Peter Heidler

* 1946

  • "Während dieser Lagerzeit, die ich nicht einmal so als Entbehrungszeit empfunden habe, denn wir saßen ja alle in diesem Entbehrungsboot, und man kannte nur Vergleiche ziehen, wenn man Schulkameraden zuhause besuchte, die in anderen Verhältnissen dann lebten und wohnten, so hatte man eine Vergleichsmöglichkeit, aber die Spielkameraden, mit denen man groß wurde, die lebten ja nicht anders. Wir waren Barackenkinder. So sind wir auch von anderen abfällig benannt worden, als Barrackler sind wir bezeichnet worden, was mich nicht nur beleidigt, sondern auch angespannt hat, es denen, die uns so abgeschätzt haben, es denen zu beweisen. Als kleine Motivation."

  • "Nach 1945 war das Deutschsein in der Tschechoslowakei ein schwieriges Unterfangen. Man war rechtlos, dann hat man die Menschen enteignet, also besitzlos, und das Deutschsprechen selbst wurde nicht gerngesehen. Teilweise sogar verboten. Mein Bruder bekam demnach keine deutsche Schule mehr, sondern ab 1945 gab es dann nur noch tschechische Schulen. Die deutsche Sprache, das Deutschtum, somit ausgelöscht. Meine Mutter ging an die Schule vorbei und hörte, wie eben tschechische Sprache gelehrt wurde, sie hat es sehr beklagt unter Tränen. Ist weinend nach Hause. Was will man in einer quasi-Heimat, wo die Heimat nicht mehr Heimat sein darf? Wo man der eigenen Identität beraubt wird? In der man der deutschen Sprache beraubt wird, das Deutschtum nicht gern gesehen wird, die Nachbarn, auch wenn sie politisch anders waren, gehen mussten, teilweise auch unter unangenehmen Begleiterscheinungen, 50 Kilo waren offiziell erlaubt, man hatte die Wohnung aufgeräumt, den Schlüssel im Schloss stecken musste, man durfte nur das notwendigste mitnehmen, alles andere musste bleiben, also was will man in der eigenen Heimat, in der man fremdgeworden ist? Oder als Fremder betrachtet wird? Das war das auschlaggebende, weil man ein Mensch zweiter Klasse war."

  • "Sie haben Sport gemacht, Theater gespielt, im Winter Skigefahren, Wanderungen gemacht, es war wie eine große Familie, in der alles gemacht wurde. Sie haben sich weniger Gedanken gemacht über die Politik, sondern das Miteinander hat sie geprägt. Und natürlich dann auch die Einstellung innerhalb der Politik. Es waren meistens Arbeiter, die sich hier weitergebildet haben. Wenzel Jaksch war auch ein ganz einfacher Arbeiter gewesen, auch Maurer, der sich durch Selbstbildung ein Wissen angeeignet hat. Diese Weiterbildung, die Bildung insgesamt, die Menschbildung hat in dieser DSAP stattgefunden."

  • "Er selbst hat von dem Krieg einiges erzählt, im Gegensatz zu seinem Dachau Aufenthalt, von dem ich das meiste über die Mutter erfahren habe. Der Vater hat erst sehr spät darüber etwas erzählt, die waren so indoktriniert, ihnen wurde es so eingepläudert, dass sie darüber nicht sprechen dürften, dass sie es nicht gemacht haben. Über den zweiten Weltkrieg hat er gesprochen, aber mehr als Erlebnis unter Kameraden. Und nicht als Kriegsereignis als solches. Dass er mit irgendwelchen heroischen Taten da geprallt hätte, das war nie der Fall gewesen. In seinem Wehrpass war eben auch ein Stempel drin, dass er als unverlässlich, Hitlergegner, abgestuft, und so wurde er nur Obergefreiter. Weil er eben mit dieser Marke in seinem Wehrbuch auskommen musste. Er hat diesen zweiten Weltkrieg, er musste mitmachen. Von Freiwilligkeit kann keine Rede sein. Seine Kameraden waren Deutsche gewesen, er lebte immer in diesem Zwiespalt, eigentlich bin ich ein Regimegegner, ich bin gegen diesen Massenmörder, dem Emporkömmling aus Braunau, und muss einfach mitspielen, um mein eigenes Leben nicht zu gefährden. Er war immer in diesem Zwiespalt."

  • "Der Bruder Karl ist in Karlsbad geboren. Das war auch so eine komische Situation, er wurde nicht als Heidler genannt worden, sondern hatte den Geburtsnamen meiner Großmutter väterlicherseits. Denn gerade in dieser Geburtszeit war mein Vater im Konzentrationslager Dachau gewesen. Meine Mutter war so eingeschüchtert von der damaligen politischen Situation, denn im Sudetenland wurde Hitler 1938 nach dem Münchner Abkommen enthusiastisch empfangen. Die eine Seite meiner Familie war gegen Hitler, mein Vater war in dem KZ und ist von der eigenen Verwandtschaft denunziert worden. Hier zog sich die Trennung für oder gegen Hitler durch die ganze Familie, Verwandtschaft, und spaltete die Familie in Hitler-Befürworter, oder eben Henlein-Befürworter. Entweder warst du a Heil, ein Henleinanhänger, oder warst du ein Sozi, ein Sozialdemokrat."

