The following text is not a historical study. It is a retelling of the witness’s life story based on the memories recorded in the interview. The story was processed by external collaborators of the Memory of Nations. In some cases, the short biography draws on documents made available by the Security Forces Archives, State District Archives, National Archives, or other institutions. These are used merely to complement the witness’s testimony. The referenced pages of such files are saved in the Documents section.
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Ich handelte bewusst und wusste, was passieren könnte.
1941 Geburt in Rostock
1958 praktisches Jahr Warnowwerft in Warnemünde
1959 – 64 Studium der Physik in Rostock
1965 Arbeit als Physiker im Halbleiterwerk Stahnsdorf
seit 1968 oppositionelles Engagement, Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings, Bekanntschaft mit Robert Havemann, Wolf Biermann
1970 Umzug nach Berlin
1975 Dienst als Bausoldat
1976 Protest gegen die Ausbürgerung von Biermann > Arbeitszusage der Akademie der Wissenschaften zurückgezogen
1977 – 84 Arbeit als Maschinist in einer Berliner Schwimmhalle
ab Ende 70er verstärkte Kontakte mit Havemann, zahlreiche Diskussionen in oppositionellen Kleingruppen, viele Reisen in ostmitteleuropäische Länder, Inspiration vor allem durch die Dissidentenbewegung in der Tschechoslowakei und die Charta 77
ab 1980 regelmäßige literarische Lesungen, Gründung eines unabhängigen Kinderladens, verstärkte Beobachtung durch die Staatssicherheit, Ausreiseverbot
1983 Verhaftung von Poppes Frau Ulrike wegen „landesverräterische Nachrichtenübermittlung“, Freilassung nach sechs Wochen wegen internationaler Proteste
ab 1983 intensive Kontakte mit der internationalen Friedensbewegungen sowie den bundesdeutschen Grünen um Petra Kelly, Poppes Wohnung als Treffpunkt
ab 1986 Herausgabe illegaler Samizdat-Publikationen
1985 – 89 Tätigkeit als Ingenieur im Baubüro der Diakonischen Werkes
1985 Gründung der Oppositionsgruppe Initiative Frieden und Menschenrechte (IFM)
1989 Vertreter der IFM am Runden Tisch
1990 Feb.-März: Minister ohne Geschäftsbereich in der Regierung Modrow
1990 März-Oktober: Mitglied der frei gewählten Volkskammer für das Bündnis 90
1992 Einsicht in die eigenen Stasi-Akten
1990 bis 1998 Bundestagsabgeordneter für Bündnis 90 / Die Grünen
1998 – 2003 Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung im Auswärtigen Amt und
seit 1998 Mitglied des Vorstandes der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Kindheit
Gerd Poppe wurde 1941 in Rostock geboren. Seine Kindheit war geprägt von den Auswirkungen des Krieges, Hunger, der Schwarzmarkt brutale Prügeleien unter den Kindern, zerbombte Häuser und das Spielen in Ruinen gehörten dazu. Seine Eltern standen den Kommunisten ablehnend gegenüber, äußerten dieses jedoch nicht öffentlich. 1947 wurde er eingeschult und verspürte in seiner Schulzeit eine tiefe Abneigung gegen die stete Präsenz sowjetischer Heldengeschichten und Stalin-Bildern. Nach dem Abitur leistete er ein praktisches Jahr als Hilfsschlosser in der Warnowwerft in Warnemünde. Danach studierte er – ein Wunsch seines Vaters – Physik in Rostock; 1964 beendete er sein Studium
Bau der Mauer
Den Bau der Mauer sieht Poppe als den Beginn seiner Abneigung gegen das System. Er hatte immer viel Zeit in West-Berlin verbracht, nutze dort sehr stark das kulturelle Angebot und kannte den Westteil der geteilten Stadt gut. Als er am Morgen vom Bau der Mauer erfuhr, bracht für ihn viel zusammen, was wichtig gewesen war. 1965 zog er berufsbedingt nach Stahnsdorf bei Berlin und arbeitete in der Entwicklung von Bauelementen. Sein politisches Interesse wurde jedoch stärker, wobei Poppe zu diesem Zeitpunkt noch an Veränderungen innerhalb des kommunistischen Systems glaubte. Wichtig war für ihn dabei die Orientierung an Ostmitteleuropa, wo größere Freiräume möglich waren. Im Haus der polnischen Kultur sowie im Haus der tschechoslowakischen Kultur in Ost-Berlin hatte er die Möglichkeit, Zeitungen zu lesen, die anders waren als SED-Zeitungen sowie Filme von Andrzej Wajda und aus der tschechoslowakischen Neue Welle zu sehen.
