The following text is not a historical study. It is a retelling of the witness’s life story based on the memories recorded in the interview. The story was processed by external collaborators of the Memory of Nations. In some cases, the short biography draws on documents made available by the Security Forces Archives, State District Archives, National Archives, or other institutions. These are used merely to complement the witness’s testimony. The referenced pages of such files are saved in the Documents section.

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Helmut Haselberger (* 1942)

Wir waren am Ende der Welt.

  • Familie väterlicherseits aus Dorf auf der tschechischen Seite der Grenze wenige Kilometer von Finsterau entfernt, Vater nach Finsterau eingeheiratet

  • 1942 Geburt in Finsterau

  • 50er Jahre Begegnung mit tschechischen Grenzsoldaten, Mutproben an der grünen Grenze

  • 1960-64 Zeitsoldat, Ausbildung zum Radio- und Fernsehtechniker

  • 1964-70 berufliche Tätigkeit als Radio- und Fernsehtechniker in Passau und Freyung

  • 70er Jahre Reisen nach Prag und Südböhmen zum Treffen mit DDR-Verwandten

  • 1970-1993 Anstellung bei der Firma Röderstein, Freyung

  • seit den 90er Jahren Arbeit als Naturführer für den Nationalpark Bayerischer Wald

Transkription

 

Zeitzeuge: Helmut Haselberger

Geburtsjahr: 1942

Datum der Aufnahme: 13. November 2013

Länge der Aufnahme:

Interviewer: Dorothee Ahlers

Ort: Finsterau

 

 

Vorstellung

 

Dorothee Ahlers: Würden Sie sich am Anfang einmal vorstellen, in der Ausführlichkeit wie Sie möchten, wo Sie herkommen, was Sie gearbeitet haben, und so weiter.

Helmut Haselberger: Ja, gut, mein Name ist Helmut Haselberger. Ich bin hier in diesem Haus geboren, und zwar genau oben in diesem Zimmer, wo wir jetzt sitzen, also über diesem Zimmer, wo wir sitzen, und zwar 1942, am 19.06. Und, ich lebe seit dieser Zeit mit ganz wenig Ausnahmen, nämlich während meiner beruflichen Tätigkeit, dh ich war Zeitsoldat und in dieser Zeit und einige Jahre danach war ich von Finsterau weg. Aber das ist also fast gar nicht nennenswert. Zeitsoldat war ich  vier Jahre und dann war ich noch anderthalb Jahre in Passau, da hatte ich während meiner Bundeswehr, hab ich einen Beruf mehr oder weniger nachgeholt, nämlich Radio- und Fernsehtechniker. Und die Abschlussprüfung zum Gesellen habe ich in Hamburg abgeschlossen. Aber dann zog es mich wieder zurück nach Hause und ich habe in Passau eine Stelle als Radio- und Fernsehtechniker angenommen und nach anderthalb Jahren bin ich dann noch weiter zurück und habe in Freyung eine ebensolche Stelle gefunden. Dort habe ich ca. fünf Jahre gearbeitet bis ich dann eine Chance, meine ich jedenfalls, bekam, äh, in der Industrie. Ein Industriebetrieb hatte in Freyung angefangen, die Firma Röderstein, damals ein großer Kondensatorenhersteller und bei dieser war ich dann bis 1993. Also ca. 25, nicht ganz 25 Jahre. Ja, leider sind die dann auch ohne mich ausgekommen und ich wurde freigesetzt. Bekam eine, ja, äh, wie sagt man, Abfindung, aber ich habe noch einige Jahre gehabt bis zum Rentenalter. Die habe ich dann mit ABM-Maßnahmen usw überbrückt und bin dann mit gut 60, 61 Jahren mit Abzügen natürlich in Rente gegangen. Ja, und seit der Zeit mache ich mich halt um meinen Betrieb, das ist eine kleine Landwirtschaft, die sehr extensiv bewirtschaftet wird, und äh, wir haben 1978, also ich hab 1977 dieses Haus mit diesem Hof übernommen von meinem Vater, und dann habe ich ´78 gebaut und, äh, da waren natürlich erhebliche Mengen an Schulden da. Gott sei Dank habe ich die, äh, bis zu meiner Entlassung weitgehend abbauen können, aber wir haben eben nen Tourismusbetrieb, wir hatten sechs Apartments, und jetzt haben wir noch vier. Zur Zeit wie ich schon gesagt habe, tun wir sie etwas modernisieren. Dadurch dass wir fünf Kinder haben und dass vier davon abgefunden sind, damit der Erbe dann keine Lasten mehr zu tragen hat, ist hier ziemlich viel liegen geblieben. Also wir haben jetzt hier einen erheblichen Nachholbedarf, aber den haben wir im Laufe dieses Sommers weitgehend abgebaut.

 

Verwandtschaft auf der böhmischen Seite der Grenze

 

HH: Ja, vielleicht interessiert Sie auch meine, meine komplizierte Familiengeschichte, die ja auch, die ja auch, ich habs erwähnt als wir drüben die Führung gemacht haben. Ich habe Wurzeln drüben im Böhmerwald, also, einen Steinwurf von der Grenze entfernt. Kompliziert ist das deswegen, weil es natürlich ganz in die privaten Verhältnisse eingreift und ich muss sehr früh anfangen. Wenns Ihnen nichts ausmacht erzähl ich Ihnen das auch gerne. Es kommen nicht alle auf Anhieb mit, also: Meine  Großmutter hatte sich in einen Mann verliebt, wo die Eltern gesagt haben „Aber das ist kein Mann für Dich“. Er hatte schon einen Spusi hier und eine Liebschaft da. Ich glaub es war auch schon irgendwo ein Kind von ihm, mit einer anderen Frau, auf der Welt. Und, aber sie hatte ihn halt geliebt und es kam auch ein Kind, nämlich meine Mutter. Und, wies so war, haben die Alten gesagt „den heiratest uns nicht“. Also war sie hier auf dem Hof einer der mittleren, mittelgroßen Höfe im Dorf und eigentlich für die damalige Zeit eine gute Partie. Aber sie hatte eben ein lediges Kind, wie schon gesagt, meine Mutter. Und im Böhmerwald drüben gabs die andere Seite meiner Verwandtschaft, nur das war eine Kleinlandwirtschaft, die da betrieben wurde, in Hüttl, Chalupky heißt das jetzt. Und da hat der älteste Sohn, damals gabs anscheinend einen regen Verkehr nach hüben und drüben, es waren ja überall deutschsprachige... Menschen. Und er hat hier gesehen, dass da ein – aus seiner Sicht – ansehnlicher Bauernhof zu erheiraten wäre. So hat er also dann meine Großmutter geheiratet, mit meiner Mutter als Stieftochter. Ja, die Sache war soweit ok, aber dann kam eben der jüngste Bruder zu ihm hier auf den Hof. Äh... und hat hier als Hüttebub, als Jungknecht bei seinem Bruder, bei seinem älteren Bruder, er war der Älteste in der Familie, gearbeitet. Ja, und das passte irgendwie, äh, altersmässig zusammen, dass mein Vater und meine Mutter so im passenden Alter zueinander waren und so bin 1942 ich unterwegs gewesen. Noch nicht auf der Welt, aber naja, dann wurde geheiratet und dann war meine Großmutter gleichzeitig meine Tante und mein Onkel war gleichzeitig Stiefgroßvater.

