Manfred Matthies

* 1941

  • „Also man konnte mit dem normalen Personenzug fahren nach Berlin und musste dann, der fuhr über Brandenburg – Potsdam, und dann gab es damals den Außenring, dann fährt er außen um West-Berlin herum, ich glaube irgendwo nach Lichterberg oder sowas. Dann konnte man in Potsdam aussteigen, in Potsdam in die S-Bahn steigen und mit der S-Bahn durchfahren und behaupten, man will eben zum Ostbahnhof und vom Ostbahnhof fuhr der Zug nach Greifswald. Also wir wollten offiziell nach Greifswald, weil da mein Bruder wohnte. Da rannten dann Polizisten rum und fragten „haben Sie ne Fahrkarte?“, hatten wir ja und alles, so dass das nur ne, äh, keine, äh, wir haben keinen Verdacht erregt, sag ich mal. Es war auch plausibel, dass man in den Urlaub fährt und auch nen Koffer dabei hat, alles ok. Und so sind wir von Potsdam, S-Bahn, dann nachher in Wannsee ausgestiegen. Dazu muss man sagen, die S-Bahn gehörte zu Ost-Berlin. Also die Verwaltung Reichsbahn, die Reichsbahn stand unter der Verwaltung von Ost-Berlin und das Territorium war zwar im Westen, aber es war besser, wenn man abhauen wollte, dass man die erste West-Station ausstieg und dann mit dem Bus weiter fuhr, weil da war man dann ganz sicher, da konnte dann nicht noch jemand was passiert, „kommen Sie mal mit“, oder irgendsowas. Damals gab es unheimlich viele Entführungen in West-Berlin, wo die Stasi Leute gekidnappt hatte. Es gab so Horrorgeschichten, ja. Die Wahrheit war, dass man unliebsame Personen dann in West-Berlin betäubt hat und mit dem Auto wieder über die Grenze nach Ost-Berlin gefahren. Fricke z.B., ist so ein berühmter Fall, der auch in Bautzen gesessen hat nachher und einige andere auch. Also, die Flüsterpropaganda war „raus aus der S-Bahn und rein in den Bus“, und mit dem Bus dann hinfahren, wo man hin muss, zum Aufnahmelager Marienfelde. Äh, das gibt’s immer noch das Auffanglager. Und das war dann jetzt mal, dass man sich meldet. Stimmt, und dann sind wir von dort aus in so ein Auffanglager gekommen, das war ganz furchtbar, das waren so alte Fabrikhallen in Reinikendorf. Man muss sich das ja mal vorstellen, da kommen so täglich 3.000 – 4.000 Menschen an, das war ja ein unglaublicher Andrang. Und das waren Fabrikhallen, da standen vier Stockbetten drin und dann waren immer so Abteile gemacht, also zweimal vier Stockbetten hintereinander, vier auf jeder Seite und dieses Abteil wurde dann so mit Leinwand abgeteilt. Das waren so, praktisch, Verschläge und manche wohnten da schon seit Uhrzeiten drin. Da wurde so vorsortiert, ja. Also, ich will jetzt nicht sagen, man schon immer geguckt „aha, das ist jetzt hier die Truppe, die hauen immer ab und kommen dann wieder und hin und her“, und manche hatten schon so, die Frauen hatten da ihr eigenes Gewerbe, das wurde alles da abgewickelt. Das war wirklich, da müsste man eigentlich mal einen Film drüber drehen, das war wirklich Fellini hoch drei, ja, ganz furchtbar. Diese Essenskübel wurden dann da in den Gang gestellt, da konnte man sich sein Essen nehmen, nicht. Und die Leute waren dermaßen verkommen, die haben das dann wieder rein gekippt und gesagt „ich fress die Scheisse nicht“. Wie Menschen eben so sind, wenn sie wirklich ganz unten angekommen sind. Ganz, ganz fürchterlich. Naja, und das war so eine Vorsortieranlage, da sind wir dann sofort in einen anderen Trakt gekommen, wo Einzelzimmer waren, ja, und das hielt dann an, diese Sortierung, diese soziale Schichtung, bis nach Westdeutschland. Dann waren selbst in Salzgitter da gabs dann die anständigen Familien, die bürgerlichen Familien kamen in, das war ein ehemaliges Gutshaus, riesengroßes schon fast schlossähnliches und nen großer ehemaliger landwirtschaftlicher Scheunenteil, der ausgebaut war auch mit diesen Abteilungen. Und die Proleten kamen da rein, ja?“

