht beweisen, und da stand ich mit dem Helmut Kiesler, und da hab ich auch wieder, hab versucht zu ermitteln, wo der Junge geblieben ist, äh, zusammen, und neben ihm stand sein kleiner Bruder, so haben wir damals noch gedacht, sagte der, es war alles 46 vielleicht, „ich werd schon dafür sorgen, dass das nen richtiger Nazi wird“. Das war bei uns drin. Ja? Es war bei uns drin. War gar nicht... wir kannten doch das nur. Ne? Und später äh, im Schuldienst sagte dann jemand mal zu mir, 10 Jahre jünger als ich, „Ich hätte da nie mitgemacht“. Da hab ich mir den von oben nach unten angeguckt und habe gesagt „Mensch, du wärst nen ganz fantastischer Fahnenträger gewesen“. (Pause) ja? Das, oder unsere Nachbarin, die dann sagte, als ich davon erzählte, was hier in Lago war, mit dem Kind, gegen die Wand, „das biste doch bestimmt zur Hilfe gegangen“. „Ich bin gerannt, du hast ja keine Ahnung, was das damals war.“, ich sag „erkundige dich doch erst mal“.
Sequenz – Erziehung in der Volksschule
DA: Wie war das denn z.B. in der Schule oder in der HJ? Von der Erziehung z.B.?
WG: Ich kenn noch, ich hab noch, hab noch folgende Erinnerung (räusper, husten) weswegen eigentlich weiß ich nicht, doch es könnte folgendes gewesen sein. Wir hatten in Reppen einen Physiklehrer und Chemielehrer, der war Klassenlehrer bei meinem Bruder. Und, in den letzten Monaten des Jahres 44 war unsere Schule zur damaligen Zeit schon Lazarett geworden. Und wir Schüler mussten erst, da blieben die Lehrer an bestimmten Orten, wo Unterricht war, und die Schüler mussten wandern. Wir haben uns natürlich verlaufen, ne? Wir kamen richtig spät an. Und dann äh, erzählt man, die Lehrer müssen gehen. Und da hatten mein Bruder und nen Freund, Schulfreund, diesem Lehrer nachgewiesen, dass er da was Falsches an der Tafel hatte. Und ähm, da war der natürlich wütend, gegen meinen Bruder konnte er nichts unternehmen, denn der war ja zur damaligen Zeit Führer im Jungvolk. Ich auch, dann aber niedriger, ich 3 Jahre später. Und praktisch auf dem ganzen Weg zu uns hin, nicht wahr, da hat er sich da immer weiter hoch gehievt, jetzt kommt er in unsere Klasse rein und alles ist da, auf Tische und Bänke, „Vorkommen“, guckt der in unsere Richtung, (räusper), gar nichts, keiner reagierte sich, reagierte, keiner wusste ja, wer, wer war denn nun wirklich gemeint. Der hatte ne ziemlich starke Brille. „Vorkommen“ Beim dritten oder vierten Mal sagte er dann, „Gerlach, vielleicht biste bald hier“. (unverständlich) ging ich vor, musste mich bücken, dann nahm er ne Reisschiene und hat gemöbelt, federt doch, tut doch nicht weh, ich hab gelacht. Der wurde immer wütender. Das erste Dings zerschlagen, Nachbarklasse rein, da war ne Frau aus Berlin, die haben die evakuiert, einfach die Reisschiene genommen und weiter. (Pause) Lehrerpult war ja damals erhöht, hat er mich dann vor die Klasse gestellt, da hin gestellt, und ich sagte dir schon, er hat ne ziemlich dicke Brille drauf gehabt, die hat er ja immer vorne aufge, abgelegt, weil die ja, es gab ja noch kein Kunststoff, konnten ja nur Glas, das war schwer, und dann ging auf und ab, wenn er hinten war, dann machte ich meinen Fez da vorne, die Klasse lachte, er kam nach vorne geschossen, Gerlach stand in der Ecke, kein nix. So und dann... hat ich seinen Hut, nahm Kreide, machte Schweißband im Hut weiß, zeigte jemand Buntstifte, aha, Schublade auf,gezogen, farbige Kreide genommen, nun hatte der Mann so nen Peng-Schnitt, da oben so, nicht wahr und hier war eben alles frei geschoren. Hat er sich den Hut aufgesetzt, als es dann Richtung nächste Klasse ging, draußen begrüßte er Frau Stolzenberg, nahm seinen Hut ab und hatte nun so nen Ring da. Die Frau kam zu uns rein, „Wer hat denn das gemacht? Was war denn da los?“ Naja, und die anderen berichtet. „Ja, und wer hat das gemacht?“. „Ich“. „Willi. War das richtig?“, „Wahrscheinlich nicht, aber das was er mit mir gemacht hat auch nicht.“ (Pause)
So, und jetzt waren wir wieder woanders untergebracht, das waren ne Baracke vom Segelflugplatz und da hieß es dann,... weil ich mich ja ungebührlich verhalten hatte, äh, Konferenz über den Willi Gerlach. Wir hatten in Kunst meinen Nachbar, der Vater war damals gefallen, den haben wir in den Schrank gesteckt bei denen. Das war, war ja ne Baracke, ne Baracke hatte damals Holzwände, und der Schrank, der war praktisch zwei, von der einen Seite und von der anderen Seite, haben wir da rein gesteckt, der konnte alles mitkriegen. Dann kam er irgendwann raus, „Jetzt ist Pause, Willi, und du fliegst von der Schule“ ne? (Pause) Aber es ging ja noch weiter. Und Fräulein Stolzenberg hat bis zum Schluss gewartet, und als dann der Sprenger, so hieß der Lehrer, war übrigens der einzige Lehrer, den ich nach 61 in Westdeutschland, in Wuppertal begrüßt habe, ja? Als der seinen Antrag vorbrachte, Willi Gerlach von der Schule zu verweisen, da kam Frau Stolzenberg, „und warum eigentlich?“. Und jetzt kam unserer Schulleiter, Kindermann, bei dem hatte ich nen Stein im Brett, ähäh, Brett im Stein, äh, Stein im Brett, wegen Mathematik, das funktionierte bei mir zur damaligen Zeit und ähm (pause) ja, warum? Und dann der Schulleiter „Ja, Herr Sprenger, wenn das so war, dann bekommen Sie einen strengen Verweis“. Nächste Woche, Physikunterricht, der Otto kommt rein, Tasche abgelegt, Brille abgelegt, Hut abgelegt, kommt rein, ich saß damals in der ersten Bank dann wieder, und klatscht mir eine, links und rechts. Geht zurück, Unterricht beginnt, als wär nichts gewesen. Sagt mein Bruder zu mir, „Pass mal auf, nächstes Mal ziehst du Uniform an“. Du fragtest ja, wie war das mit der HJ und so. „Du ziehst Uniform an, machst nen Knoten drauf“. Du, die Hand seh ich heute noch. Der durfte mich jetzt nicht anfassen, war ja Führers Kleid. Ja, Braunhemd und so weiter. „Mach den Knoten ab!“ Dann wär die Uniform null und nichtig gewesen. Ich sag, „Machen se en doch ab.“ Der hat mich nicht angefasst. Ja. So verblödet, so ver-, war man dann. Zur damaligen Zeit, naja.