Drüben hat dann der nächste Bruder das kleine Anwesen übernommen und als sie 1946, oder die sind glaub ich schon ´45 abgehauen, äh, hier rüber gleich zu der Verwandtschaft, die, es war eine Tante auch noch da, die hier auch verheiratet war, einen Schreiner, die zweitälteste Schwester meines Vaters, hat nach Finsterau geheiratet und einen Schreiner geheiratet, der ist allerdings dann im Krieg geblieben, er ist dann vermisst oder gefallen. Aber sie hat dann diese Schreinerei weiter geführt nach dem Krieg.

DA: Und haben Sie selber noch Erinnerungen daran, dass Sie die Verwandtschaft drüben besucht haben?

HH: Ich habe keine großen Erinnerungen, aber ich hab, es gibt da Fotos. Mein Vater war ein begeisterter Fotograf, damals hatte kaum noch jemand einen Fotoapparat, aber ich habe Fotos davon, wo ich mit meinen Cousins, also das sind die, die drüben Nachfolger wurden, hätten werden sollen, muss ich sagen. Also vom zweiten oder dritten... die Reihenfolge weiß ich jetzt nicht mehr, ich glaub der Läusl war der zweite, die hatten ja drüben acht Kinder, vier sind verstorben, einmal Drillinge und ein Einzelkind ist verstorben. Aber es sind vier Schwestern und vier Brüder noch da gewesen, also zwölf Kinder hat meine Großmutter geboren, da drüben. Obwohl sie ja wirklich nur ein „Sachl“ hatten, wenn Sie den Ausdruck kennen. Ein „Sachl“ ist keine „Sach“. Eine „Sach“ ist das hier z.B. Aus bestimmter Sicht, aus der damaligen Sicht. Heutzutage ist das auch nichts mehr, also, landwirtschaftliche Größe – mäßig, mein ich. Heute wenn man nicht 80 Kühe hat, dann hat man keine „Sach“. Aber damals war das noch, also erheblich, was wir... wir hatten immerhin so 15 bis 18 Stück Vieh. Davon die Hälfte vielleicht Kühe.

DA: Und sind nach dem Krieg denn die meisten aus Buchwald oder aus Fürstenhut hier rüber gekommen direkt?

HH: Die Verwandtschaft hatten auf jeden Fall. Die hier Verwandtschaft hatten, das waren nicht wenige. Äh, und auch die gute Bekannte hatten, die sind erst mal hier untergekommen. Man hat ja  gemeint, dass äh, es geht wieder zurück, jetzt bleiben wir mal da und warten das ab, wenn sich da drüben der Sturm wieder gelegt hat, äh, die hatten die Pläne vom Herrn Benes nicht im... Kopf, dass der gesagt hat „jetzt ist Schluss“.

DA: Was ist denn ihre erste Erinnerung an die Grenze dort drüben?

HH: Die erste Erinnerung ist, dass dort drüben Häuser standen in Buchwald. Wir sind während des Krieges mit, ich weiß nicht mehr mit wem, sind wir mal rauf gefahren und das letzte Stück zur Grenze runter, das haben Sie ja gesehen, ist äh... kerzengerade. Und der Wald vor einigen Jahrzehnten noch, das ist also keine, äh, keine Sache von jetzt, äh, von ganz früher, sondern bis vor einigen Jahren war der Wald ja dicht da oben. Erst seit der Borkenkäfer da aufgeräumt hat... konnte man... aber damals da gabs diese Schneise genau auf Buchwald. Und wenn man da oben an dieser Stelle stand, dann konnte man rüber schauen und das war ein Dorf. Man konnte ja nicht viel sehen. Gerade aus dieser Schneise aus. Das ist meine früheste Erinnerung und ja, später, habe ich mich mal... oder erinnere ich mich noch. Da war ich mit diesem eben erwähnten Stiefonkel, äh, Stiefgroßvater unterwegs. Man hat da früher mal, da in den Bächen geguckt, ob da nicht eine Forelle zu kriegen wär. Und wir waren am, äh... [seine Frau kommt rein] ah, das ist eins dieser Bilder. Das ist die Großmutter, mit einem Cousin. Vielleicht ist es auch noch erwähnenswert, dass im Jahr 1942 von fünf dieser acht Geschwistern je ein Kind auf die Welt kam. Das waren mal zwei, dann gabs noch eine Cousine, die irgendwo in Nordböhmen in Stellung war, in Dienst, kennen Sie diesen Ausdruck, ja? bei diesen Leuten, die hat dann da oben ihren Mann gefunden und nach dem Krieg sind sie nach Sachsen rüber. Und eine weitere Tante, die auch in Nordböhmen war, aber der ihr Mann hatte einen anderen Beruf, die sind an die Ostsee gekommen, nach Warnemünde, in die Nähe von Warnemünde. Ich weiß nicht mehr genau, wie dieser Ort hieß, aber Rostock, Warnemünde und einen kleinen.... Schwan hieß er, in äh, ich glaub in Mecklenburg-Vorpommern ist das jetzt.

DA: Und gab es noch Verwandtschaft die drüben geblieben ist?

HH: Nein, von unserer Familie, ich kenn jetzt nur die Näheren, weiß ich niemanden. Unsere sind alle hier rüber und zum Teil an, also die jüngste Schwester meines Vaters, die ist dann nach Freyung gezogen und auch der zweitältestes Bruder, die haben in Freyung dann ein Haus gebaut und der dort drüben das geerbt hatte, also weg musste, der ist hier gleich in Finsterau, hat sich auch ein Häuschen hier in der Museumsstraße gebaut.