Zweierlei 1968
Poppe hatte somit stets aufmerksam auf die Entwicklung in Ostmitteleuropa und vor allem auf die Tschechoslowakei geschaut. Bereits 1956 hatte er den Aufstand in Ungarn mitverfolgt und umso dann die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968. Er unterschrieb als Reaktion ein Solidaritätsschreiben in der tschechoslowakischen Botschaft. Dies war für ihn der Anfang seines oppositionellen Verhaltens. Auch die Studentenbewegung war für Poppe wichtig gewesen, und 1968 bedeutet auch für ihn beide Ereignisse. In dieser Zeit begann er sich mit Leuten zu treffen, die ähnlich dachten wie er.
Umzug nach Berlin und neue Bekanntschaften
1970 zog Poppe nach Berlin, 1976 kündige er dann auch seine Stelle in Stahnsdorf. Die Zeit in Berlin war geprägt von neuen Bekanntschaften, so lernte er über Freunde auch Robert Havemann und Wolf Biermann kennen. Sein Bekanntenkreis erweiterte sich stark um kritische DDR-Bürger und diese Zeit war wichtig für seine persönliche Horizonterweiterung.
Zeit als Bausoldat
Poppe hatte den Wehrdienst verweigert und wurde 1975 mit Mitte 30 als Bausoldat eingezogen. Er verhielt sich aufmüpfig und erhielt so mehrfache Ausgangs- und Urlaubssperre. In dieser Zeit lernte er jedoch auch weitere Menschen kennen, die ähnlich dachten. Als Begründung für seine Verweigerung hatte er nicht christliche oder pazifistische Gründe angegeben, sondern argumentierte, da die polnische Armee gegen streikende Arbeiter vorgegangen war, er sich vorstellen könnte, dass das auch in der DDR passieren könnte.
Ausbürgerung Biermanns
Das Jahr 1976 bedeutete einen weiteren Einschnitt für Poppe. Nach einer Zeit der gefühlten Lockerung Anfang der siebziger Jahre, nahm der Druck nach der Machtübernahme von Honecker wieder zu. In diesem Kontext wurde Wolf Biermann ausgebürgert und weitere Schikanen gegen kritische Autoren und Künstler unternommen. Zusammen mit einer Freundin richtete Poppe einen Protest an Honecker gegen die Ausbürgerung Biermanns. Eine Zusage für eine neue Stelle nach seiner Kündigung in Stahnsdorf wurde wieder zurückgezogen. Zudem wurden in dieser Zeit trotzkistisch eingestellte Freunde verhaftet und in der Folge auch Poppes Wohnung durchsucht. Ab diesem Zeitpunkt fand er keine geeignete Arbeitsstelle mehr und arbeitete schließlich bis 1985 als Maschinist in einer Berliner Schwimmhalle. Nach der Biermann-Ausbürgerung verlor Poppe zudem einen großen Teil seines Freundeskreises, da viele in den Westen emigrierten.