DA: Was haben deine Eltern dazu gesagt?
WG: Mein Vater war ja Soldat, der war nicht, und Mutter hatte ganz einfach zu arbeiten.
DA: Was hat sie gearbeitet, oder was hat auch dein Vater gearbeitet vorher?
WG: Sie war Hausfrau. Mein Vater war hier in Crossen als Zivilangestellter in der Artilleriekaserne als Waffenmeister. Der hat Geschütze in Stand gesetzt. Und 39 als der Krieg losging, da hat er sich freiwillig gemeldet um mit seinen Kameraden mitzugehen. Naja, eigentlich hätte er nicht gebraucht, oder wär halt später eingezogen worden und dann wär er vielleicht nicht mehr am Leben. So konnte er... konnte so nen bisschen dirigieren, wo er hin wollte und so weiter, ja?... Und hatte dann in Russland nen schweren Lungenschuss, und kam nach Italien dann anschließend. Und der kam 46 dann aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause. Tja. (Pause) Ja, das waren schon schlimme Zeiten, aber ich erinnere mich z.B., sprach gestern mit Beata darüber, ich habe ein Buch „Krieg gegen Deutsche“, äh, stimmt nicht „Krieg gegen Kinder“. Und durch Zufall habe ich dort, ich komme zur Zeit überhaupt nicht mehr zum Lesen, denn ich sitze wirklich nur und arbeite alte Sachen auf, wie jetzt das Bildarchiv für die Zeitung. Ähm, da warn Transportpapiere drin und ein Bild von einem Jungen. Las ich „Baudach“. Dieser polnische Junge war mit einem Transportzug nach Baudach, in meinen Heimatort, hat dort aufem... Bahnhof gestanden. Mich würd interessieren, wo ist der geblieben, was ist daraus geworden, und so weiter, ja? Aber... (Pause) Das sind alles so Sachen, die man nicht nachvollziehen kann heute, nein, und äh, ja, Beata sagt ja auch, „Mensch das wäre interessant, aber wo?“... kriegt man nicht (Pause)
Sequenz – Kriegserlebnisse ab 1939
DA: Was hast du denn selber als Kind auf dem Dorf vom Krieg noch mitgekriegt? Was gab es für einen Unterschied zwischen vor 39 und nach 39?
WG: Ich weiß nur, ich glaube zu wissen... ich war bei uns an der Schurre, ich könnte dir das zeigen, aber es ist nicht mehr so, unser Dorf wurde praktisch ähm von oben bis unten hin durchflossen von einem Bach, das war die Schurre. Und da wurden wir Kleinkinder abgestellt, Schürze um, und dann gingen wir hin mit einem Eimerchen und einem Förmchen und so weiter, wie du es vielleicht an der Ostsee oder irgendwo gemacht hast. Und haben dort gebuddelt, haben dort gespielt. Und dann läuteten irgendwann die Glocken. (Pause) Das ist Krieg. Was ist Krieg? (Pause) hättest du mit 5, 6 Jahren gewusst, was Krieg ist...? Ja (Pause) Wussten wir auch nicht. Und dann ist man da so hineingewachsen. Ich, ich wu-wünschte mir, man könnte noch mal so zurückschauen, wirklich, richtig, sich so zur damaligen Zeit zurück entwickeln lassen, so, blicken und das... mit der heutigen Erfahrungen, mit dem heutigen Denken zu erleben. Denn das was ich, was mir in Erinnerung geblieben ist, was ich aufgeschrieben habe, das sind doch nur Momentaufnahmen, das ist kein Film. Häufig auch, ich hab mich erwischt, ob diese Erschießungen in Baudach Tatsache waren, bis diese Frau aus Mesow kam und sagte, „wir haben die Leichenberge gesehen“. Mein Bruder sagt „Ich erinnere mich nicht“. Der hatte so viele schlimme Erfahrungen gemacht, auch dann noch nach 45, da hatte man hier, ähm, da waren wahrscheinlich in Sachsen Fehlabgänger, in KZs, denn die KZ haben ja nach 45 weiter existiert, und da ist man in Potsdam auf die Straße gegangen und hat Jugendliche eingefangen. Und da war er auch wieder dabei, da ist er auch wieder geflohen, mit einem Ostpreußen... der hat vieles vergessen. (Pause) Man erinnert sich nachher überwiegend an die schönen Zeiten. Die schlimmen Zeiten, die sind meist... weg. Ich erinnere mich... (Pause)
Sequenz – Kontakte zu Polen vor 1945
DA: Waren denn die Polen, der Bürgermeister und so, waren das die ersten Polen, die ihr ja auch kennen gelernt hattet?