DA: Und hat es denn unmittelbar nach dem Krieg auch Versuche gegeben, auch von Ihren Eltern oder so noch rüber zu gehen?

HH: Nein, nein, gar keine. Das war soweit ich mich erinnere kann, ist niemand mehr rüber gegangen. Ich kann mich noch erinnern an die Aussage meiner Tanten, die also da drüben das geerbt haben, also die vom drittältesten Sohn, die hat gesagt, dass ihr Mann noch das Werkzeug vergraben hat, weil er gedacht hat, wenn das jetzt besetzt wird, dann ist nachher bestimmt nichts mehr da. Und das hat er irgendwo unter der Einfahrt vergraben und wollte später wieder holen. Vielleicht ist auch interessant, dass ich tschechische Freunde, Bekannte hab, die möchten ein Museum, äh, machen. Und zwar in Dobrá. Früher hieß das, äh, Guthausen. Und mit denen war ich mal drüben, da wo das Haus meiner Vorfahren stand und wir haben da gesucht. Und die haben natürlich gleich gesagt „wenn wir was finden kannst du aussuchen, was ich will“. Ich hab gesagt „Ich will nichts, da ist nichts gescheites da“, die hatten ja auch nichts. Nichts wertvolles haben die bestimmt nicht drüben gelassen, als sie 1945/46 rüber mussten.

 

Erlebnisse an der Grenze als Kind in den fünfziger Jahren

 

DA: Ähm, die Grenze ist ja 1951 von Seiten der Tschechoslowakei befestigt worden. Was haben Sie davon mitbekommen?

HH: Soviel wie nichts. Da war ich neun Jahre alt. Hab ich nichts mitbekommen. Was noch erzählt worden ist, was ich aber auch selber nicht berichten kann, die Kirche ist ja, das haben Sie sicher vielleicht auch schon eruiert, ist 1956 erst angezündet und dann gesprengt worden und das konnte man von Finsterau-Reuten aus, konnte man das sehen. Und natürlich auch wie die Häuser nacheinander entfernt wurden, eingeebnt wurden. Das kann ich nicht bestätigen aus meiner Sicht, ich hab es nicht gesehen.

Miloslav Man: Aber haben Sie vielleicht mit den anderen Kindern gespielt, hier in diesem Gebiet, so im Wald?

HH: Aber nicht über die Grenze hinweg, nur bei uns hier.  Das war absolut dicht, wie gesagt,  ich glaube seit 1948/9, aber als Kind bin ich da drüben gewesen, kann mich aber kaum erinnern an diese Zeit. [nimmt das Foto] Das ist mein Cousin Franz. Und die Großmutter Kamila, die hat gesagt, er soll aufhören und soll da hingucken.Das bin ich, hier rechts und das andere, ja, man sieht also an der Kleidung, dass es bei uns dann doch ein bisschen besser war. Natürlich da drüben dieses kleine „Sachl“, wie ich schon gesagt habe, und die vielen Kinder. Nicht? Und äh... [Pause]

DA: Sie hatten am Telefon schon mal gesagt, dass es so eine Art Mutprobe gegeben hat.

HH: Ja, das war dann die Zeit als wir kurz vor der Entlassung aus der Volksschule, diese 8-jährige, da wollten wir alle Förster werden. Weil das war ein Beruf wo man in der Natur war und bei uns die Förster, die hatten es ja so schön, bei uns die Förster, jeder hatte sein Försterhaus ohne dass er eigentlich was dafür tun musste. Alle anderen mussten sich die Häuser selber bauen. Der Förster konnte herziehen und ist in das Forsthaus eingezogen. Und dann, äh, war ich eben mit meinem Cousin Franz und noch ein oder zwei, sind wir halt viel im Wald gewesen, wollte Tiere sehen, Reh, Hirsch, usw., da sind wir natürlich auch beispielsweise an die Moldauquelle. Also nicht an die Moldauquelle, an die Grenze wo dem nächsten die Moldauquelle, das konnte man ja auf einer Karte sehen, wie weit das noch ist. Und da haben wir uns schon das eine oder andere Mal getraut zu gehen ein paar Meter, aber... dann war schon wieder Schluss mit unserem Mut. Wir haben da nie jemanden getroffen. Das war also wenn das ausgestorben gewesen wäre. Das war.... Ende der fünfziger Jahre. War das in etwa, als wir solche kleine Eskapaden gemacht, es waren ja fast keine.  Ach ja, das vorhin habe ich nicht zu Ende erzählt, als ich mit dem Onkel, der hier das Haus gehabt hat, da waren wir mal Fischen, meine Frau hat uns glaube ich unterbrochen. Und damals sind wir mal, äh, die haben ja eine Technik gehabt, dass man die unter den Steinen erwischt. Also die fliehen irgendwo in eine Nische und wenn man dann geschickt ist, kann man sie da mit der Hand greifen, und der Fisch kann nicht mehr weg. Und da sind wir auch auf die tschechische Seite mal, oder er, der Onkel, ich nicht, und noch ein Freund war dabei. Er ist dann durch diesen fast kein Wasser führenden Bach rüber gegangen auf die andere Seite und hat von drüben, da musste man sich hinlegen auf die Brust und hat dann unten rein gefasst. Er hat nichts erwischt, aber jetzt kamen plötzlich zwei Soldaten oder Grenzer von der tschechischen Seite her. Das, da war ich acht, in der Gegend von acht, acht bis zehn Jahre alt. Oh, jetzt haben wir gedacht „da wird was passieren“. Aber die waren sehr freundlich, haben Deutsch gesprochen, haben Zigaretten getauscht mit meinem Onkel und das war´s schon. War natürlich für die damalige Zeit, für mich als Kind und für meinen Freund auch nen Erlebnis, weil es gab sonst praktisch gar keine Kontakte, keine Begegnungen. Daran kann ich mich noch erinnern.

 

Reisen nach Prag und Südböhmen

 

DA: Gabs noch irgendwelche anderen Momente, wo Sie tschechoslowakischen Grenzsoldaten begegnet sind?