  • „Jetzt kam also diese Situation da mit der Frau und ihrem Kind und sie hatte also angeblich nen Verlobten, nen Freund, die war noch verheiratet, aber hatte sich getrennt. Naja, man kann ja immer nur das wahrgenommen, was man erzählt bekommt nicht? Der Verlobte, der so genannte Verlobte wollte fahren. Dann haben wir das alles vorbereitet, haben gesagt, gut also, zwischen Weihnachten und Neujahr, machen wir im Zuge dieses Jahresendverkehrs, wenn sehr viel Verkehrsaufkommen ist macht sich das am besten, dann machen wir das. Dann rief der praktisch einen Tag vorher an, ich glaube das war, ja, einen Tag vorher, er könne nicht fahren, er hat Probleme mit dem Magen und ihm sei übel und er könne gar nicht das Bett verlassen und die Toilette und so weiter und so weiter. Ich hatte mir zugleich auch eine Einreise besorgt, um da ein bisschen so den Finger drauf zu lassen, dann habe ich gesagt, gut, dann wollen wir das jetzt nicht platzen lassen, dann fahre ich. Und die Alte war beobachtet, ich hab dann später durch ihre Akteneinsicht belegen können, der Mann, sie war ja noch verheiratet, der hat frühzeitig mitgekriegt, dass sie da was plant und hatte der Stasi nen Tipp gegeben, hatte gesagt „die wird irgendwann abhauen, passt auf.“ Ja, das wars dann. Also da bin ich praktisch in so ne Falle gelaufen, wobei ich den Typen, den so genannten Verlobten nie wieder gesehen haben, also nach meiner Haft, da war der verschwunden und ich weiß nicht, ob das ne fingierte Geschichte gewesen ist oder ob er einfach nur Schieß gekriegt hat. Aber es ging da auch nicht um mich, also wie dann später raus kam, weil das war ein ziemlich hoher Funktionär, der man von der Frau, die da abhauen wollte, im Sportbereich und was die da gemauschelt haben mit Drogen und Doping und diesen ganzen Geschichte, da hatte glaube ich die DDR ziemlich Schieß, dass das Ganze irgendwie bekannt wird. Sowas hing dahinter, solche Verknüpfungen. Natürlich, Fluchthilfe sowieso, aber das war ein wichtiger Fall, das war keine kleines Gretchen ausem Zeitungsladen, ne unbedeutende Person, sondern die war denen schon wichtig. Die hat ja auch sechs Jahre gekriegt, die hat die auch voll abgeschmort, du glaubts gar nichts. Und ich habe dreizehn gekriegt, oder dreizehn Jahre verurteilt und ich hab davon knapp vier abgesessen, ja. Das ist ja immer so ein Ritual am Grenzübergang, man kommt an, zeigt seinen Passagierschein und dann steckt der den in so ne Klappe, da sitzt dann einer hinter, der stempelt das ab und dann kommt das wieder raus und dann fährst du weiter. Und wenn sich das verändert, dann ist da irgendwas los. Und der nimmt das, und dreht sich um und geht mit meinen Papieren weg. Da habe ich schon gedacht „oh Scheisse, hier stimmt irgendwas nicht“. Dann kommt er mit vier Bewaffneten wieder, und die MP runter und dann haben die mich gleich „fahren Sie mal gleich in die Garage drüben rein“, und Tor zu und da haben die gleich gesagt „machen Sie keine langen Sprüche“. Ich hab gesagt „Ich habe nichts, da ist nichts, gucken Sie doch, können das Auto auseinander nehmen, da ist keiner drin, Kofferraum, gucken Sie hier, ist doch leer“. Und dann kam da so nen Spezi hin und sagt „reden Sie nicht rum, wir wissen, dass Sie da jemanden drin haben“. Und er kannte auch den Namen und sagte: „müssen wir uns jetzt hier nichts vormachen, machen Sie sich das Leben leichter, machen Sie das Versteck auf und die Sache ist gelaufen.“ Naja, was kannst du noch sagen? Schraube, schraube, schraube, „kommen Sie raus, wir müssen leider aufgeben“. Das ist dann das Ende gewesen.“

