Aglaë Hagg-Thun

* 1955

  • "Einen riesigen Lastwagen hat sie begleitet, sie selber saß in einem Auto daneben. Und dieses Auto ist dann irgendwann zusammengebrochen, das kleine, und sie musste in den Lastwagen selber umsteigen. Das heißt, sie ist physisch mit den Toiletten in dem Lastwagen zu den frisch gebauten Häusern gefahren, wo die Toiletten montiert wurden. Aber davor war sie selber mit Stiefeln unterwegs und hat die Leute, die im Schlamm gesteckt sind, mit Essen versorgt, Kleider gebracht, Stiefel ausgeliefert. Die ersten Stiefel waren einfach in einem kleinen Bus, und die hat sie dann dort verteilt. Damit waren die Kontakte gemacht. Angezeigt war das Ganze über die Diözese und die Pfarren, die genau gewusst habe, bitte, heute brauchen wir 100 Paar Stiefel in der Groesse 38 und 20 in der Groesse 42. Und denen hat sie sie abgegeben. Und so hat sie die Menschen kennengelernt und hat ihnen natürlich versprochen – ich komme wieder. Und wenn sie weggefahren ist, war das mit einem schweren Herzen. Meine Landsleute leiden unter dieser Katastrophe, ich muss wieder kommen!“

  • "Im Nachhinein, als ich fast dreißig Jahre alte war, habe ich verstanden, warum wir nie, weder von meinem Stiefvater, noch von meiner Mutter jemals nach Hause, nach Böhmen mitgenommen worden sind. Es gab keine Urlaubsreise, kein Wochenendausflug, niemals ist man nach Böhmen gefahren. Das gab es nicht. Wir hatten es nur aus Erzählungen gekannt. Die tollen Walder, die tollen Felder. Alles war besser in Böhmen, die Sonne hat besser geschienen und der Mond war weniger kalt, usw., usw., usw. Wir habe dann irgendwann in der Pubertät gesagt - ach, die spinnen, das kann ja nicht so gewesen sein. Es is einfach das Trauma, die Sehnsucht und Heimweh, das die Eltern so übertreiben lasst. Wie mein Bruder und ich das erste Mal, nach der Wende in 1989 zurückgegangen sind nach Böhmen, sind uns die Augen rausgefallen. Denn die Walder waren wirklich grösser, die Bäume waren wirklich höher, die Felder waren wirklich gelber. Und die Pracht der Natur Mährens und Böhmens haben wir erst dann als Realität empfunden. Vorher haben wir es nicht geglaubt gehabt. Und warum konnten wir nicht während der gesamten kommunistischen Zeit nie hinüberfahren mit meinen Eltern? Auch das haben wir erst danach erkannt. Weil sie aufgrund ihrer Schmuggeltätigkeit sofort verhaftet worden wären. Die KGB hat auf der Grenze auf sie gewartet. Das hat man uns natürlich nicht gesagt, damit wir es nicht wissen. Was du nicht weißt, macht dich nicht heiß. Wir hatten nicht erpresst werden können. Weil wir wussten ja gar nicht, dass die Eltern geschmuggelt haben. Wenn da Pakete waren mit Kleidern, die irgendwo geschickt worden sind, dann waren es halt irgendwelche Arme, die was gebraucht haben. Aber dass das über eine Grenze ging über die es nicht hätte gehen sollen... Bibeln. Ja, die Bibeln waren da, das wusste ich allerdings schon, dass die geschmuggelt wurden. Relativ blad. Natürlich Medikamente, die Medikamentenaktionen haben bei uns begonnen, zuerst nur mit Vitaminen für den Vaclav Havel, wenn er im Gefängnis war, für den Dominik Duka, wenn er im Gefängnis war. Und dann ist es institutionalisiert worden, und auch die Klöster und die Pfarren und andere Gemeinden haben dann Medikamente geschickt bekommen, weil einfach zu wenig da war, vor allem nach der 68-er Revolution. Und diese Aktion gibt es immer noch und heißt St. Lukas."

  • "Was ich viel starker mitgekriegt habe, ist die 68-er Krise, die tschechische. Wie dann die tschechischen Fluchtlinge gekommen sind, da war der Malteser Hilfsdienst schon voll installiert, zwölf Jahre später. Da gab es die Rettungswagen sogar, eigene Autos habe sie gehabt, eins, zwei. Damit konnte schon auch medizinische Hilfe an die Grenze nach Neu-Nagelberg gebracht werden. Meine Mutter war sicher drei, vier Wochen weg von Zuhause, ich erinnere mich, dass sie mir gefehlt hat. Ich war mir dessen schon vollkommen bewusst, das war alles schon klar. Sie ist dort geblieben. Mein Vater konnte natürlich nicht so lange bleibe, weil er berufstätig war und zur Arbeit musste, er war ja im Staatsarchiv tätig. Ich spreche jetzt von meinem Stiefvater, Berthold Waldstein. Aber er war der Kommandant, er war der Chef des Malteser Hilfsdienstes. Und hat auch viel Zeit dort verbracht, in Neu-Nagelberg, um die Fluchtlinge zu empfangen. Und zwar haben sie sie medizinisch versorgt, Verletzungen versorgt, Krankheiten, Husten, Heiserkeit, was sie sich an der Flucht angesammelt hatten. Die Kleiderverteilung war mehr in den Händen des Roten Kreuzes damals. Und die Versorgung natürlich mit Essen und Trinken, Teekochen usw., die war besonders wichtig. Meine Tante, Mirli Waldstein, ist so weit ich weiß nur über Wochenenden dahin gefahren, weil sie auch berufstätig war und sich nicht so leicht freimachen konnte, aber sie hat sich dann doch frei gemacht. Viele Institutionen habe verstanden, dass die Hilfskräfte von der Arbeit freigestellt werden müssen, um and die Grenze geschickt zu werden, und deswegen konnten sie auch relativ viel machen. Zelte sind aufgebaut worden."

  • Full recordings
  • 1

    Praha, 16.10.2023

    (audio)
    duration: 02:02:50
    media recorded in project Tschechisches Adel
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Chtěla jsem, aby i moji učitelé v Rakousku byli tajně kněží jako ti čeští

Aglaë Hagg-Thun, Praha, 2023
Aglaë Hagg-Thun, Praha, 2023
photo: natáčení

Aglaë Hagg-Thun se narodila 15. října 1955 ve Vídni do rodiny Daisy a Michaela Thun-Hohensteinových. Po otcově předčasné smrti se matka provdala za Bertholda Waldsteina-Wartenberga. Její matka, otec i otčím pocházeli z významných českých šlechtických rodin a po odsunu z Československa se jim po domově silně stýskalo. Matka i otčím byli aktivní v organizaci maltézské pomoci, která se často řídila z jejich rodinného bytu ve vídeňské Skoda-Gasse. Až ve třiceti letech Aglaë pochopila, jak významnou roli sehrávali její rodiče a lidé z jejich okruhu nejen směrem k uprchlíkům z Československa, ale i dovnitř země. Podíleli se třeba na pašování nedostatkových léků a zakázaných knih do své bývalé vlasti. Roku 1978 se vdala za rakouského diplomata Waltera Hagga, žila s ním na misích mj. v Itálii, Nigérii nebo Irsku. Mezi nejdůležitější okamžiky jejího diplomatického působení patří svatořečení Anežky České v Římě, jehož se osobně zúčastnila. Rodinná pouta ji vážou zejména k Rokytnici u Přerova, odkud pocházela její matka Daisy.