WG: (Überlegt) Wahrscheinlich ja.
DA: Und habt ihr euch damals gefragt, wo die wahrscheinlich her waren, wo die herkamen oder so?
WG: Jaja, das ist wahrscheinlich gefragt, aber wir hattens zur damaligen Zeit, noch in der Baudacher Zeit, kamen Polen, die zurück, das waren.... ähm, ich geh mal davon aus, das sie offiziell waren, das polnische Einheiten aufgestellt waren, gegen Deutsche, um zu kämpfen, die strömten noch zurück, vermutlich waren da auch sehr viele Zwangsarbeiter in diesen, diesen, diesen äh Zügen, die jetzt auch nach Hause wollten, ja, aber,... im Einzelnen weiß ich nichts mehr, ne? … Ich weiß nur noch, 1970-71, war ich das erste Mal wieder hier, zuhaus, da hab ich in der Nähe, naja, im Dorf, war ein, ist ein Pole, der uns eine, eine Einladung geschickt hatte, ohne Einladung ging es nicht, und der Pole sprach sehr gut deutsch, war auch in Deutschland geboren, den vor dem Krieg waren die so genannten Schnitter... (Pause) Schnitter waren Erntehelfer, die kamen aus Polen, wie heute, die Polen zu uns kommen um Spargel zu stechen und so weiter, ja? Und ähnlich war es damals. Und die Eltern sind eben in Deutschland geblieben, das war Grik eben, nach ner Weile, weiß ich gar nicht mehr, das muss bei mir irgendwo im Notizbuch stehen. Der Gerik, der sprach dann... war so alt wie ich, hatten was gemeinsames, wir haben uns ruck-zuck verstanden, ich weiß sogar noch, dass bei uns damals, zur damaligen Zeit, also vor 45, da hatten wir hier bei uns in der Nähe von Baudach, gehörte zu Baudach, einen Ukrainer. (Pause) Ein Junge. Der war etwas etwas älter als, drei, vier, fünf Jahre vielleicht schon. Der war als... was war er da? War er Zwangsarbeiter? Weiß ich nicht. War er Zivilarbeiter? Wahrscheinlich. War er mit Eltern da? Weiß ich nicht mehr. Der konnte nur fantastisch schnitzen, wir haben damals vom Jungvolk, Spielsachen ange-, angefertigt. Und da hat er auch sehr viel dafür geliefert. Der erzählte uns erstmals davon, dass die Rote Armee, in der Ukraine, wie die Getreide eingetrieben haben, und so weiter. Da haben wir erstmals mitbekommen, das waren ja dann die Schlimmen, die Russen, dass der beim Jung-, beim Dienst und so weiter, beim Jungvolk mitgemacht hat, ist so unwahrscheinlich, aber hat mitgemacht. Und ich glaub da war auch ein polnischer Junge. Aber das weiß ich nicht mehr. (Pause) Die wohnten damals... (Pause, überlegt) man äh, heute, weiß, ähm, das gehörte zum Dorf, das, das nennte man damals, Hinter-, Hinterbuden, das waren Vorwerke, die zum Gut gehörten, oder Teile des Gutes.... ja? Und dann eben halt der Russe bei uns war, Erschießung, Erschießung, Erschießung, ich weiß nicht, wie viele aus dem Ort erschossen worden sind... da gibt es nen, ist auch nen Thema, Nachbarort, Kriesel, da sind nen paar 70 erschossen worden, weil man in einem Haus nen paar Waffen gefunden hatte. Aber ist ja bekannt, der Förster hatte Waffen.... hatte man auch die, die, die Frauen und Kinder in die Kirche getrieben, angebrannt, und äh, aber, das sind ja die Heldentaten gewesen, und dagegen wende, wende ich mich. Man solls ganz einfach eben auch als Verbrechen hinstellen. Es sind Verbrechen.
Sequenz – Moment der Vertreibung aus Baudach
DA: Würdest du denn sagen, dass ihr damals von diesem Bürgermeister vertrieben worden seid?
WG: Nein, nicht vom Bürgermeister. Siehst du, das ist auch wieder so eine Sache, das sind Lücken, in Topper, in diesem Ort, da tauchte ein... als wir aus Topper raus mussten, Richtung Lago, da tauchte ein Pole auf – erste Berührung mit Polen, stimmt, da war sie, war negativ – der war auch... schwer behindert, lahmte glaube ich, mit der Hand, mit dem Arm war auch etwas, weiß ich nicht mehr, der unterstütze den einen russischen Offizier, und die suchten junge Menschen, überhaupt Männer, aus diesem, aus unserem Treck heraus und die wurden abtransportiert, Richtung Russland. Nur Teile davon sind wieder zurück gekommen, nur weniger. Aber dieser Pole, der tauchte dann bei uns, ne, am 23. Juni wieder auf. Der hat uns vertrieben. Ich kam, ich sagte ja, ich war Laufjunge beim Bürgermeister,.... und ich kam in die Bürgermeisterei rein, der Edmund hat mich zurück gedrängt sofort, und da war eben dieser Mann und unser Bürgermeister, die haben sich gestritten, soweit ich mich erinnere, aber ich, ich hoffe, dass es so ist, das es nicht etwa geträumt war, denn da kommt manchmal Traum und Wirklichkeit zusammen, dass es nicht geträumt, dass sie... sie haben sich glaube ich sogar mit Waffen bedroht, und der Bürgermeister, der hatte auch seine Leutchen, die kamen aus dem Nebenraum, auch mit Waffen, und da hat sich die ganze Chase wieder beruhigt, und dann hieß es „wir müssen raus“, und dieser, dieser, immer dann wenn jemand sagte, gerade dann in, inner, in der damaligen DDR, oder EX-DDR, nachher, „ihr seid doch umgesiedelt“, ich sagte „umgesiedelt? Mit Reitpeitsche und Gewehrkolben?“ Nene, Umsiedeln, bei uns drüben, wenn ne Talsperre oder was gebaut wurde, dann wusste man früher, Braunkohle, ja, ja „ihr müsst da irgendwann weg“, das war für mich Umsiedeln, da würde man dann für entschädigt. (Pause) Ja? Aber das was bei uns passiert war, Vertrieben. Ganz einfach Vertrieben.