HH: Eigentlich nicht. Ich bin das eine oder andere Mal mit einem Ausflug oder nach Prag gefahren, in diese grenznahe Gegend, glaube ich durfte man ja gar nicht, oder zumindest hatten wir das nicht, nicht erfahren. Aber, was war das damals? … Mit irgendeinem Verein... Es gab ja damals diese Geschichte mit dem Visum. Man musste aufs Visum warten, ein paar Tage bis es kam, ja, und dann durfte man in einem Bus, reinsitzen, und dann wurde man zweimal sehr heftig kontrolliert. Draußen standen Posten mit Gewehr oder MP, ähm, der erste war direkt an der Grenze und der zweite, wenn Sie Strazny kennen, der war kurz vor dem Dorf Strazny. Also ein bis zwei Kilometer weiter hinten war noch mal eine Kontrolle und noch mal alles... Da war auch noch mal ein Schlagbaum, ein zweiter, und da standen wieder zwei, ja, Posten, oder äh, Grenzsoldaten und die sind in den Bus reingekommen und haben das noch mal stichpunktartig kontrolliert. Daran kann ich mich noch gut erinneren.

DA: Und hats da Probleme gegeben?

HH: Eigentlich nicht, nein. Was ich vielleicht noch, wenns sie interessiert, noch... als unser Sohn dann, wir haben ja ´66 geheiratet, also unser Sohn dann, äh, ungefähr 10 Jahre alt war, äh, vielleicht schicke ich das noch voraus: Mit einer dieser Cousinen, die im gleichen Jahr geboren worden ist, ich habe das vorhin nicht ganz ausgeführt, aber es waren fünf, fünf Kinder, äh, zwei, drei Buben, zwei Mädchen. Und die eine war ja in der... DDR, damals Ostzone. Aber irgendwann, als wir dann verheiratet waren, ich habe immer Briefkontakt zu der einen Cousine gehalten, bis auch heute noch, wir treffen uns auch heute noch gelegentlich, leider ist ihr Mann jetzt verstorben. Und, äh, da haben wir Briefkontakt gehabt und dann haben wir uns gesagt, jetzt müssten wir uns mal treffen. Die war als Kind schon bei uns, da durften die noch rüber, äh, und, war 14 Tage hier zu Besuch, aus der Gegend von Dresden, Berggießhübel hieß der kleine Ort im Erzgebirge glaube ich ist das noch. Und dann waren wir verheiratet und unsere beide Söhne waren so acht bis zehn Jahre alt und da haben wir gesagt „jetzt treffen wir uns mal“. Und, die durften nicht rüber, jedenfalls nicht als Familie, aber wir durften nach Tschechien fahren, also in die damalige Tschechoslowakei. Und da haben wir ein Visum beantragt und haben uns dann in Prag getroffen. Beinahe nicht gefunden... auf Anraten einer Tante, die hat gesagt „ah, am Wenzelsplatz da ist dieses Lokal und äh, da trefft ihr euch, da kann absolut nichts fehlen. Wir sind hin gefahren, ich hab mein Auto irgendwo geparkt, damals einen VW Käfer und ähm, dann sind wir in dieses Lokal. Und das war heimtückisch, da waren zwei Lokale und die Eingänge waren direkt nebeneinander. Wir sind gesessen, haben gegessen und äh, die kommen nicht, „ja verreck, ja verreck“. Dann bin ich ungefähr nach einer halben Stunde oder dreiviertel Stunde bin ich raus aus dem Lokal und bin ich auf und abgegangen vor dem Lokal und dann seh ich meine Cousine, sie war rothaarig, äh, die hat das gleiche gemacht, sie hat auch... also wir saßen hier und die saßen da. Und haben uns nicht gefunden. Schön war noch nachher, da haben wir den halben Nachmittag haben wir dann verbracht, ich hab mein Auto gleich wieder gefunden, aber mein, ihr Mann, der Wolfram, der hat sein Auto nicht mehr gefunden. Da haben wir den halben Nachmittag damit verbracht diesen Parkplatz zu finden, wo er sein Auto hatte. Aber das war dann auch vorbei und dann haben wir ein Lokal, ein Hotel gesucht, schwierig war das, sehr schwierig. In, äh ziemlich weit draußen, im Sporthotel haben wir dann Platz gefunden. Aber das war nicht das gehoben, auf unserer Etage ging die Toilettenspülung nicht, also es war irgendwie so Etagenklo. Aber wir waren froh, dass wir überhaupt was gefunden haben. Dann sind wir nach zwei, drei Tagen nach Südböhmen gefahren, dort hats uns auch noch gescheit gefuchst. Haben wir so ein Häuschen genommen und da waren die Mücken, die waren schrecklich. Wir haben uns gegenseitig ins Gesicht geraucht, um die ein bisschen einzudämmen und plötzlich abends, da fängts an, ganz nah dran ein Militärflugplatz und die sind geflogen bis Mitternacht. Ununterbrochen Start und Landungen. Also, dann sind wir nächsten Tag noch nach Trebon gefahren und von da haben wir uns dann etwas früher als erwartet wieder getrennt, sie sind zurück über Prag nach Sachsen und wir sind mitten in der Nacht dann, weil den ganzen Tag waren wir noch zusammen, aber wir hatten ja nicht weit von da unten, und mitten in der Nacht sind wir dann heim gefahren. Und dann sind auf der Strecke noch, ich habs überholen angefangen, und dabei war das eine Militärkolonne, irgendwie, jetzt waren wir mitten drin, dann bin ich nicht mehr raus gekommen, dann bin ich zwischen zwei so großen LKWs, so Armee-Lastwagen bin ich dann gefahren, ich weiß nicht wie viele Kilometer, dann sind die irgendwann mal abgebogen in eine Kaserne rein. Aber, muss sagen, weil wir diesen Zwangsumtausch nicht voll aufgebraucht haben, wir sind nicht so lange geblieben wie wir getauscht haben, die haben uns mitten in der Nacht das restliche Geld wieder zurück getauscht. Hier in Philippsreuth. Da musste man ja pro Tag so und soviel tauschen und äh, wenn man das nicht ausgenutzt hatte, die ganze Zeit, dann hat man das wieder zurück bekommen. Einen schlechten Kurs natürlich. Eine kleine Episode noch: In dem Hotel, Sporthotel, äh, da saßen wir, wir haben uns ein bisschen separat von den anderen, es waren nicht viele Leute drin, vorne um den Schanktisch rum saßen ein paar Tschechen und wir haben uns ein bisschen weiter nach hinten gesetzt und haben uns halt viel zu erzählen gemacht. Wir sind geblieben und dann war es irgendwie um die 10 Uhr abends, dann haben sie uns das Licht ausgemacht. Die wollten Feierabend machen oder uns los sein. Und, die waren auch nicht unbedingt ein Ausgeburt an Freundlichkeit oder Höflichkeit. Jedenfalls am nächsten Tag, jetzt tausch ich mal Geld bei denen, so 20 oder 50 DM damals, dem Ober angeboten ob er mir nicht tauschen möchte. Da hat er das Gesicht so gemacht und von da an waren wir gern gesehene Gäste. Die haben gemeint weil der, was hat er denn für einen gehabt, dieser kleine, äh, DDR-Flitzer, der stand draußen... Jetzt hat er gedacht, das sind Ossis. Und als ich DM gewechselt hab, war der Mann wie ausgewechselt.