  • „Die erste Zeit waren das ja nur Absperrungen so mit Draht und Pfostenreihen und Drahtsperren durchgezogen quer über die Straße. An bestimmten Brennpunkten, wie z.B. Brandenburger Tor da wurde ja sofort ne, nach dem Drahtzaun wurden ja sofort di eBetonplatten gesetzt, das war so eine der ersten Mauersetzungen, also, diese dicken Dinger, wo du mit dem Panzer gegen fahren kannst. Und in der Bernauer Straße, wo dann von Anfang an, da waren auch erst Drahtzäune mit Postenkette, aber das waren alles noch so Sachen... da konnte man an der einen Seite, also die Straße, die dann so rein mündet, konntest du an der Seite, hat man mit den Posten geredet, die ganzen Anwohner, das waren ja aufgeregte Leute, die hatten gar keinen Überblick, dann haben die geredet und sind da umher gelaufen, da sind ganz schnell von Osten welche „schwupps“, waren sie im Westen, weil das konnte gar nicht so stramm gehandhabt werden, man musste da so ne richtige Aktion entwickeln. Das waren so Sachen, wo man so mehr oder weniger, das hat sich so wie Spaß entwickelt. Die Sache da an der sich bildenden Grenze... die Leute die da standen, das waren ja auch Familienväter aus diesen Kampfgruppen, die ja auch nicht so richtig wussten, was sie da machen sollten. So die ersten Tage haben die auch „ja, wir müssen ja jetzt hier unseren Staat schützen“. Dann gings natürlich gleich los: „ja, aber wer macht den euren Staat kaputt, ihr macht das doch selber. Bei Euch gibt’s doch nichts zu Fressen, dann kommt doch hier rüber“, „ja, aber ist so teuer bei euch“. War ja Umtauschkurs, eine Westmark waren ja fünfundzwanzig Ost-Pfennige. Das war ja 1 zu 4 oder sowas. Das waren alles so Situationen, die so noch ohne Schusswaffen, obwohl sie alle ihre Gewehre überhängen hatten, aber das wurde dann in den nächsten Tagen, da merkte man dann schon, da kamen dann die, das waren dann nicht nur die Kampftruppen, sondern das waren dann schon die Soldaten und das war schon anders. Die haben schon mehr auf Distanz geachtet. Dann kamen schon Maurer und flupp, flupp, flupp hatten sie so ne Mauer, die so bis zum Kinn, zur Augenhöhe ging und dann noch so nen paar so Dinger drauf und dann haben die im Westen ne Leiter dran gebaut und dann haben sie noch was drauf gebaut und dann hat sich das so richtig in die Höhe geschaukelt. Aber in dem Moment wo dann die Maurer angerückt kamen, dann waren natürlich die Kontakte mit den Leuten vorbei. Du merktest dann, ich weiß es gar nicht, das war glaub ich, am 20. August war das so, da waren dann schon Sperren eingerichtet, dass die Ostler schon gar nicht mehr so weit dran kamen an die Mauer. Also, die ersten Tage da standen die Kampftruppenleute und die Ostler direkt dahinter, und die Westler vor den Kampftruppenleuten. Das war wie so Leute, die sich an ner Ecke treffen. Aber in den nächsten Tagen wurde das sofort aufgelöst, da wurden die Ostler 50 Meter war so nen Sperrband gemacht und dann standen da auch wieder Leute mit nem Gewehr und so ging das langsam vorwärts.“