DA: Gabs denn Leute aus dem Dorf, die versucht haben, zu bleiben oder die versucht haben, zurück zu gehen?
WG: Ein älterer Herr, der ist dageblieben, wie immer, der hat sich erhängt. Da gabs nichts, nein, da gabs nur eins „wer hier bleiben möchte, der wird erschossen“. Andernorts heißts dann wieder nicht, ähäh, in, in Industriebereiche vielleicht, das bestimmte Fachleute hier geblieben sind, die dann später ausgesiedelt worden sind, vielleicht. Umsiedlern und so weiter, wie sie dann genannt worden sind. ja...
Sequenz – Gespräche mit Polen über die Geschichte
DA: Hast du denn später mit deinen polnischen Freunden auch drüber gesprochen, wo die jetzt her gekommen sind?
WG: Hier jetzt? Ja.... auch gerade mit, hier jetzt vorgestern gerade habe ich auch mit dem Marek Cibula zusammen gesessen, dann kam da auch die Frage auf, kommst du auch, oder deine Vorfahren, kommen die auch aus Ostpolen? Ja, gerade auch die Ostpolen, die haben ja die gleichen Erfahrungen gemacht wie wir. Die sind ja auch vertrieben worden, und von so genanten Freunden. Äh, die, äh, in Crossen, schade, ich weiß nicht, ob du das erste Mal hier bist in diesem Raum?
DA: Hier ja...
WG: Crossen auch schon gewesen, mal durchgefahren`?
DA: Durchgefahren.
WG: Äh, ich kenne auch die, die, die äh oder die ehemalige Leiterin des äh, des Museums dort. Das ist ein altes Schloss. Und äh, das sagte sie mal, die Beata zu mir, beim zweiten, dritten Mal, ähm„die möchten dich kennen lernen.“ Und als ich damals, zur gleichen Zeit, äh, oder hab ich den Andrzej damals kenne gelernt, könnte sein ja, da saß ich plötzlich mit Polen an einem Tisch, da denk ich mir „was machte denn jetzt mit denen hier?“ … ja? Und dann ähm, ich glaub äh, Beata signalisierte mir, nen Witz, hab ich nen Witz erzählt, ja? Ich sag „Nen Pole hat mal eine gute Tat vollbracht.“ Kommt ja vor, dass Polen auch mal ne gute Tat vollbringen. Die kannte mich ja noch nicht. Und dann ja, in der Nacht kam eine gute Fee, sagte „Polak, du hast drei Wünsche. Erster Wunsch? „Die Chinesen sollen nach Polen einfallen.“ Die Chinesen kamen, brannten alles nieder, vergewaltigen die Frauen, plünderten, und so weiter, zogen ab. Zweiter Wunsch, noch einmal. Der dritter Wunsch, noch mal. Sagt die Fee, „Aber Polak, hast du nicht gesehen, was sie mit eurem Land gemacht haben, was sie mit euren Frauen gemacht haben? Und trotzdem sollen sie kommen?“ „Ja!“. „Ja, warum denn?“ „Die müssten sechsmal durch Russland durch.“ (Pause) Die lachten! Die Opara nahm mich unter den Arm, nebenan, die malt fantastisch, die gab mir drei von ihren Drucken, also von ihren Bildern als Drucke, da kam die Beata dazu „wie, hat sie dir geschenkt?“ „Ja.“ „Und ich musste letztens teures Geld dafür bezahlen, damit ich sie dir schenken kann.“ Die hatte ich zum Teil schon. Ja? Und so ist die Atmosphäre... bis so... positiv. Ne? Also für mich gibt’s keine Unterschiede. Ich kenne natürlich sehr viele, die heute noch für unseren Vorstand arbeiten, oder, die mitten drin sind, „diese Polaken da drüben“ und so weiter, diese Negativhaltung, die gibt es in Deutschland genauso wie hier. Ne, aber ich sag ja, die Ostpolen haben eigentlich das gleiche erfahren wie wir auch.
Sequenz – Erste Begegnungen mit Polen 2002
DA: Und wann hast du das, wann hast du da angefangen, dich damit zu beschäftigen? Oder wusste man das immer?