DA: Hat es häufiger so Treffen gegeben mit Ihrer Verwandtschaft?

HH: Nein, eigentlich nicht. Ich glaub das ist das einzige Mal gewesen. Ich bin dann später noch einmal in die DDR gefahren, zu Zeiten da wars dann schon eher möglich. Da haben wir sogar sehr viel Zeug, was die nicht gekriegt haben, eingepackt. Ich hab alles beschrieben, was drin ist, in diesen Paketen. Und was mir also damals in den Kopf, also Sinn gekommen ist, da war vor uns ein Franzose, den haben die geflitzt. Und da hab ich mir gedacht „Mensch, die haben doch den Krieg eigentlich gewonnen und da müssen sie sich von diesen DDR-Fritzen da so filzen lassen.“ Ist doch wahr. Aber, naja, es war so. Ja, das, aber es ist keine reiche Ausbeute mit mir, aber mindestens haben sie eine interessante Familiengeschichte gehört.

 

Tschechischkurs im Grenzhäuschen

 

HH: Dann hab ich auch früher schon mal so einen inoffiziellen Tschechischkurs gemacht, der fand an der Grenze statt. Aber da waren keine Tschechen beteiligt, sondern ein Kollege von mir – ich hab ja wie gesagt bei Röderstein gearbeitet – und er kam also in Prag geboren, und er hieß Ladislav Martis, also ich glaube eigentlich ein tschechischer Name, also ohne tt, Martis, wie mans spricht. Und er konnte perfekt Deutsch und Tschechisch. Er lebt jetzt noch, aber er ist schon weit über achtzig, oder gut achtzig jedenfalls. Und, also, mit ihm, der war auch ein, ja, sagen wir mal, mittlerer Angestellter bei der Firma Röderstein, so wie ich auch. Und, äh, irgendwann hat er erzählt, dass er für die Zöllner am Grenzübergang in Philippsreuth, einen Tschechischkurs macht. Und dann hab ich gesagt „Mensch, das tät mich interessieren, da mach ich mit“, ja. Wir haben nicht viel gelernt, es waren ein oder zwei Zöllner dabei, schon etwas höhere Dienstgrade, die das ernst genommen haben. Ich hätts wohl ernst genommen, aber dann ist das immer ins Saufen ausgeartet. Also, am Ende der Stunde, und der Lehrer da, der hat halt auch immer ein bisschen Hang gehabt. Dann sind wir immer sitzen geblieben, in einem Dienstgebäude irgendwo an der Grenze und haben uns einen richtig rein gezogen.

MM: Als Teil des Tschechischkurs, ne?

HH: Nein, nein, das war schon nach Ende des Kurses und wie gesagt, zwei oder drei waren dabei, es waren eh nicht viele, sechs, sieben Leute, die etwas gehobeneren Dienstgrade, die haben sicher was gelernt dabei. Aber er hatte irgendwie keine so richtige Lehrbefähigung, er hat das gebracht, das Buch hab ich immer noch.

MM: Und das war in den achtziger Jahren irgendwann?

HH: Das war irgendwo in den achtziger Jahren. Vielleicht sogar Ende 70. Warten Sie mal, wann bin ich zu Röderstein? Ich bin ´70 zu Röderstein, ja, ja. Das war irgendwo Ende 70.

 

„Spätaussiedler“ aus Böhmen und dort gebliebene Deutsche

 

DA: Und hatten Sie sonst Kontakt zu irgendwelchen Tschechen, Tschechoslowaken?

HH: Nein. Haben wir gar nicht. Ja gut, es war auch der eine oder andere Spätausgesiedelte. Ich habe später die, diese Frauenabteilung, die an der Maschine saßen bei Röderstein übernommen, für die letzten fünf, sechs Jahre war ich da Fertigungsleiter und da waren ein paar Frauen, aber das waren ausschließlich solche, die zwar drüben bleiben konnten, aber äh, den gleichen Dialekt sprachen, die dann später nachdem es noch möglich war, die Tschechoslowakei zu verlassen, sind sie rüber und haben sich hier nieder gelassen. Das muss irgendwie erlaubt gewesen sein, zu dieser Zeit. Andere Bekannte habe ich drüben, die haben mir erzählt, also, nach einer gewissen Zeit nachdem man die Deutschen raus geschmissen hat, äh, ging das nicht mehr. Ich hab jetzt noch Bekannte drüben, die sind drüben, sind wirtschaftlich auch erfolgreich, und, äh, die haben aber nach dem die meisten weg waren nicht mehr raus dürfen. Da wars dann vorbei. Entweder... warum die bleiben durften, sie haben gesagt, also, weil sie, äh, Holzhauer gebraucht haben oder bestimmte Spezialisten. Die haben sich nicht irgendwie durch Hitlerfeindlichkeit oder sonstwas hervor getan, sondern einfach weil man sie gebraucht hat. Und die leben jetzt drüben und sind jetzt halt Tschechen, obwohl sie deutsche Eltern haben. Und auch genauso einen Dialekt sprechen wie wir.

DA: Und hatten Sie zur Zeit des Kalten Krieges mit solchen dort gebliebenen Deutschen Kontakt?

HH: Nein. Zur Zeit des Kalten Krieges hat man gar nicht gewusst, dass es solche gibt.

 

Informationen über die Grenze hinweg, Verhaftungen

 

MM: Das würde mich nämlich auch interessieren. Welche Informationen und ob überhaupt irgendwelche Informationen über die Grenze kamen, also, was haben Sie über die Tschechoslowakei hier überhaupt erfahren, oder...?

HH: Eigentlich nichts. Was in der Zeitung stand, da war mal irgendwas, ein Vorfall mit ein paar, äh, MICs, die in die Bäume rein gefahren, äh, rein geflogen sind da, ich weiß nicht, haben Sie das mitgekriegt? Aber bevor die Deutschen hin kamen, haben die Tschechen schon alles weggeschafft gehabt.