Neue Beziehungen nach 1976
In der Folgezeit kam er jedoch auch mit neuen Menschen in Kontakt. 1977 lasen sie Rudolf Bahros „Die Alternative“, dessen zweiter Teil eine Analyse des Zustandes der DDR ist. Über Kontakt zu westlichen Journalisten wurde das Buch organisiert und in der DDR verteilt. In dieser Zeit intensivierte sich auch Poppes Beziehung zu Havemann, nach der Aufhebung seines Hausarrestes 1979 war Poppe häufig bei diesem zu Besuch. Auch mit Bahro hatte Poppe engeren Kontakt: Die Bedingung für Bahros Freilassung 1979 war, dass er in die Bundesrepublik abgeschoben werden sollte. Poppe versuchte ihm seine Zustimmung dazu auszureden. Ein vereinbartes Treffen wurde von der Stasi vereitelt. Nach Bahros Ausreise stand Poppes Wohnung noch eine Woche unter Beobachtung. Die Bedeutung von Havemann sieht Poppe in seiner Fähigkeit, kreativ Barrieren zu überschreiten und sich bemerkbar zu machen und so eine Aufmerksamkeit zu erlangen, die eine Einzelperson in einer Demokratie gar nicht erreicht hätte. Aufgrund seiner Vergangenheit als Verfolgter des Nazi-Regime wurde er nie verhaftet, war jedoch sehr krank und starb schließlich 1982.
Politische Diskussionen und wichtige Reisen
Die zweite Hälfte der siebziger Jahre waren für Poppe geprägt von zahlreichen politischen Diskussionen in Kleingruppen, die allerdings stets in gleichen Kreisen stattfanden und somit nicht auf die Öffentlichkeit wirkten. Er positionierte sich immer noch politisch links, hatte jedoch Ende der siebziger Jahre die Hoffnung auf demokratische Reformen verloren. Wichtig für Poppe waren Reisen in die ostmitteleuropäischen Nachbarländer, vor allem in die Tschechoslowakei, deren Charta 77 er sehr aufmerksam verfolgt hatte. Auch die Entwicklung in Polen – etwa die Gründung des KOR (Komitee zur Verteidigung der Arbeiter) und den offenen Brief von Jacek Kuroń und Karol Modzelewski – war inspirierend. Man habe stets Wege finden können, um sich gut zu informieren und so auch über die Situation im Ostblock. In Prag besuchte er auch Petr Uhl und Anna Šabatová und lernte die Aktivitäten der tschechoslowakischen Opposition wie Wohnungsuniversitäten, Druck von Zeitschriften und Veranstaltungen trotz Repressionen kennen. Diese Aktivitäten waren für ihn Inspiration, Ähnliches in der DDR umzusetzen. Ende der siebziger Jahre entwickelte sich somit seine Haltung, dass es wichtig sei, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen und die konspirativen Kreise zu verlassen.
Zehnjährige Vorgeschichte zu 1989 – die Friedensbewegung
So kann man sagen, dass die Vorgeschichte zur Revolution 1989 bereits Ende der siebziger Jahre begann. Der Anfang war dabei vor allem die Friedensbewegung, die infolge des Nato-Doppelbeschlusses 1979 begann im kirchlichen Rahmen gegen die schleichende Militarisierung zu agieren. Diese Friedenskreise stützten sich auf kleine Gruppen bzw. einzelne Pfarrer und umfassten nur einen kleinen Teil der Gemeinden. Häufig handelte es sich um junge Leute, die von außen kamen und Diskussionsräume suchten. Havemann sah diese Entwicklung als Ausgangspunkt für etwas Größeres und setzte seine Hoffnungen zudem in mögliche Reformen in der Sowjetunion. In einem offenen Brief an Breschnew zur Raketenfrage verlangte Havemann nicht nur die Abrüstung, sondern thematisierte auch die deutsche Frage. Dieser Brief sollte von bekannten Intellektuellen aus dem Westen unterschrieben werden, Poppe überredete Havemann, auch Unterschriften aus der DDR zu sammeln.