WG: Ne. Ich bin eigentlich sehr misstrauisch hier rüber gefahren, nach, ich sagte ja, 2002 so etwa, sehr misstrauisch, mein Auto immer in Augen, äh, im Blickwinkel, äh, im Blick gehabt. Und, äh, irgendwann im Nachbarort hier, wo übrigens nen altes Schloss steht, von Knobelsdorf, den Namen kennst du? Erbauer von Sanssouci. Der ist ja hier im Kreis geboren. Und ich guckte dann auch wieder, nebenan waren randalierende Jugendliche. Eigentlich das einzige Mal, wo ich nen bisschen Fracksausen hatte, aber da saßen zwei alte Polen, nen Männlein und nen Weiblein, die signalisierten mir, „ja geh ruhig, wir passen auf dein Auto auf“. Und ähm, ich wollte fotografieren, ich hab die Kirche fotografiert und so weiter.... So unterschiedlich ist das, gewesen. Ich hatte nen gewisses... ungutes Gefühl. „Was machen die Polen eigentlich mit dir, wenn du hier ne Panne hast? Was machen die mit dir, wenn sie dich hier irgendwo mitten im Wald erwischen?“ Ne? Und ich hatte sich hier nachher nen, als ich sie hier kennen gelernt hab hier, es war schon, die ganze Angst, die war weg. Ne, der Andrzej gab mir dann seine zweite Telefonnummer, der ist hier im Finanzamt beschäftigt, so nach dem Motto, nicht wahr, also, wenn du Hilfe brauchst, dann rufst du an. Der Bürgermeister von Sagan, der signalisierte mir vor anderthalb Jahren, „Wenn Sie Hilfe brauchen, sagen Sie Bescheid.“ Ob der Mann mich noch heute kennt, das weiß ich nicht.... ne, also das, hatte sich so positiv entwickelt und ich sag mir immer wieder, mich interessiert die große Politik überhaupt nicht, mich interessiert das was hier zwischen Mensch und Mensch passiert. Und wichtig sollte sein, dass man mit Kindern spricht, egal wo, auf beiden Seiten. Nur leider ist es so, dass ich sehr weit im Westen wohne, das ich keine Möglichkeiten habe auf, und jetzt kommt auch das Alter hinzu, keine Möglichkeiten habe, auf äh, mit Kindern hier zu arbeiten, die auf unserer Seite wohnen. Denn ich habe wirklich negative Erfahrungen gemacht mit ehemaligen Genossen. Ach die haben mir angedroht, nicht wahr, deutsches Kulturgut und so weiter und was machst du damit? Ja... das möchtest du wissen.... Ich hoffe, dass du einigermaßen zufrieden bist, ich weiß es nicht.
DA: Doch ja, total.
WG: ist es das erste Mal, dass du das machst?
DA: Nein.
WG: Schon mehrfach?
DA: Mehrfach nicht, aber genau...
WG: Münsterland. Münster hatte einen sehr bekannten, einen sehr berühmten Bischof. Von Galen.
Kennst du noch, ja?
DA: Ja klar. Wir haben auch ne Schule bei uns, die heißt Kardinal-von-Galen-Gymnasium.
WG: Siehste, das ist auch wieder durch die Zeit, durch das, was man vor 45 gehört hat gefärbt ist. In Münster gabs einen gewissen Mölders, nen Jagdflieger? Auch schon gehört den Namen?
DA: Ne.
WG: Erzkatholisch. Und ähm... der Galen hatte nun auch erfahren was im KZ passiert und der hatte wohl den Mölders angesprochen, weil er ja wohl aufgrund von Aufzeichnungen bei Adolf gut angesehen war, er sollte doch mal dafür sorgen, nicht wahr, dass es nen bisschen nachlässt. Äh, wie weit nun Mölders da weiter vorgedrungen war weiß ich nicht, aber irgendwann war der dann auch abgestürzt. Ob der abgestürzt worden ist, weiß man nicht, was in Wirklichkeit passiert ist, großes Fragezeichen. Naja, aber das war so das erste und einzige Mal, was heißt das einzige Mal, das einzige Mal wars nicht, später dann, was ich zur damaligen Zeit über van Galen gelesen habe. Mhm. Münsterland, naja, Möllemann, mein Augenarzt kommt aus Münster. .
Sequenz – Übersiedlung nach Westdeutschland 1961
DA: Seit ihr denn zufällig...also, als ihr damals von der DDR in den Westen gegangen seid, wie ist das abgelaufen? Hattet ihr auch irgendne Anlaufstelle, oder wo seid ihr hin?
WG: Äh, ich wollte, und bin auch dort hingekommen, obwohl es gesperrt war, nach Nordrhein-Westfalen. Weil hier der einzige Schwager wohnte, oder der einzige Verwandte, der nicht, ich hab neben meinem Bruder selbst keinen Verwandten, aber meine Frau, die ist, die hat noch sieben Geschwister gehabt, und davon leben noch sechs, und der war in Westdeutschland, in, in Hagen damals. Und ich habs dann auch geschafft, dort hinzukommen, obwohl man mir sagte, Westdeutschland wäre gesperrt. Ich habs nen bisschen getrickst und das hat dann geklappt.
DA: Wie?
WG: Du bist aber neugierig.
DA: Ja, wie, was musste man machen?
WG: Ja, ganz einfach. Man muss die Gewohnheit der Menschen ausnutzen. Ich bin, es hieß dann, ich musste, wir mussten dann, müssten wir damit fertig sein äh, wir werden eingewiesen, und ich bin dann, wirklich auf den letzten Drücker dort in diese, in dieses Büro gegangen, das war alles im Lager und äh, dann kam noch ne Lady, die kam ganz schnell an und sagte „Entschuldigen Sie bitte, ich, ich hatte keine Zeit oder ich war verhindert.“ Ich sag „Geh Sie erst rein.“ „Aber Sie sind doch dran.“ Ich sag „Geh Sie mal rein.“ Dann kam sie raus und sagte „Jetzt macht der Mittag.“ Ich sag „Stört mich nicht.“ Sie war weg, ich macht die Tür da auf, da steht der schon „wie noch einer?“. Sag ich „Ja.“ „Ja, ich will, ich hab jetzt Pause!“ Sag ich „Wissen Sie, das geht doch ganz schnell.“ „Wo wollen Sie denn hin?“ „Nordrhein-Westfalen“ „Nein, das geht nicht.“ „Ich sag, Menschenskinder, so und so....“ „Ach, jaja...“ Der wollte nur zum Mittag, der wollte Pause haben, weiß nicht, ob er im Ort wohnt, oder was, das weiß ich nicht, ne, aber...