Und bei uns gabs die einen oder anderen, der äh,... hier über die Grenze ist. Der wurde aber bei uns so als Geheimnis behandelt, der wurde gleich weg, befragt und so weiter von unseren Stellen hier. Die Bevölkerung hat mit solchen Leuten hier eigentlich nichts mehr zu tun gehabt. Eines vielleicht auch noch: Es gab einen in Finsterau, den hatten sie den „Schwarzei“ genannt, also den „Schwarzen“, ein kleinerer Mann, also der Schwarzei. Wahrscheinlich vom Schwirzen her. Kennen Sie den Ausdruck? Net? Das ist aber Bildungslücke. Schwirzen nennt man bei uns das Schmuggeln, oder nannte man des. Schwirzer sind Schmuggler, weil sie sich das Gesicht schwarz gemacht hatten, damit sie nicht leuchten, wenn irgendwas scheint drauf. Also sind die Schwärzer, oder Geschwärzten, Hochdeutsch, schlecht zu übersetzten, aber bayerisch heißts dann schwirzen. Und der, der hatte anscheinend den Mut und auch das Wissen, wo man rüber kann und noch irgendetwas wertvolles für drüben, natürlich Nachrichten, für die drüben gebliebenen, aber dann haben sie ihn erwischt. Und er wurde 10 Jahre glaube ich, vielleicht hat er auch spioniert, das hat man gemunkelt, das er für die Amis was gemacht hätte oder, jedenfalls hat man in drüben erwischt, und er wurde 10 Jahre lang, hat er Bau gekriegt, also Knast. Als er zurück war, war er ein relativ gebrochener Mann, er war, er ist dann so, wie soll ich sagen, schleppend daher gekommen und hat dann auch nicht mehr allzu lange gelebt. Ich wüsste nicht mal, wie er geheißen hat. Aber das könnte man erfahren, wenn das... ich weiß nur noch, er hat dann irgendwo dort drüben gewohnt und man hat ihn dann auch gesehen, aber das hat dann 10 Jahre gedauert bevor er wieder raus kam. Ist sicher abgeurteilt worden wegen irgend so einem Delikt. Weil wegen Schmuggel oder so hätten sie ihn nicht so lange behalten, nehme ich an. Ob was dran war, ich kann dazu überhaupt nichts sagen. Aber es ist eben auch aus dieser Zeit. Das war in den fünfziger, sechziger Jahren irgendwie.

DA: Es gab ja mehrere hundert Tschechen, die über diese Grenze hier geflüchtet sind. Was hat man davon mitgekriegt?

HH: Auch nichts. Die sind auch irgendwie gleich weg, gleich weiter. In Finsterau ist keiner von denen geblieben.

 

Prager Frühling

 

DA: Und dann gabs natürlich ´68 diese Ereignisse um die Niederschlagung des Prager Frühlings.

HH: Dazu ist nur eine kleine, da fällt mir was ein, da waren eine Tante und mein Onkel, eben von dieser Cousine die Eltern von der ich grade eben berichtet hab. Die waren zu Besuch, das waren drüben, jemanden hat man immer da behalten und die sind dann aus dieser Gegend von Dresden, Berchteskübel rüber gekommen. Und da haben wir uns natürlich auch damals heftig nen Gedankenaustausch gepflegt und da sagt mir der Körtel, hieß er, weiß jetzt den Vornamen nicht mehr, der hat dann gesagt und da war mein Vater natürlich auch dort beteiligt, aber ich weiß es noch gut, dass er sagte „jetzt krachts bald, jetzt, die marschieren jetzt ein, in die Tschechoslowakei. Das lassen die sich nicht länger bieten, was der Dubcek da veranstaltet“. „Das glaubts doch selber nicht, da gibt’s doch nicht.“ „Na“, hat er gesagt, „warts mal ab“. Und an dem Tag, wo er heim gefahren ist, wo die beiden wieder zurück in die DDR gefahren sind, war der Einmarsch. Der hat das, er hat irgendwie in der Gegend, das war ja nicht allzu weit weg, dieser Ort Berchteskübel, hat er gesehen, was da für Truppenbewegungen waren und die haben sich da vorbereitet und sind dann, ich weiß nicht mehr den genauen Tag, ist auch egal, dann sind sie da einmarschiert. Das weiß ich noch, weil ich eben ihm das nicht geglaubt hätte. Und er hat eben gesagt „pass auf, das kommt“.

DA: Und, was hat es für Reaktionen darauf gegeben, also hier in Bayern?

HH: Gar keine. Also ich kann mich an keine erinnern, dass da irgendwas. Die Amis sind an die Grenze gefahren wie immer, aber sonst. Die sind ja nicht rüber, die sind immer nur bis an die Grenze. Gleich nach, in den fünfziger, sechziger, als wir hier Kinder waren, haben die auch mal was runter geschmissen vom Jeep, also, Orangen, das war für uns ja das Höchste. Wir haben die nicht gekannt, mehr oder weniger, in Finsterau. Bis die Amis da hin und wieder mal was, oder eine Packung Kaugummi haben sie runter geschmissen und wir haben das dann begierig in Empfang genommen. Aber diese, möglicherweise, sind das, das kann ich jetzt aber gar nicht bewusst sagen, möglicherweise haben sie dann diese Kontrollfahrten an die Grenze etwas verstärkt, als dann da dieser Einmarsch in, in... der Warschauer Pakt Staaten waren, aber... bewusst kann ich mich da nicht erinnern.

 

Grenzöffnung, erste Kontakte mit Tschechen 

 

DA: Wie haben Sie damals vom, vom Fall der Mauer erfahren?