Die deutsche Frage
Innerhalb der DDR-Opposition war auch die deutsche Frage ein stetes Thema. In der heterogenen DDR-Opposition wurde lediglich bei Repressionen gemeinsam aufgetreten, bei politischen Inhalten dagegen konnten die Meinungen stark auseinander gehen und so auch bei der deutschen Frage. In den frühen achtziger Jahren gab es einen Arbeitskreis zur deutschen, an dem auch Gäste aus West-Berlin beteiligt waren. Die Treffen fanden in Ost-Berlin statt und diese Möglichkeit empfand Poppe im Gegensatz zu anderen Regionen in der DDR als ein großes Privileg und hatte stets viele Westkontakte.
Kontakte mit internationaler Friedensbewegung
Vor allem ab 1983 wurden die Kontakte mit der internationalen Friedensbewegung intensiver: In diesem Jahr fand in West-Berlin die zweite END-Convention statt (European Nuclear Disarmament). Hierzu wurden auch Teilnehmer aus der DDR eingeladen, die jedoch nicht ausreisen durften. Nichtsdestotrotz stellte die Konferenz den Beginn regelmäßiger Begegnungen mit der internationalen Friedensbewegung dar. Im Gegensatz zur bundesdeutschen wandte sich die internationale Friedensbewegung stets gegen die Positionierung von Raketen in beiden Blöcken und war somit der DDR-Opposition näher. Im Rahmen dieser Kontakte entwickelte sich Poppes Ost-Berliner Wohnung seit 1983 zu einem Hauptanlaufpunkt.
Literarische Lesungen
Ab 1980 fanden in Poppes Wohnung auch literarische Lesungen, z.B. von Lutz Rathenow, Wolfgang Hilbig und Elke Erb statt. Von der Stasi wurden die Lesungen als staatsfeindlich bewertet, Poppe erhielt Ordnungsstrafen. Was in anderen Staaten eine private Veranstaltung gewesen wäre, war in der DDR hoch-politisch und eine „nichtgenehmigte Veranstaltung“. Nach drei Jahre gab Poppe die Lesungen auf, die fortan in anderen Wohnungen abgehalten wurden.
Unabhängiger Kinderladen
1980 war Poppe zudem an der Gründung eines unabhängigen Kinderladens beteiligt, der bis 1983 bestand und in dem bis zu acht Kindern betreut wurden. Eine Privatbetreuung war nicht üblich, der Kinderladen von der Stasi als feindlich interpretiert. Im Dezember 1983 wurde der Laden zerstört, der Eingang zugemauert und die Kinder fortan in einem kirchlichen Kinderladen untergebracht.
Gründe für oppositionelles Verhalten
Hintergrund für Poppes Weg zur Opposition war der Umstand, dass er Bevormundung und Propaganda nicht ertragen könne. Zunächst fange man an zu widersprechen, war zunächst nicht oppositionell, doch dieses entwickelt sich nach und nach und verstärkt sich mit den zunehmenden schikanösen Reaktionen der Staatsmacht und durch den Kontakt mit ähnlich denkenden Menschen. Der Weg hin zur Gründung einer eigenen Gruppe führte über den Wunsch, Teil der Öffentlichkeit zu sein und sich nicht mehr nur konspirativ auszutauschen. Damit sei auch das Risiko verbunden, verhaftet werden zu können. Wie er aus seiner Akteneinsicht 1992 erfuhr, war Poppe seit er Verhaftung seiner trotzkistischen Freunde 1983 überwacht worden. In einem Bericht heißt es, dass er verhaftet werden solle, stattdessen wurde seine Frau Ulrike Poppe festgenommen.
Kontakte mit bundesdeutschen Grünen
1983 kamen auch die Kontakte mit den bundesdeutschen Gründen hinzu. Eine Delegation war bei Honecker zu Besuch und danach trafen sie sich noch bei Rainer Eppelmann. Seitdem bestand Kontakt mit den Grünen um Petra Kelly, die jedoch eine Minderheit innerhalb der Partei darstellten. Diese waren jedoch wichtig, da teilweise Mitglied des Bundestages und somit durch den Diplomatenpass von Grenzkontrollen ausgeschlossen. So konnten sie Bücher, Zeitschriften, Briefe und technische Geräte in die DDR schmuggeln.