DA: Man brauchte ne Genehmigung um dann dort und dort hin umziehen zu können? Von DDR-Seite oder was?
WG: Nein, das war damals, das war.... DDR-Seite. DDR, da wär ich... da wurde man verhaftet zur damaligen Zeit, wenn man erfuhr, dass man in den Westen gehen möchte, guck dir mal solche Filme an, gibt sehr viele Filme dieser Art. Ja? Eben auch letztens... ja sag mal, das war doch... ich mag die Lady nicht mehr, sie äh, wie heißt sie? Simone Tumala. Tumala? Ja. Tatortkommissarin. Und da wurde einem auch geschrieben, unter anderem auch geschrieben, dass es ein heißes Eisen ist, das da angepackt wurde, und es ging da ganz einfach um, um... äh, Mordaufträge seitens der Stasi, die ja wirklich stattgefunden haben, und ähm, dann weiß du etwa, was zur damaligen Zeit üblich war hier.... und genauso wars hier in, in... Polen. Zur sozialistischen Zeit. Da hab ich dann wieder mit dem Andrzej Antonowicz ziemlich lange drüber gesprochen. Bzw mit unserem Freund, äh, mhm. Tomala, äh, nein, äh, Tominski, Tadeusz Tominski.
DA: Können die eigentlich alle gut deutsch?
WG: Die ich erwähnt habe: ja. Sie [Beata Halicka] kann am besten, natürlich, ja mit den anderen kann man sich verständigen. Es gibt manchmal wieder, so irgendwann dann Fragen, äh Widersprüche und so weiter aber das klärt man dann. Der Andrzej sagt dann „Willi, wir sind doch Freunde“. Und der Bürgermeister hatte es mehrfach erwähnt und von versammelter Mannschaft „Willi, wir sind doch Freunde.“ So hat er mich auch begrüßt. Ich war eigentlich sehr, denke ich „wie wird das wohl ablaufen?“ Ich hatte ihn in den letzten Jahren nicht mehr gesehen, er hatte mich mehrfach eingeladen, ich hatte abgelehnt, hab gesagt „Menschenskinder, tut mir Leid, ich habe keine Zeit.“ Es war wirklich so. Und gestern ist hier meine Story, die du ja wahrscheinlich von ihr bekommen hast, das was ich hier, was ich hier jetzt etwa in Kürze erzählt habe, „Das Ende meiner Kindheit“, das hab ich genannt, das hat der Andrzej jetzt übersetzt ins Polnische und gestern gabs hier noch Fragen, wo er etwas nicht verstand, haben wir das gemeinsam hier aufgearbeitet.
Sequenz – Gespräch über Dorfplan von Baudach
DA: Ich hab von Beata auch so ne Karte gekriegt von Baudach, wo sie mir,... [alte Straßenkarte von Baudach wird ausgebreitet]
WG: Ne genau, das ist die alte.
DA: ...und ich habe mich dann so ein bisschen gefragt, weil du ja in deinem Text schreibst, dass ihr in der Hausnummer 32 gewohnt habt, oder?
WG: Ja, die alte 32 und die ist da oben. Jaja, da ist da oben. Das hier unten ist, Bauer Wagner. Und das ist Simons Ecke, wo das Kreuz ist.
DA: Der Gasthof ja?
WG: Nein, der Gasthof, der ist da oben. Ne? Und so, jetzt, Moment mal, jetzt muss ich mich selbst konzentrieren, Ziegelscheune, der ist da, die eins. Siehste und hier gings raus, hier wurden wir raus getrieben, in Höhe des Friedhofs etwa, Soldaten, dann auf ein Feld getrieben und erschossen, und wir sind dann weiter. Das ist der neuere Plan. Die Beata sagt „Wie, neuere Plan?“ Hast du denn von der Beata bekommen? Das Weib [schmunzelt]
DA: Und das soll sozusagen das Dorf vor dem Krieg zeigen ja? Ja ich bin echt gespannt wie das heute aussieht.