HH: Das ist vielleicht auch noch interessant. Eine kurze Episode: Ich saß vor der Flimmerkiste, meine Frau war schon zu Bett gegangen und unser Jüngster, die waren in dem Alter, wo man schon mal ausgeht. Und, da war irgendein später Film, ich saß noch da, und unser Sohn Peter, der kam dann, in der Zeit wo ich noch vor dem Fernseher saß, kam nach Hause. Geht zu mir, ich saß irgendwo in einem Stuhl neben dem Tisch, und stellt mir ne Flasche Bier hin. Sagt er „moagst a tschechisches Bier?“. Da sag ich „wo hoast dann jetzt a tschechisches Bier her?“. „Ja, wir war in Kvilda“. Also, Kvilda hat er sicher gesagt. „Da bei uns.“ „Ah, das gibt’s nicht.“ Ich habs fast nicht glauben mögen. Da sind also diese Jungs, an der Grenze, haben sie sich mit tschechischen Jungs getroffen, die haben die überredet, trotz der damals noch absolut dichten Grenze, mit nach ins nächste Dorf zu fahren. Und die sind mitgefahren, auf dem Moped oder sonst was und, äh, sind sie mitgefahren und dann hat er mir eine Flasche Bier mitgebracht. Das war das erste was ich von dieser beginnenden Öffnung mitbekommen hab. Dann kamen schon öfter mal, so Besucher, mit denen man sich oben an der Grenze getroffen hat. Wir haben dann auch mit, dann kamen auch diese Bekannten schon, dann war dieses Heimattreffen immer, Böhmkirchweih, und dann kamen die von drüben, und da hat man sich, da haben wir dann erst gesehen, dass es auch solche gibt drüben. Einen kenn ich in, in Lenora, der Egon Urman, ist sehr bekannt, oder? Das war auch interessant wie ich den kennen gelernt habe. Ich bin nach Prachatice gefahren und da war eine Bekannte vom Nationalpark und dahin war eine Umleitung zu fahren und die hatte sich mit einem unterhalten und ich hab gesagt „Habt ihr auch diese Umleitung, wie seid denn ihr um diese Umleitung rum gefahren?“, und dann hat sie mir gesagt, wie sie gefahren ist, und er hat gesagt „ich bin überhaupt nicht gefahren, ich bin von da.“

DA: Haben denn nach der Grenzöffnung auch noch Verwandte von Ihnen gelebt, die halt drüben noch gelebt hatten und gab es dann auch solche...

HH: Ich weiß von keinen Verwandten, wirklich nicht.

DA: Nein, ich meine, die rüber gekommen sind und dann nach der Grenzöffnung eben wieder rüber sind, um sich ihre Dörfer anzuschauen.

HH: Ja klar, das schon, wir haben jetzt noch eben zu diesem grade erwähnten Kirchweihfest von Fürstenhut, da gibt’s ja in Finsterau jedes Jahr noch so ein Treffen, es werden immer weniger, weil natürlich die Alten langsam aussterben und die Jungen kaum noch Lust haben. Aber dann haben wir immer noch für zwei, drei Tage ein paar Gäste, die sich bei uns einmieten und mit denen sitzt man dann auch zusammen, bzw im Gasthaus Bärenriegel gibt’s dann immer so einen Abend, der, wo man sich trifft und von alten Zeiten, und sagt wer in der Zwischenzeit von wieder verstorben ist.

DA: Und was war direkt nach der Grenzöffnung ihr erster Kontakt mit Tschechen oder wann sind Sie rüber nachdem Ihr Sohn Ihnen das Bier gebracht hatte?

HH: Ja, also ich kann mich nicht mehr erinnern an diese, an das erste Treffen. Ich hab eine Freundin, das kann ich ruhig sagen, meines Vaters, die Kveta Pelnickova, kennen Sie die, nein, die sagte mir dann, weil ich hab sie später als Freundin meines Vaters kennen gelernt, dass ich der erste gewesen wäre, den sie getroffen hätte, sie und ihr Sohn. Da war ich in Buchwald oben. Ich bin also wirklich oft drüben gewesen, eben aufgrund meiner Führertätigkeit für die Nationalparkverwaltung, kenn ich mich da schon ein bisschen aus, in der Umgebung, aber ich kann mich an diese Begegnung nicht mehr erinnern. Ich habe einen Bekannten aus Borová Lada, der hat uns mal besucht und ich hab die mal besucht drüben, aber das ist schon wieder zwanzig Jahre her und wie gesagt, mit meinem Erinnerungsvermögen ist es nicht weit her.

 

Tätigkeit für Nationalparkverwaltung, grenzüberschreitender Tourismus, Veränderung des Tourismus nach der Grenzöffnung

 

DA: Können Sie noch erzählen, wie das gekommen ist, dass Sie für die Nationalparkverwaltung Führungen gemacht haben?

HH: Das ist, wie das gekommen ist einfach, weil ich meine Arbeit verloren habe, und dann habe ich mal irgendwo gelesen, es läuft ein Kurs, aber das war von der Akademie für, in Laufen, Natur- und Landschaftsführer, Ausbildung, habe ich dann gemacht. Und das war so ein mehrtägiger Kurs und die Führungen, die da dann resultiert sind, das waren sehr wenige, ganz geringer Bedarf. Und dann  hab ich auch vom Nationalpark das mal gelesen, dass sie wieder, die tun jedes Jahr Waldführer ausbilden. Und dann hab ich gedacht, dass passt ja ganz gut zu dem, was ich jetzt, hab mich dann nach meiner Industriezeit richtig eher in die Naturschiene mehr oder weniger gewandt. Und dann hab ich hier diese Ausbildung beim Nationalpark gemacht und es kam mir sehr entgegen, dass ich dann eben mehr oder weniger der Spezialist wurde für die grenzüberschreitenden Führungen. Äh, am Anfang waren die recht eintönig, ich bin fast immer von Buchwald nach Fürstenhut und zurück gegangen. Das war so. Es gab diese Busse nicht, und man konnte sich kaum weiter bewegen. Zur Moldauquelle, das war auch noch eine Alternative dazu. Und dann haben wir das dann ein paar Jahre abwechselnd gemacht, die eine Woche eine tschechische Kollegin und dann die andere Woche wieder ich. Aber immer das Gleiche eigentlich. Und die konnten dann, die Gäste konnten dann wählen, geh ich mit der jungen Tschechin oder mit dem alten, naja, damals war ich noch nicht so alt, mit dem alten Finsterauer. Aber ich hab immer recht viele Gäste gehabt. Und, äh, dann kam die Jana, die den Böhmerwald sehr gut kannt, Viletalová, aber sie hat geheiratet und jetzt heißt sie Prochasková. Und, die hat dann im Nationalpark so eine Art Praktikum ein Jahr lang oder noch mehr gemacht und die hat dann angefangen und gleichzeitig kamen die Busse, die Umweltbusse, die hier bei uns und später auch bei den Tschechen verkehren. Die hat dann erst richtig, ja, eine Vielfalt rein gebracht. Jetzt kann man überall hinfahren, von dort aus wandern und von einem anderen Ort wieder zurück fahren. Das ist natürlich eine  erhebliche Bereicherung. Und dadurch kann ich auf den Mittagberg, auf den Poletník, und kann von da eine Führung, entweder eine Rundwanderung wieder zurück zum Ausgangspunkt oder eben... leider haben die Tschechen anscheinend nicht das gleiche finanzielle Polster wie bei uns, unsere fahren ja von Mai bis Oktober während in Tschechien sind eigentlich nur die beiden Kernmonate, Juli und August, wo alle Strecken immer befahren werden und von morgens bis abends, aber in den Monaten davor werden sie dann schon gekürzt auf geringe, fahren nur noch vier Mal oder sie lassen bestimmte Strecken ganz weg. Das ist sehr schade, aber das ist halt so. Aber die Busse sind einfach wirklich hervorragend für den Ausflugsverkehr hier grenznah, sowohl bei uns als auch bei den Tschechen. Bei uns ist es ja jetzt kostenlos wenn Touristen da sind, das werden Sie sicher wissen, die zahlen das mit ihrer Kurtaxe mehr oder weniger, naja und drüben kosts ja eh nicht viel. Ich hab da ein paar Mal einen Bayerwald-Böhmerwald-Rundfahrt gemacht, mehr oder weniger fast nur Bus, aber man kann von, ich bin hier eingestiegen und bin hier ausgestiegen und ich bin den Bayerwald rauf gefahren, zum Teil mit dem Zug, zum Teil mit dem Bus und auf der drübigen Seite wieder runter gefahren. Bis, äh, wie heißt das jetzt, da hinter, Zelezna Ruda. Zelezna Ruda ist dann wieder auf der böhmischen Seite. Und ich hab das dann auch verbreitet, einige der älteren Damen, die bei uns also noch aktiv sind, die haben das auch nachgemacht. Man hat dann insgesamt vielleicht drei oder vier Stunden Aufenthalt.