Samizdat-Zeitschriften
Diese Unterstützung war wichtig für die Herausgabe von Samizdat-Zeitschriften, für die die polnische und tschechoslowakische Samizdat ein Vorbild war. Über diese konnte man sich über die Opposition im Ostblock gut informieren; zudem wurden reguläre Zeitschriften von ostmitteleuropäischen Oppositionellen im Westen herausgegeben.
Reiseverbote
Zu dieser Zeit konnten nur wenige der Opposition überhaupt noch reisen, auch Poppe stand auf der schwarzen Liste. 1980 hatte er versucht bei Zittau zu Fuß einen Grenzübergang zu passieren und war dabei zurückgewiesen worden. Zwar hatte er bereits einen Ausreisestempel und gelangte so über die grüne Grenze und auch wieder zurück, das sollte allerdings seine letzte Auslandsreise bis 1989 bleiben.
Verhaftung Ulrike Poppe
1983 wurde Ulrike Poppe zusammen mit Bärbel Bohley wegen „landesverräterische Nachrichtenübermittlung“ verhaftet. Der Grund war ein Gespräch mit einer Frau aus der neuseeländischen Friedensbewegung, bei der bei der Ausreise Aufzeichnungen über dieses Gespräch gefunden worden waren. Dies löste massive Proteste aus der internationalen Friedensbewegung aus, so dass sie nach sechswöchiger Untersuchungshaft entlassen wurde. Diese Reaktion der Staatsmacht war einen neue Entwicklung der achtziger Jahre: Verhaftete, die einen gewissen Bekanntheitsgrad hatten wurden wieder freigelassen, da Proteste zu erwarten waren. Poppe selbst wurde stets nur für z.B. einen Tag verhaftet, etwa um in an der Teilnahme an Veranstaltungen zu hindern (so beispielsweise 1979 am Prozess gegen Havemann).
Arbeitsstelle Baubüro des Diakonischen Werkes
Seit 1985 hatte Poppe eine neue Arbeitsstelle im Baubüro des Diakonischen Werkes, in dessen Rahmen ein befreundeter Architekt ökologische Bauprojekte verwirklichte, die über den Westen finanziert wurden. Wichtiger war für Poppe jedoch stets seine politische Tätigkeit, die nun klar oppositionell war.
Gründung Initiative Frieden und Menschenrechte
Der Ausgangspunkt für die Gründung der IFM war ein geplantes Menschenrechtsseminar, das aufgrund von Druck auf die Kirchengemeinde, in der das Seminar stattfinden sollte, abgesagt wurde. Die IFM orientierte sich inhaltlich stark an der Charta 77: Deren Friedensbegriff definierte sich nicht nur durch die Abwesenheit von Krieg, sondern vor allem durch das Gleichgewicht zwischen innerem und äußerem Frieden: Der Staat müsse auch die Rechte der eigenen Bürger achten. Die IFM vertrat dieselbe Position. Wichtig wurde so auch der Prager Apell von 1985, der auch wichtige Passage über die deutsche Frage enthielt: Die Lösung der deutschen Frage sei der Schlüssel für die Beendigung der Teilung Europas. Für den IFM war die deutsche Einheit dagegen eher ein Bestandteil und nicht der Anfang dieses Prozesses. Die Aktivitäten der IFM gingen jedoch schon wegen der strukturellen Ähnlichkeit eher in die Richtung der Charta als in die der Solidarność.
Bedeutung der Samizdat-Veröffentlichungen
Die Samizdat-Veröffentlichungen waren dabei das Wichtigste der Aktivitäten, da sie eine DDR-weite Verteilung und somit Vernetzung der verschiedenen Gruppen ermöglichten. So entstand ein Informationsnetz, über das auch Informationen über Aktionen in anderen Ländern, Solidaritätsbekundungen oder gemeinsame Erklärungen verbreitet werden konnten. Beispiele hierfür sind etwa Solidaritätserklärungen zum 10-jährigen Bestehen der Charta 77, zum 10. Jahrestag der Niederschlagung des Prager Frühlings oder zu Verhaftungen in Berlin 1988/89. Diese Vernetzung war auch deswegen wichtig, da sich die DDR-Führung davon beeindrucken ließ und Menschen mit Westkontakten nicht mehr so belangt wurden.