  • „Die BRD-Bürger die konnten über den Checkpoint Charlie nach Ost-Berlin einreisen als Westbürger. Die kriegten so einen Passagierschein. Dann wurden darüber die ersten Fluchthilfesituationen organisiert. Der Passagierschein wurde geholt und war um 9 Uhr in West-Berlin, um 12 Uhr war der nachgedruckt und dann brauchte man natürlich die entsprechenden Papiere für die Leute, die man geholt hat. Also, der Passagierschein, da war der Einreisestempel drauf und du musstest dann an dem gleichen Grenzübergang wieder ausreisen. Dann brauchtest du einen Ausweis, wo das Bild dann natürlich rein geheftet wurde, wenn es nicht ungefähr so hingehauen hat. Und da waren natürlich alle Bekannten, alle Freunde, hast auf der Straße gesagt: „Kann ich mal Ihren Ausweis für meine Freunde“, usw. Das lief ne ganze Zeit lang. Und da haben sich dann auch, wie gesagt über diese Aktionen haben sich die ersten organisierten Gruppen gefestigt. An jeder Hochschule existierte dann so ne Gruppe, die sich damit beschäftigt hat. Teilweise waren die richtig gewählt von den Studenten, die ein Anliegen hatten und dadurch war das auch immer alles ganz echt, nicht?, weil sich immer nur Beteiligte um die Leute im Osten gekümmert haben und es waren keine faulen Eier dabei. Das ging der Stasi damals auch alles zu schnell und zu rasant, dieses Einschleusen von Spionen und so, das ist alles eine Sache gewesen, die erst danach kam, als die Stasi gemerkt, „ups, was ist denn da los. Die Fluchtbewegung, die ist ja nicht unterdrückt, sondern das geht ja wieder rasant.“ Ja, wir haben in der Meisterschule, waren zig Leute, wo die direkten Familienangehörigen in Ostberlin saßen und bei uns, also bei meinem Bruder und mir war die Motivation, wir wussten, wir waren ja nun beide zwei Jahre vorher abgehauen, noch auf ne elegante Art und Weise und wussten natürlich, was es bedeutet, da nicht mehr weg zu können. Und auch vielleicht so nen bisschen Abenteuerlust, das war ja auch spannend sowas zu machen, und auch dieses spielerische Moment, dass man da so einen ganzen Apparat austricksen kann. Also das ist schon ne tolle Sache. Hat sich dann ja auch immer weiter entwickelt. Diese Passagierscheinaktionen, danach kamen dann andere Sachen, wo man die Kanalisation ausgenutzt hat, 60 Leute durch die Kanalisation geschleust, die Gitter, die eingezogen waren unter dem Wasserspiegel abgeschnitten, durchgetrennt, alles Schlosserarbeit und da die Leute dann durch raus geholt. Tunnel, Mitarbeiten bei Tunneln, bis hin her nachher zu meinen Aktionen, umgebaute Autos und mit diesen umgebauten Autos dann über die verschiedenen Grenzübergänge und die verschiedenen Grenzen dann Aktionen gemacht. Wir waren zum Beispiel, das ging ganz gut in Ungarn. Das waren auch immer Sachen, wo ich gesagt habe, ich gebe, also... das System ist erst mal so: Wenn man jemanden geholt hat, oder jemanden unterstützt hat, dass er kommen kann, der hat garantiert wieder ne Freundin oder nen Freund, der sagt, der auch kommen will. Also du hast Kundennachschub, wenn man das mal so sagen will, der der war immer gesichert, weil man konnte ja vom Westen aus überhaupt nicht überblicken, ist der sauber oder... und da brauchst du nen Garanten für und wenn du jemandem geholfen hast, das ist der beste Garant dafür. Der sagt: „ja, das ist ein Freund, den kenne ich seit Jahren, der ist sauber.“ Ich habe dieses Fluchtauto gestellt und umgebaut, und den Fluchtweg, habe gesagt „das haben wir ausprobiert, das ist sicher, das geht“. Dann musste der Fahrer direkt Beteiligter sein, dass man da nicht nen Fremden brauchte, der auch unter Umständen einer seinen könnte, wo man nicht weiß, von woher der kommt und so ist das jahrelang ja gelaufen. Ich hab ja bis ´71, ´72 bin ich verhaftet worden, habe ich ja immer sporadisch solche Sachen gemacht.“