DA: Können Sie sagen, wie sich diese Grenzöffnung auf den Tourismus ausgewirkt hat?

HH: Ja, das war sehr gut, die erste Zeit. Wir hatten 1992 unser mit Abstand bestes Jahr, eine Belegung von nahezu 50%, was für uns ungeheuerlicher viel ist, derzeit haben wir 17% Belegung.  Weil sehr viele der Leute gekommen sind, äh, die mal rüber schauen wollten und natürlich auch die DDR. Die hat ja dann erheblich dazu beigetragen, als die Grenze aufging.

 

Holztransporte über die Grenze

 

DA: Sie haben die Holztransporte erwähnt, die auch hier über die Grenze gingen. In was für einem Umfang hat das damals funktioniert?

HH: Das waren immer mal wieder so Verträge und dann sind die schon tagsüber so 3, 4, 5 so LKW-Ladungen voll gefahren. Da ist extra ein kleiner Wachturm aufgestellt worden, wo extra diese Holztransporte alle registriert oder überwacht wurden, die hier rüber liefen.

 

Abbau der Grenzanlagen

 

DA: Und haben Sie noch mitgekriegt, wie nach der Wende auf der tschechischen Seite diese Grenzanlagen alle abgebaut wurden?

HH: Da haben wir soviel noch mitgekriegt, dass sie zum Abtransport irgendwo an der Straße oder am Weg noch lagen. Aber das ging blitzartig. Stehend hat man keine mehr gesehen. Ich bin ganz früh, wann durfte man rüber, 1991, 92, durfte man mit Personalausweis plötzlich die Grenze passieren. Da bin ich mit meinem ältesten Sohn von Borová Lada aus hier über Buchwald, Fürstenhut bis unten zur Moldauquelle und dann wieder in Kvilda raus. Und dort hat uns meine Tochter dann wieder abgeholt. Und da hat man noch stellenweise solche am Wegrand abgebauten Anlagen gesehen. Aber innerhalb kürzester Zeit sind die danach abtransportiert und weggeschafft worden.

 

 

„Wir waren am Ende der Welt“

 

MM: Wie war hier überhaupt das allgemeine Gefühl, hat man die Grenze oder die unmittelbare Nähe der Tschechoslowakei als Bedrohung wahrgenommen?

HH: Ich kann nicht sagen, dass es als Bedrohung wahrgenommen wurde, aber etwas anderes ist bei uns gewesen, nämlich, wir waren am Ende der Welt. Hier war, auch noch durch die Ausformung der Grenze, Sie wissen ja, hier geht’s noch so nach Südosten runter und da haben wir noch hier den Nationalpark und auch Schluss. Wir haben hier nur nach Finsterau rein und man musste immer nur raus, nur eine Richtung gab es für uns. Erst in Freyung auch Richtung Österreich vielleicht abbiegen und Richtung Deggendorf, München usw. Aber hier dieses, diese, eine Sackgasse mehr oder weniger waren wir hier in Finsterau. Das war schon, würde ich sagen sehr belastend. Nicht unbedingt eine Bedrohung, es war halt schade, dass man nur in eine Richtung sich bewegen konnte und die Grenze war halt absolut dicht. Zumindest gefühlt. Die paar oder die wenigen Ausnahmen wo man dann wirklich mal nach Tschechien reingekommen ist, oder in die Tschechoslowakei, gabs ja damals noch. Das war, bin auch sonst nicht viel gereist, einmal war ich in Moskau, Leningrad, aber sonst bin ich wenig, jedenfalls in den Ostblock überhaupt nicht gekommen, in die Ostblockstaaten.

DA: Hat sich nach der Wende dieses Sackgassengefühl geändert?

HH: Ja, klar, das ist weg, weil wir können mit dem Fahrrad rüber fahren. Wir fahren jetzt als wenn da gar keine Grenze mehr da ist. Sind auch nach Vimperk häufig gefahren, früher mal zum Einkaufen, schauen was da los ist. Ich kaufe meine Brille immer in Vimperk. Dieses Optikergeschäft Spiegel, die sind absolut besser als bei uns in Freyung, muss ich echt sagen. Die sprechen auch alle nahezu perfekt Deutsch. Und dieser Tschechischkurs mit den tschechischen Teilnehmer, da erfährt man also doch was los ist. Ich kenn auch den Bürgermeister von Kvildá, ganz gut, seine Frau war auch mal eine Zeit lang dabei, ist aber jetzt nicht mehr, ich hatte die auch mal hier bei uns eingeladen, also den ganzen Kurs, und das ist alles positiv.

 

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