Zersetzungsversuche
War 1983 noch Poppes Verhaftung erwogen worden, so konzentrierte die Stasi sich nun eher auf Zersetzungsmaßnahmen innerhalb der Familie Poppe. So sollten die Kinder von ihren Eltern entfremdet werden oder es wurden anonyme Briefe mit Verdächtigungen verschickt; die Familie sollte dazu gebracht werden, einen Ausreiseantrag zu stellen.
Stärkung der Opposition bis 1989
Diese Versuche zeigten, dass sich in der DDR etwas verändert hatte und die Führung verunsichert war. Die Opposition verstärkte und vernetzte sich und als Ende 1987 Mitglieder der Umweltbibliothek verhaftet wurden sowie nach der Verhaftung von IFM-Mitgliedern im Januar 1988 kam es zu starken Protesten. Diese waren bereits die Voraussetzung für die Mobilisierung 1989. Im Frühjahr 1989 wurde zudem die Fälschung der Kommunalwahlen nachgewiesen, in deren Folge in Berlin zu Protesten am 7. jeden Monats aufgerufen wurde. Wichtig war hierbei, dass nun junge Leute den Mut fanden, aus denen Kirchengemeinden herauszutreten und diesen Schutz zu verlassen. Dies war schon deswegen wichtig, da der Staat ab Mitte der achtziger Jahre begonnen hatte, Druck auch auf die Kirche auszuüben.
Aktivitäten der Initiative Frieden und Menschenrechte
Die IFM war zunächst eine kleine Gruppierung, die sich erst im März 1989 DDR-weit öffnete, aber noch nicht so großen Zulauf erfuhr wie Gruppen, die sich im Herbst 1989 neu gründeten. Ihre wichtigen Themen waren Rechtsstaat, Demokratie, Öffentlichkeit, elementare Menschenrechte, und dies stets in Anlehnung an die anderen Staaten Ostmitteleuropas. So saß sie im Herbst 1989 auch mit am Runden Tisch, obwohl sie viel kleiner war als andere neu gegründete Bewegungen. Dieser Erfolg ist auch zurück zu führen auf den Themenwechsel von Friedensaktivitäten in zu verstärkt politischen Themen. Das Umdenken setzte auch ein wegen den Kontakten zur Opposition in Ostmitteleuropa, der es unverständlich war, dass in der DDR immer noch auf Veränderungen gehofft wurde. Die IFM sah sich selbst zunächst gar nicht als Opposition, richtete sogar Dialogangebote an den Staat, die aber abgelehnt wurden, da es sie in der Ideologie des Systems gar nicht geben konnte.
Vorsichtigeres Agieren des DDR-Apparates
Im Zuge der erhofften Anerkennung durch den Westen agierte der DDR-Apparat in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre vorsichtiger gegenüber der Opposition. Die somit entstehenden verbesserten Kommunikationsmöglichkeiten waren eine der Voraussetzungen für den Herbst 1989. Dieser wurde ermöglich durch die verschiedenen parallelen Entwicklungen im gesamten Ostblock und die wachsende Unzufriedenheit in der DDR-Bevölkerung, die eine enorme Zustimmung zum Aufruf des Neuen Forums und die Demonstrationen am 7. Oktober in Berlin führten.
Fall der Mauer
Am Abend des Falls der Mauer saß Poppe in einer Wohnung in der heutigen Torstraße. Auf einmal sahen sie eine riesige Schlange von Trabis, die nur in eine Richtung fuhren und erfuhren aus dem Fernsehen vom Mauerfall. Auch Poppe fuhr sofort nach West-Berlin, wollte dort alte Freunde besuchen, traf jedoch niemanden anderen, da alle in Ost-Berlin waren.