WG: Ach Mädchen. Ich fahre nicht mehr wegen des Ortes, ich fahre jetzt wegen der Menschen. Jetzt sag ich dir was, was du bitte nicht der Beata sagst. Die haben ja beide, die Beata und der Andrzej, und die Opara, die Opara ist ja eben die Museumsleiterin. Und die wollten mir eine Freude machen, und deswegen sollst du nichts sagen. Die haben mir ein Bild geschenkt, von der Kirche und von meinem Elternhaus, kenn ich nicht. Das ist nämlich so, wie es jetzt aussieht. Ich habs ganz in anderer, als Elternhaus hab ichs ganz anders in Erinnerung. Ja? Und die Kirche. Ich bin... eigentlich Atheist. Ja? Aber eingetragener Protestant. Und ich kenne, und in Baudach lebten glaube ich, eine katholische Familie, soweit ich denken kann. Du bist aus dem Münsterland, also katholisch. Ähm, hm, und ich sag mir immer wieder, egal, schnurz-pip-egal wer man ist, wenn man einem Tisch sitzt, sollten nur die Themen wichtig sein, nicht die Religion. Ähm, die waren oben in der Brennerei, da oben, da wohnte eine katholische Familie, alles andere war protestantisch. Und jetzt die Kirche mit Kreuz, katholisch, auch das ganze Innere, vollkommen entfremdet, kenn ich nicht. Ja? Auch die Wege, die man als Kind gegangen ist, die prägen sich ein, die sind nicht mehr, die sind verwildert, kaputt. Unsere Schurre existiert so nicht mehr. Ja? Die Teiche. Du sprachst auch darauf, kamst auch darauf, z.B. hier der hier, hier der Teich oder dann ist hier normalerweise unten noch einer, jetzt muss ich mich schon wieder konzentrieren, hier unten ist noch einer, das ist der so genannte, der Feuerwehrteich, wo ich eben bei Kriegsbeginn war, da ist eben die Schurre, die läuft hier von hier oben, kommt sie hier runter, runter, runter, geht dann hier unten irgendwo hier durch und kommt in den Endteich. Hier am Weinbergsteich haben wir geplanscht, als Kinder, ist nur so tief, bei 5-jährigen geht er vielleicht bis zu den Knien. Schwimmen gelernt da oben, aber ich nicht, ich war Spätzünder, ich musste ja erst mal zur Schule fahren, ähm, ich hab in Sachsen-Anhalt schwimmen gelernt, aber hier oben, das war unserer Schwimmteich. Hier oben haben wir Eishockey gespielt, und das sind so die Sachen, die ich mit der jetzigen Kindergeneration gener besprechen würde. Ne? Drewitz-Haus. Hier ist mein Onkel erschossen worden, irgendwo hier in dem Eck. Ja. Ich war nen bisschen vorbereitet. Wär ich unvorbereitet gewesen, dann... mhm, das geht mir dann manchmal kalt den Rücken runter, die äh, Kollegin, die mich interviewt hat, damals wegen ihres Buches, da wars noch schlimm. Und ähm... ich habe vor ein paar Jahren aufrecht im Bett gesessen, ich habe geheult wie nen Wolf. Ich hab von den Erschießungen geträumt. Es geht nicht weg. Wenn du so Bilder aus dem Kosovo gesehen hast oder was, zerlumpte Kinder.
DA: Ich hab Freunde da im Kosovo, die das auch erzählt haben.
Sequenz – Unmittelbare Nachkriegszeit, Nahrungssuche, Vertreibung
WG: Die das auch erzählt haben, nicht? So waren wir, so sind wir gegangen, wir waren grausam. Wir haben als Flüchtlinge nachher in Sachsen-Anhalt, wenn der Polak gesagt haben, den haben wir verprügelt, aber wie.
DA: Die haben Polak gesagt?
WG: Natürlich, wir waren die Polaken. Wir kamen ja von... der anderen Seite der Oder, wir waren die Polaken. Als wir dann Fuß gefasst hatten, so etwa, wie gesagt hier, äh, in der Schule, wir haben die anderen unterdrückt. Die konnten zwei Köpfe größer sein, wir waren gemein, wir kannten keine, keine Regeln oder was. Naja... wir haben organisiert, geklaut. Ha. Diese Frau Hilbrecht, die ich erwähnt habe, die sagte irgendwann mal, zu meiner Mutter, ich stand dabei, „Geh sie doch mal darüber, hinter der Flakstellung, da ist nen Feld, da liegt immer noch Getreide, der Bauer hat keine Pferde mehr, der kanns nicht holen.“ Na, wir habens geholt. Hin, nen Sack, Knüppel, die Ähren rein innen Sack und dann mit dem Knüppel drauf, so wurde gedroschen. Und dann zuhaus ausgeblasen. Und dann, wir hatten ne Schrotmühle, und dann kein Mehl, Schrot erstmal. Mhm... ach, ich lernte dann... äh... die kam zur gleichen Zeit mit uns in diesen Ort, das muss zur Weihnachtszeit gewesen sein, das kann schon Schnee gewesen sein, kam der an, „Jungs, kommt ihr mit?“. Mein Bruder ging nicht, oder war er auch dabei, ich weiß nicht. Ich geh mit mit meinem Roland, der kam aus Oberschlesien, Oberschlesien, ja? Perunie bei Gleiwitz. „Ähm, da steht noch...“ Welcher Kohl wird im Winter geerntet, der Grünkohl? Irgendnen Kohl, ne? Sagt er „Wir gehen jetzt ernten.“ Haben überall nen Groschen hingelegt, überall wo wir nen Kohlkopf raus geholt haben, nich? Ja. (Pause) Und noch etwas war, ich weiß nicht, ob, ob dus gelesen hast, am 10. Februar 45 hab ich alles vergessen, war alles weg, was ich in der Schule gelernt hatte, alles, radikal. Nur ich habs nicht gemerkt. Es wurde ja nicht gefordert. Gefordert wurde, ja ob wie kann ich was zu Fressen ran holen. Wie kannst du was besorgen. Ja? Und äh, ja wenn wir dann auf unserem Treck irgendwo nen Haus sahen, da haben wir uns genau angesehen und manchmal passierte folgendes, dass ein oder zwei Jungen, die vor uns waren, die blieben stehen, und mein Bruder eben als damaliger HJ-Führer, nich, das war immer nen Vorbild, heute nicht mehr. „Gott, kommen wir da rüber, wollen wir da rüber?“ „Ja natürlich.“ Also, erstmal hin, ob da noch Menschen waren? „Nicht.“ Meist waren keine Menschen da. Eventuell war noch nen Hund da, halb verhungerter. Der kam uns entgegen, „ja, nun kam ja endlich mal wieder jemand, der mich streicheln konnte.“, na dann erst mal rein, gucken, wir wusste ja auch immer wo die Keller meist waren, und da haben wir est mal ge-, soweit wie möglich da irgendwas war, Eingewecktes oder so, raus geholt. Immer nur so... Ne? Man hat doch nur noch ans Essen gedacht, ans satt werden. (Pause) Puh... du, das wurde, da hatte uns mal jemand nen Schinken, nen Teil vom Schinken, also es war folgendes: Die Russen hatten natürlich erst mal alles mitgenommen, und dann flogen die Teile vom, vom, vom LKW runter, so nen Schinken meinetwegen, da waren die Maden drin. Die wurden raus gewaschen, wurde gegessen. Mhm... (Pause) Mhm (Pause) Dann wurde, grad in Wutschdorf, ich sag ja, ich war vor ein paar Jahren dort, ich bin aber nicht rein gegangen, da waren dann über den Berg rüber, auf der anderen Seite, es waren vielleicht 100m, war nen Teil vom Gut, da wurden damals, die Russen hatten ja Angst vor, wegen, wegen Flug, wegen Flieger-, Fliegerangriffe, das wurd, wurde Benzin vergraben. Ne? Und dann sagte die eine Frau, die Frau Klaus, die sah in mir ihren Sohn, „das müsste mein Sohn wissen“. Der war damals bei den Kampffliegern, Bomberpilot, auch nen Ausgezeichneter. „Der würde nen paar Bomben rein schmeißen.“ (Pause, seufzt).