  • „Als das so anfing mit den Demonstrationen in der DDR, Leizpig und jede Stadt, die dann so gezeigt wurde, dachte ich, also, „wann kommen diese Panzer, das kann doch nicht sein, dass diese Panzer nicht kommen“. Also, das war meine Erfahrung, da müssen die Panzer kommen, weil anders geht das im Osten nicht. Die kamen nicht, sie kamen nicht, sie kamen nicht, sie kamen nicht. Dann diese Demonstrationen an dem 40. Jahrestag der Republik, vorne wurden die Blauhelme gezeigt wie sie alle jubelten und hinter dem Palast der Republik stehen die anderen und schreien „Gorbi, Gorbi“ und so. Wo ich gesagt habe: „auch da kommen die Panzer nicht, ja gibt’s denn sowas, das kann doch nicht sein.“ So setzt sich das fort. Ich rannte zur Mauer hin, dann bröckelte das ja, die Löcher wurden immer größer in der Mauer drin. Da in der Nähe von der Kochstraße, da war so ein Trümmergrundstück, da wurden schon die Zigaretten durchgereicht und die Grenzpolizisten von der anderen Seite, die quatschen dann, ihre Flinte hatten die da hinten am Wachturm stehen. „Was ist denn das, das gibt’s doch nicht, da muss doch, irgendwo muss doch jetzt....“ Naja, da standen sie am Brandenburger Tor oben auf der Mauer die Leute und so langsam merktest du, der Schabowski dann, das wurde ja später erst gezeigt. Erst mal kams ja so, dass es hieß „die Mauer wird in der Bernauer Straße, ist der Grenzübergang geöffnet worden, die kommen alle rüber“. Und dann kam ja auch dieser riesige Trabbi-Zug, eine Dunstwolke durch West-Berlin. Das war ja riesiger Lindwurm, eine einzige Hochzeitsfeier und alles hupte und klopfte denen auf die Dächer und die fuhren alle, die trauten sich gar nicht zur Seite wegzufahren, die fuhren alle die Hauptstraße entlang. Ja, dann ging der andere, da an der Sandbrücke, wo sie mich verwandt haben und auch wieder ausgeliefert haben, da gingen auch die Schranken hoch, da kamen sie auch durchgefahren. Und da habe ich erst so gedacht „also, das kann, ist das etwas hier jetzt so weit, dass die hier die Mauer aufmachen. Vielleicht nen Stückchen, dass die so Reisen können, dass der Druck weg ist.“ Aber dass die so ganz richtig fällt, so ganz weg ist, das habe ich selbst noch nicht geglaubt, als die die ersten Elemente raus genommen haben, da in der Nähe, rechts vom Brandenburger Tor wurden ja die ersten drei Dinger raus genommen, wo man dann so durchlaufen konnte. Selbst da habe ich noch gedacht: „also, die werden doch nicht diesen Schutzwall, diesen berühmten Schutzwall wegnehmen, um unkontrolliert die Leute ins Land zu lassen, hin und her, das wäre, das kann doch dann, dann kann es doch nur zu einer Vereinigung kommen. Das macht dann sonst überhaupt keinen Sinn, dass man so ein Bauwerk stehen lässt, wenn es denn Zweck nicht mehr hat“.“