Das Neue Forum
Anfang Oktober 1989 fanden die ersten Treffen mit Vertretern verschiedener neu entstanden Gruppierungen statt. Als erstes Ergebnis wurden freie Wahlen unter UN-Aufsicht gefordert sowie ein Runder Tisch, dessen erste Sitzung am 7. Dezember stattfand. Das Wichtigste war zunächst die Vorbereitung freier Wahlen, die am 18. März durchgeführt wurden. Das Bündnis 90 genoss zwar ein hohes Ansehen in der Bevölkerung, verfügte jedoch über wenig Mittel und hatte zudem nur einen Monat Zeit für den Wahlkampf. In die frei gewählte Volkskammer zogen schließlich 12 Vertreter des Bündnisses ein und bildete zusammen mit den acht Ost-Grünen eine Fraktion. Als positive Ergebnisse der Volkskammer bewertet Poppe die Entschuldigung gegenüber den Juden wegen der israelfeindlichen Politik der DDR, gegenüber der Tschechoslowakei wegen des Einmarsches auch von DDR-Truppen in die Tschechoslowakei 1968 sowie die Festschreibung der Beibehaltung der deutsch-polnischen Grenze im Einigungsvertrag. Im Einigungsvertrag wurden ansonsten die ursprünglichen Forderungen der Bürgerbewegungen wenig beachtet, ein Erfolg war, dass der Bundestag sich mit dem Thema des Zuganges zu den Stasiakten beschäftigen musste. Ansonsten wurden beinahe alle bundesdeutschen Gesetzte übernommen und auch die Forderung nach einem Volksentscheid über eine neue Verfassung bzw. über den Beitritt nicht erfüllt. Dieser Volksentscheid wäre wichtig gewesen für die mentale Lage in Ostdeutschland, da somit nicht das Gefühl des Hinzukommens zu etwas bereits Bestehendem entstanden wäre. Im Februar 1990 kamen dann acht Mitglieder des Runden Tisches in die Regierung in Bonn, Kohl allerdings nahm die Beteiligten der friedlichen Revolution kaum zur Kenntnis.
Gründung der Partei Bündnis 90 / Die Grünen
Auch von Seiten der bundedeutschen Grünen erfuhren sie Ablehnung. Als Poppe von Petra Kelly eingeladen in der Grünen Fraktion in Bonn sprechen sollte verließ die halbe Fraktion den Saal. Die Gründung der Partei Bündnis 90 / Die Grünen entstand dabei aus der Not, die 5-Prozent-Hürde überwinden zu müssen. Poppe war für die Fusion, da die Oppositionsbewegung in den achtziger Jahren am meisten von den Grünen unterstützt worden. Er hoffte, dass auch ihre anfänglichen Gegner in der Bundespolitik sie nach und nach unterstützten wurde, stattdessen wurden die Ost-Grünen aus der Partei verdrängt. Die anfängliche paritätische Besetzung des Vorstandes und der Spitzenpositionen in Berlin wich schon 1998 der großen Dominanz der West-Mitglieder. Poppe selbst wurde dann 1998 erster Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung im Auswärtigen Amt und konnte somit seine ursprünglichen Themen Menschenrechte und Außenpolitik fortsetzen.
Bewertung der Einigung
Diese Kontinuität bestand für die meisten Ostdeutschen nicht: Für viele war die Politik nur eine zeitweise Beschäftigung gewesen, viele gingen in ihre alten Berufe zurück, einige wurden nicht wiedergewählt und es gelang auch nicht der Wiedereinstieg in den alten Beruf, obwohl sie sich besonders engagiert hatten. So wurden auch kompetente Menschen nicht berücksichtig als vakante Stellen in den neunziger Jahren neu besetzt wurden, stattdessen häufig Westdeutsche eingesetzt. Viele mussten sich erst in einer neuen Gesellschaft zurecht finden, die so anders funktionierte als die DDR. Poppe meint, dass sie besser hätten aufgefangen werden können, aber zu viele Fehler gemacht wurden. Dies betrifft z.B. die Deindustrialisierung Ostdeutschlands infolge der verfrühten Währungsreform, so dass die DDR-Betriebe von einen auf den anderen Tag nicht mehr konkurrenzfähig waren. Als Ergebnis wurden ganze Städte entvölkert und eine 20-jährige Abwanderung vor allem junger Menschen setzte ein. Insgesamt zieht Poppe jedoch ein positives Fazit: wesentliche politische Forderungen seien erreicht worden und die deutsche Einheit habe auch zur europäischen Einheit geführt.