  • "Der Besuch selber drüben war überhaupt nicht von Politik geprägt, es wurde keine Politik gemacht. Es wurde über keine politischen Gespräche... es wurden keine politischen Gespräche geführt. Man war da drüben, um einfach einmal die Verwandtschaft kennen zu lernen. Das war uns wichtiger erst einmal die persönlichen Kontakte erst einmal zu knüpfen und das war insgesamt ein sehr, sehr, ja, emotionales positives Empfinden für mich persönlich, so die Erwartung: 'Wo bist Du denn überhaupt geboren?' Geburtshaus sind wir hingefahren. Mal zu sehen, wo meine Großeltern gelebt haben mit einem kleinen Bauernanwesen und wo die Äcker waren, das hat mir dann der Vater gezeigt. Und wo dies und jenes war und wo meine Mutter im Haushalt war in Karlsbad. Und das war diese, diese...Und allein schon die Art und Weise des...der Mundart, die da drüben immer noch ja gepflegt wurde, das Egerländerische, auch zuhause ja, meine Eltern haben ja Egerländerisch, nach wie vor, gesprochen...Und das hat so ein unbeschreibliches Heimatgefühl...Dieses Wiederentdecken aus dem Land aus dem ich an und für sich stamme. Also dieser Kontakt zu der Verwandtschaft war sehr innig."

  • "Das hat mich also, das hat mich schwer getroffen, als nicht ich selber, sondern mein Bruder, der wollte einmal anbandeln mit einem Mädchen und die hat dann, einfach dann rübergeschrieen: 'Was willst denn Du Barackler?'. Und das hat mich also schon im innersten getroffen. Aber das war für mich, aber im Endeffekt muss ich der vielleicht sogar noch dankbar sein, das war für mich sogar noch der Ansporn, innerer Ansporn, denen, denen, in Anführungszeichen, es zu zeigen. Dass wir mehr sind als nur Barackler. Das wir auch Ehre, eine gewisse Ehre haben. Das hat mich also meinem Ehrgefühl auch als Jugendlicher, als Kind sehr betroffen gemacht. Dadurch, dass, dass die Brüder schon frühzeitig dann musikalisch mit eingebunden waren und auch dann schon öffentlich musiziert haben, war natürlich der Kontakt zu der Bevölkerung, da die Musik ja übergreifend ist, länder- und völker- und kulturübergreifend ist, war als wichtiges Bindeglied vorhanden, und sodass also die, wurden wir schnell integriert. Wie andere in Fussballvereinen oder Sportler integriert waren, waren wir also schnell da in der Gesellschaft integriert über die Musik. Also die Musik war, war sehr hilfreich für uns."

  • "Während dieser schweren Zeit - Vater hat weder geraucht noch getrunken - hat mein Vater sogar die Finanzen aufgebracht uns drei Jungen Musik lernen zu lassen. Musiklehrer kostete Geld und trotzdem haben wir alle drei Instrumente lernen...durften wir Instrumente lernen. Der Bruder, der älteste Bruder, Karl, Geige und Klarinette und Akkordeon, der andere Bruder Akkordeon und später Trompete und ich habe Akkordeon lernen dürfen beim Musiklehrer Salzmann und habe dann ein Schlagzeug bekommen. Das war mein Traum gewesen. Ein Schlagzeug damals eine Besonderheit, heutzutage kriegt man es beim Aldi nach...nachgeschmissen. Da wurde ich gleich...ungefähr, da war ich zehn Jahre alt und gleich Weihnachten das Schlagzeug gekriegt. Dann bin ich einen halben Meter hoch gesprungen und Silvester musste ich schon eingreifen, weil der Schlagzeuger dort bei dem Trio, das aus meinem Bruder bestand, Erich, dem, also dem Zweitältesten, und einem Gitarristen und ich als Schlagzeuger. Durfte ich gleich an Silvester antreten."

  • Full recordings
  • 1

    Hof, 27.08.2014

    (audio)
    duration: 02:08:54
  • 2

    Rehau, 13.09.2019

    (audio)
    duration: 02:04:03
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...nicht die Wurzeln vergessend.

Peter Heidler als junger Mann
Peter Heidler als junger Mann
photo: privat

Den Krieg hat Peter Heidler nicht mehr erleben müssen. Als letzter von drei Söhnen wurde er am 28. Juni 1946 in Grünlas, Kreis Elbogen, geboren. Trotz der Bestätigung als Antifaschist gewirkt zu haben - der Vater verbrachte ein halbes Jahr in KZ-Haft in Dachau -, verließ die Familie im Oktober desselben Jahres die Tschechoslowakei Richtung Bundesrepublik. Hier begann für Heidler eine Kindheit im Flüchtlingslager in Hof Nord. Der Vater, gelernter Maurer, wurde Lagerleiter. Trotz der prekären Umstände ermöglichten die Eltern den drei Kindern eine musikalische Ausbildung, Heidler lernte das Akkordeonspiel und bekam mit zehn Jahren sogar ein Schlagzeug geschenkt. Als Musiker verdienten die Brüder sich so immer etwas hinzu. Nach dem Besuch der Realschule absolvierte Heidler eine Lehre zum Maschinenschlosser, während die Familie zeitgleich begann ein eigenes Haus in Hof zu bauen. Nach Abschluss der Lehre leistete Heidler Wehrersatzdienst in einem Altenheim in Selb, wo er auch seine spätere Frau kennenlernte. Er begann danach zunächst ein Studium in Coburg zum Maschinenbauingenieur, dann in Berlin zum Berufsschullehrer. Schließlich fand er in Hof eine Anstellung, die er bis zur Pensionierung inne hatte. Schon in seinen Jugendjahren hat Heidler das Leben in der sozialdemokratischen Gemeinschaft kennengelernt, sein Vater war in der Arbeitsgemeinschaft Sudetendeutscher Sozialdemokraten und später in der Seliger-Gemeinde in Hof aktiv. 1978 wurde Heidler selbst zu ihrem Vorsitzenden gewählt. Seit 2009 ist er Landesvorsitzender der Gemeinde.