  • Full recordings
  • 1

    Berlin, 06.01.2014

    (audio)
    duration: 03:41:25
    media recorded in project Iron Curtain Stories
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Wir wussten natürlich, was es bedeutet, da nicht mehr weg zu können

Foto Januar 2014
Foto Januar 2014

  Manfred Matthies wurde 1941 in Magdeburg geboren. Er wuchs in einer bombenzerstörte Stadt auf, die er damals als unendlichen Spielplatz wahrnahm. Der Vater war bereits kurz nach Ende des Krieges verstorben, seine Mutter zog ihn und seine beiden Geschwister alleine groß. Matthies absolvierte dann eine Berufsausbildung zum Schiffsbauer. In der frühen DDR war er zwar nicht politisch tätig, aber doch widerständig im Rahmen der Jugendkultur, erfuhr selbst aber keine Schwierigkeiten. 1959 flüchtete Matthies 18-jährig mit seiner Mutter und seiner Schwester aus Magdeburg über Ost- nach West-Berlin. Erst später erfuhr er, dass die Mutter wegen Westkontakten bereits durch die Stasi beobachtet worden war. Von West-Berlin wurde die Familie nach Nordrhein-Westfalen geschickt, wo Matthies einige Jahre arbeitete. Von dort aus konnte er sich auch seinen Wunsch nach Reisen durch Europa erfüllen. 1961 ging er von Westdeutschland zum Studium nach West-Berlin, wo bereits sein älterer Bruder studierte. Dort erlebte er auch den Mauerbau mit. In der Folgezeit begann ein großer Teil der Westberliner Bevölkerung, private Fluchthilfe zu leisten, da die meisten familiäre und persönliche Kontakte zu Bürgern Ost-Berlins hatten. Auch Matthies und sein Bruder engagierten sich im Rahmen einer studentischen Fluchthilfegruppe. Auch Matthies wandte das komplette Repertoire der Fluchthilfe an: Passfälschungen, Tunnelgrabungen, Flucht durch die Kanalisation, Transport in umgebauten Autos, Flucht mit dem Auto über die ungarisch-österreichische oder die jugoslawische Grenze sowie mit dem Segelboot von Polen über die Ostsee. Ende Dezember 1972 wurde er bei einer Fluchthilfe mit einem umgebauten Auto an einem Berliner Grenzübergang verhaftet. Ein dreiviertel Jahr verbrachte er im Untersuchungsgefängnis in Berlin-Hohenschönhausen und wurde schließlich zu 13 Jahren Haft verurteilt. Seine Strafe verbüßte er im Gefängnis Bautzen II. Die Haftzeit war geprägt durch Arbeitszwang, fehlende Privatsphäre, Zwangsgemeinschaft mit den anderen Häftlingen und der ständigen Hoffnung auf eine Amnestie. Nach drei Jahren, im März 1976 wurde Matthies nach einer Intervention aus Westdeutschland vorzeitig entlassen. Er ging zurück nach West-Berlin, wo er ein zweites Mal heiratete und zwei Töchter bekam. Für die Fluchthilfe war er nun nicht mehr tauglich, da der Staatssicherheit bekannt. Der Mauerfall 1989 kam für Matthies völlig überraschend. Die Nacht der Maueröffnung erlebte er mit einigen Freunden am Brandenburger Tor. Nach Weihnachten 1989 konnte er das erste Mal wieder nach Ost-Berlin reisen, der Anblick der zerfallenden Altbauviertel war ein Schock. Heute engagiert Matthies sich als Referent in der Gedenkstätte Bautzen. Er ist der Ansicht, seine Erlebnisse weitertragen und die Erinnerung daran bewahren zu müssen.