Engagement im Bereich Menschenrechte und EU-Mitgliedschaft
Poppe waren auch nach 1990 die Beziehungen zu den ostmitteleuropäischen Ländern sehr wichtig. Seine beiden Hauptthemen waren somit die Menschenrechtspolitik sowie die EU-Mitgliedschaft für die ehemaligen Ostblock-Staaten, die er in ihrem Traum der Rückkehr nach Europa unterstützen wolle. Zudem war Poppe in der ganzen Welt auf der Seite derjenigen, die unterdrückten wurden und war viel in Krisengebieten unterwegs. Bei seinen Besuchen traf er neben den offiziellen Vertretern stets auch Oppositionelle, um diese in ihrer Arbeit zu ermutigen. Diese Haltung erklärt Poppe daraus, dass die Unterstützung aus dem Westen auch für ihn stets wichtig gewesen ist.
Umgang mit Stasiakten und IM
Als 1992 die Stasi-Unterlagen-Behörde geöffnet wurde gehörte Poppe zu den ersten, die Einblick in ihre Akten erhielten. Viele IM waren trotz Decknamen sofort zu identifizieren, insgesamt waren es etwa 50 bis 60, von denen mindestens 20 bis 25 enge Bekannte und Freunde gewesen waren. Es war auch zu erkennen, dass sich die Bespitzelung im Laufe der Jahre verstärkt hatte, im letzten Jahr der DDR waren sechs IM gleichzeitig in der IFM eingesetzt (von 10 IMs insgesamt im Laufe der Zeit). Der Zersetzungsplan für den IFM war aus den Akten ersichtlich: Die IM waren keine Führungspersonen, jedoch immer anwesend und sollten unsinnige Debatten und Streiks provozieren, um den IFM zur Auflösung zu bringen. Dies habe jedoch nicht funktioniert. Es hatte zwar Warnungen vor IM gegeben, aber die IFM wollte sich ja der Öffentlichkeit zuwenden. Eine positive Erkenntnis aus der Akteneinsicht sei jedoch auch, wie mutig sich Menschen verhalten hatten, denen sie das nicht zugetraut hatten. Eine andere Erkenntnis wiederum war die große Enttäuschung über Menschen, die sie für Freunde gehalten hatten. Poppe und seine Frau Ulrike hatten sich bereit erklärt, mit allen zu reden, die das wollen. Von 30 bis 40 Personen meldeten sich jedoch nur drei, von denen wiederum nur eine ihr Verhalten bedauerte. Die Poppes haben den Kontakt zu allen diesen Personen abgebrochen. Problematisch waren vor allem Fälle wie Gregor Gysi, der bis heute seine IM-Tätigkeiten leugnet, obwohl die Schuld aus der Aktenlage klar ersichtlich ist. Das Ergebnis der Bundestagskommission zur Überprüfung von Abgeordneten ging von einer Zusammenarbeit aus, Gerichte, vor denen Gysi klagte, entschieden jedoch für ihn. Poppe ist trotz der Enttäuschungen der Meinungen, dass man sich seine Akten ansehen sollte, um Klarheit zu haben. Auch solle man jeden Einzelfall prüfen und den Menschen eine Chance geben, sich zu erklären. Er selbst sah sich nie als Opfer, sondern als Akteur der bewusst handelte und somit auch wusste, was ich passieren könne.
© Všechna práva vycházejí z práv projektu: Stories of 20th Century
Witness story in project Stories of 20th Century (Dorothee Ahlers)