Elfriede Hannawald

* 1939

  • "Das war schlimm. Wir haben es alle gespürt. Wir durften nicht mehr laut sein. Wir haben es gesehen auf der Mutter. Sie war aufgeregt, sie hat viel geweint. Sie ist nie fortgekommen, sie war ein einziges Mal weg mit dem Fahrrad, die könnte nicht mal Radfahren. Sie ist mit dem Fahrrad nach Pribus. Ich glaube, sie war nie in Neudek. Sie kannte das nicht. Und dann so plötzlich wir müssen fort. Soe hatte so viele Kinder. Jetzt wir müssen fort. In der kurzen Zeit, als kam der Lastwagen, ich habe noch nie so ein großes Auto gesehen. ´Mein lieber Gott, was nehme ich mit, was nehme ich mit für die vielen Kinder?´ Dann hat sie schnell die Eheringe eingepackt, von ihr und von dem Papa. Wir durften kein Gold mitnehmen, wir wurden gefilzt. Dann hat sie in ein Kopfkissen eingenäht. Dann hat sie einen Stollen gebacken, den müssten wir mitnehmen, wer weiß, wie lange sind wir weg, wann wir wieder zurückkommen. Man hat gesagt, wir kommen zurück. Jeder hat daran geglaubt, keiner wollte es wahrnehmen. Dann hat sie diesen Stollen, den sie gebacken hat, hat sie eingewickelt in ein feuchtes Tuch, damit es lange hält. Diesen Stollen hatten wir noch, verschimmelt, in Günzburg, wo wir in dem Lager waren, haben wir von diesem Stollen gegessen. Dann waren wir in Freihalden, in den Baracken, und sind alle krankgeworden. Durch diesen verschimmelten Stollen. Wir hatten nichts zu essen."

  • "Die große Schwester Lotte und mein großer Bruder Enrsti gingen zur Schule. Da habe ich mitgekriegt, da habe ich mitgekriegt, irgendwo war er in einem Verein, einem HJ. Die G#urtel hatte er immer polliert, mit Ziegenmilk, dass sie schön glänzte, die Schnalle hatte er polliert mit Soda, da hatte er immer das Hemd an gehabt, das Soldatenhemd und die Hosen, und er war immer ganz stolz weggegangen. Und später in der Nacht habe ich öftersmal gehört, als er heimkamm, die Schwester hat immer gesagt, mussßt DU dabei sein, bei diesem Verein?Da haben sie oft gezangt mitten in der Nacht, da war es sehr laut und deswegen weiß ich es."

  • "Die haben den Cousin Ernstel und den Franzi. Und mein Bruder Albert, wir vier waren immer zusammen. Wir hatten Hunger, sind zur Mutter gegangen, haben gesagt: ´Mama, gib uns Brot´, Brot mit Marmelade, die haben die Mutter alle selber gemacht. Und dann sind wir an einen kleinen Bach vorbeigelaufen, da waren viele Forellen. Dann war dort eine Brücke. Die Brücke war breit. Und wir gingen immer barfuß, wir hatten keine Schuhe. Und ich habe mit den Händen Forelle fangen können. Auch der Bruder Albert. Und dann sah ich unter der Brücke einen Revolver. In einer Ledertasche. Ich liebe Wasser, und ich bin dann rein, getaucht und habe den Revolver rausgeholt. Und kam dann raus und dann hat der Ernstel gesagt: ´Gib mir den Revolver.´ Nein, den schmeißen wir weg, weil unser Papa gesagt hat: ´Alles, was an Munition herum liegt, nicht nehmen.´ Aber die Buben, die wollten den sehen, die haben ihn aus der Tasche rausgeholt, der war noch tropfnass, hat alles getropft. Mein Bruder hat gesagt: ´Elfriede, geh auf die Seite, lass mich hin, ich will den sehen, ich will den auch mal nehmen.´ Dann hat der kleine Franzi, der war vier, der hat gesagt: ´Schmeiß das weg, was haben die Mama und der Papa gesagt? Munition wegschmeißen. Auf einmal ging ein Schuss los, hat der Ernstl seinen Bruder Franzi erschossen. Der fiel dann vor die Brücke rein, alles war voll Blut, wir sind gerannt nach Hause, es war nicht weit weg, mein Vater kam in Uniform, hatte uns Ohrfeige gegeben: ´Geht sofort heim!´ die Mutter hat gerufen: ´Papa, nimm eine Decke mit!´ Da haben sie den kleinen Franz eingewickelt, auf die Schulter genommen und hochgetragen zu der Tante Berta. Die war nicht zuhause. Da hat mein Vater mit den Stiefeln die Tür eingeschlagen, und hat den kleinen toten Buben auf den Divan gelegt. Dann hat er seine Schwester geholt, neben dran im Haus, hat gesagt: ´Berta, komm heim, es ist etwas Schreckliches passiert. Dein Sohn lebt nicht mehr.´ Das war schrecklich. Und das kann ich mir am allermeisten erinnern."

  • "Ja, eben dieses Haus, wo der Petříček gewohnt hat. Er kam immer zu meinem Bruder. Er war immer schön gekleidet, schöner wie wir. Es war der einzige Sohn. Wir hatten kein Spielzeug. Da hat der Papa einen alten Reifen, dann hatte man einen Stock, damit hat man den Reifen angeschieben. Jetzt wollte dieser Petříček auch diesen Reifen. Er hat mit der Mutter in dem deutschen Haus gewohnt. Sie hat gesagt, dass er diesen Reifen will. Mein Papa hat gesagt: ´Kinder, alles, was die Tschechen, wollen, musst ihr ihnen überlassen. Dann haben wir Frieden.´ Dann hat die Frau gesagt, ich soll den Reifen bringen. Ich habe gesagt: ´Nein´. Dann ging sie in die Wohnung rein, weil das war vor der Haustür, sie ging in die Wohnung rein, sie hatte eine tschechische Uniform getragen. Sie ging rein nahm das Gewähr. Ich habe gewusst, was kommt, und sprang um das Hauseneck. Aber der Schuß ist losgegangen, ich habe den Knall noch gehört. Da bin ich weggelaufen. Da habe ich mich versteckt im Wald. Nach Hause durfte ich nicht gehen. Die hätte mich erschossen. Ich war im Wald und bin erst spät abends mit Angst nach Hause gegangen."

  • Full recordings
  • 1

    Rehau, 13.09.2019

    (audio)
    duration: 01:31:19
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Das Erzgebirge trage ich im Herzen. O Arzgebirg, wie bist du schie!

Elfriede Hannawald
Elfriede Hannawald
photo: Post Bellum

Elfriede Hannawald wurde am 28. Juni 1939 in dem jetzt untergegangenen Ort Sauersack (Rolava) im Erzgebirge geboren. Ihr Vater war Arbeiter im örtlichen Zinnbergwerk und ihre Mutter kümmerte sich um den kleinen Bauernhof. Unter den schwierigen lokalen Bedingungen war es nicht leicht, eine vielköpfige Familie zu ernähren. Im Juli 1946 wurden die Baumgartls nach Südbayern ausgesiedelt (Freihalden). Elfriede schloss dort die Grundschule ab und begann zu arbeiten – zunächst in der namhaften Handschuhfabrik Afira in Burgau. Später zog sie ins Allgäu in die Berge. Sie hat vier Kinder. Beide Ehemänner teilten mit ihr das Schicksal der aus der Tschechoslowakei vertriebenen Deutschen. Ihre große Leidenschaft sind Egerländer Lieder und Musik.