Monika Simchen

* 1949

  • "Die Grenze hat mein Leben eigentlich immer beeinflusst. Wir haben direkt an der Grenze gewohnt. Zwischen Ebersbach und Georgswalde war ein Stacheldrahtzaun. Zweimal Stacheldraht und oben drüben eine Rolle, Also als Mädchen, als Schulkind bin ich dort oft vorbeigegangen, er muss wenigstens zwei Meter hoch gewesen sein, wenn nicht noch höher. Und mit diesem Stacheldraht sind wir aufgewachsen. Da drüben waren kaum Leute zu sehen, an der Grenze durfte sich niemand treffen. Mit einem gegenüber, auch wenn man dort jemanden gekannt hätte, man hätte nicht mit den Menschen sprechen dürfen. Es gab immer Patrouillen an der Grenze, die wurde kotrolliert, streng, sehr streng. Meine Großmutter väterlicherseits, die ist mal beim Pilzesuchen im Wald erwischt worden, da war sie vielleicht drei, vier, fünf Meter im tschechischen Gebiet, da haben sie sie mitgenommen und da musste sie mit nach Rumburk aufs Amt und musste dort aussagen, warum, weshalb sie über die Grenze gegangen ist. Das hat sie furchtbar aufgeregt damals. 0:10:13 – 0:12:43 Ich habe in der Schule mal gefragt, warum. Wir waren ja eigentlich beide sozialistische Lander damals, die DDR und die Tschechoslowakei. Warum also zwischen unseren zwei Staaten dieser riesige Stacheldrahtzaun sein muss. Der Lehrer hat keine Antwort gewusst damals, ich soll heute noch eine Antwort kriegen auf die Frage."

  • "Als kleines Mädchen, da bin ich wahrscheinlich noch gar nicht in die Schule gegangen, haben wir vom Heinberg oben, zuschauen... Also wir durften es eigentlich nicht, weil die Grenze kontrolliert war. Wenn wir erwischt worden waren, weiß ich nicht, was da passiert hatte. Jedenfalls hatten meine Eltern mitbekommen, dass sie das Elternhaus von meiner Mutter in Niederdorf abreisen. Es wurden ja dann, hier im Georgswalde, in den tschechischen Grenzgebieten Leute angesiedelt, die vom Weiten, aus den inneren der Tschechei oder Mähren kamen, die dort ausgesiedelt worden sind und hier wieder angesiedelt. Das war ein großes Haus, vordere Seite Stein, hintere Seite, ich habe es noch dunkel in Erinnerung, Umgebinde. Und dieser Umgebindeteil, der wurde dann weggerissen. Und die haben das einfach verfeuert. Und da war die ganze Verwandtschaft da, wir standen da oben und haben da herunter geschaut und die Erwachsenen, die haben alle geweint. Dann haben sich wahrscheinlich die Menschen die Steine geholt, was da so war, und später, wenn wir entlang gegangen sind, hat lange Zeit noch eine ganz große Blautanne gestanden, die hat vor dem Haus gestanden, und der Schlussstein von der Treppe. Ein großer Stein, irgendwann war es dann auch weg. Aber das hat lange dagestanden. Da wusste ich immer, dort war das Haus."

  • "Ich weiss es bloss vom Erzählen meiner Eltern. 45 war der Krieg alle, da haben die Leute eigentlich ganz normal in ihren Häusern gewohnt. Mein Vater kam im Herbst 45 von der Front, und war dann auch noch zu Hause, und dann, ich glaube es hängt mit diesen Beneš – Dekreten zusammen, dann wurden die deutschen Leute aus ihren Häusern ausgewiesen. Mein Vater hat immer erzählt, dass er ungefähr ein halbes Jahr im Niederdorf bei einem Freund gelebt hat, dort hatten sich alle die, die aus ihren Häusern raus mussten, getroffen, es mussten dort mindestens zwanzig, fünfundzwanzig Menschen gelebt haben, bis dann die Anordnung kam, dass die Deutschen nach Deutschland direkt ausgewiesen werden. Da gab es dann Züge, die wussten auch nicht, wo die Züge hinfuhren, denen wurde gesagt in einer Stunde oder in zwei Stunden sich am Bahnhof zu treffen, acht Kilo durften sie mitnehmen, acht Kilo ist nicht viel, ich habe es einmal ausprobiert auf der Waage, es ist nicht viel. Und dann ging es in die Fremde irgendwo hin."

  • Full recordings
  • 1

    Zittau, 14.02.2024

    (audio)
    duration: 57:14
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Ich habe in der Schule gefragt, warum zwischen unseren beiden sozialistischen Ländern der Stacheldrahtzaun sein muss. Ich soll heute noch eine Antwort auf die Frage kriegen.

Monika Simchen, Zittau, 2024
Monika Simchen, Zittau, 2024
photo: natáčení

Monika Simchen wurde knapp vier Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs im sächsischen Ebersbach geboren und wuchs buchstäblich nur wenige Meter von der tschechischen Grenze entfernt und in Sichtweite von Jiříkov auf. Aus dieser Stadt waren sowohl ihre Eltern als auch ihre Großeltern nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben worden. Als Kind sah Monika über die Grenze hinweg, wie die neuen Siedler von Jiříkov das Haus ihrer Mutter abrissen. Monikas Kindheit war geprägt von dem undurchdringlichen Stacheldrahtzaun, der bis 1963 die damalige Tschechoslowakische Sozialistische Republik von der Deutschen Demokratischen Republik trennte. Monika besuchte die Heimat ihrer Eltern zum ersten Mal 1966, und seither hält sie den Kontakt zu den letzten lebenden Deutschen in Jiříkov aufrecht und sang auch im Chor der örtlichen Kirche. 1968 rollten Panzer der „brüderlichen“ Besatzungsarmee über die Grenze nach Liberec und Prag, und nach 1989 fand Frau Simchen Partner in der Privatwirtschaft im tschechischen Grenzgebiet. Heute nimmt Monika Simchen die Grenze zwischen Jiříkov und Ebersbach kaum noch wahr, aber sie kann immer noch mit absoluter Genauigkeit beschreiben, wo der Stacheldraht früher verlief.