Sequenz – „Wichtig ist, dass man darüber spricht“…
Ja, was meinst du denn? Denken war doch ganz anders als heut. Das Denken war anders. (Pause) Wenn wir jetzt, nem Polen gegenüber sitzen oder nem Tschechen meinetwegen, die würden schon wieder was, auch was dazu sagen, irgendwo würden wir uns treffen, nämlich nur hier. Ne, aber sonst. Die hatten Angst, der würde vielleicht sagen, er hätte alles gehasst, was Deutsch gesprochen hat. Absolut richtig. Natürlich. Der Vietnamese sagt vielleicht „ich hasse alles was amerikanisch, was englisch spricht.“
(Pause) Aber das muss irgendwo, irgendwann mal.... und für mich ist es nur wichtig, nicht war, dass irgendwo nen Schlussstrich ist. Beata hat mal gesagt, wie war das, krieg ich jetzt glaub ich nicht hin, steht im Internet, könnte im Internet stehen. Ähm...? Oh Gott. Ne, vielleicht lieber nicht. Eben praktisch sinngemäß, nicht wahr, „wir können darüber sprechen“ und das ist das, das, was ich gesagt, wir können darüber sprechen und sollten darüber sprechen, aber ohne uns gegenseitig Vorwürfe zu machen. (Pause) Letztens habe ich zu jemandem gesagt, ach so zu Marek Cibula, dem Bürgermeister, „das hätt in Polen genauso passieren können.“ Denn die Polen... erste Frage: weißt du, dass hier die ganzen Friedhöfe kaputt gemacht worden sind? [DA nickt] Siehst du? Die waren, die damals unsere ganzen Friedhöfe platt gemacht haben, hätte man denen ne Flasche Schnaps gegeben und hätte man denen gesagt „da drüben, in dem Haus, wo sind die Fenster erleuchtet sind, da wohnen Deutsche drin.“ Dann wären diese Polen rüber gegangen, hätten denen eins vor den Kopf gehauen, das war überall möglich. Ja? Aber für mich ist eben wichtig, dass man alles anspricht. Egal wie. Es muss angesprochen werden. Aber, nicht mehr vorwurfsvoll, wir sind, wir gehören einer Generation an, die dafür nichts kann, was da damals war. Für mich kommt es eben 20, 30 Jahre zu spät, sonst würde ich versuchen mit ner Klasse, 8., 9. Schuljahr, hierher zu kommen mit, nach Baudach, müsste man hier, die, die Möglichkeiten schaffen, um ähm, mit denen gemeinsam nen Projekt durchzuziehen. Da gibt es den Park z.B., ich bin nicht mehr drin gewesen, doch 70, 71 einmal, der ist natürlich vollkommen verwildert, um den in Ordnung zu bringen. Die Baudacher wollen den in Ordnung bringen. Ich hab gesagt, das sollte man hinten ran schreiben, als Punkt 5, 6, 7, 8. Die Schurre oder irgendetwas, was ins Auge fällt, wenn Deutsche da wieder hinein kommen, jetzt meintet wegen, die mal hier gelebt haben, „och, die haben ja unsere Schurre wieder in Ordnung“. In den Park geht man zum Schluss rein. Aber das was, was, was jeder Baudacher zur damaligen Zeit gern hatte, woran er sich erinnert, in seinen, was zurück geht bis in seine Kindheit. Meine Eltern, meine Mutter, die hat auch schon an der Schurre gespielt früher. Und... da ist soviel was anders gemacht werden könnte.
DA: Aber es ist ja auch bald niemand mehr da, der sich daran erinnert.
WG: Wir sind ne aussterbende Spezies. Ja? Ich habe irgendwann mal inner Schule gesagt, oder danach, ich sag, „stellt Fragen. Wir sind die letzten die etwas darüber erzählen können. Die anderen Kollegen...“, dann an der Schule, ich war dann hoch in den 50ern, „alle die nach mir kommen, die wissen es nur aus Büchern.“ Ne? (Pause) Das sind Sachen, die, die gehen damit verloren und ich finde das auch schon in Ordnung, im ersten Moment wollte ich sagen „Schluss, Feierabend“, aber, man solls... aufbewahren. Ne? Ich sag immer, nen tschechischer, oder nen deutscher, äh nen polnischer Junge, der damals so alt war wie ich, der wird anders denken darüber, der hats von der anderen Seite gesehen... ne? Aber wichtig ist doch, dass man sich heut, dass man heut etwas hinterlässt, für die, die jetzt nach uns kommen, dass man zumindest erst mal auch, auch die Sache ein..., so bestellt, dass es hier keine Probleme mehr gibt.
© Všechna práva vycházejí z práv projektu: Poles, Germans and Ukrainians and their memories on forced migration
Witness story in project Poles, Germans and Ukrainians and their memories on forced migration (Dorothee Ahlers)