Dora Gebhardt

* 1944

  • "Ich habe zwischendurch in anderen Städten gewohnt, in Köln, in Düsseldorf, im Ausland, bin immer wieder zurückgekommen, an den Ursprung jetzt. Und da bin ich, wohne ich in der Nähe von dem Schloss, und mittlerweile ist es so, dass ich die Schlüssel vom Schloss habe, weil die Eigentümer nicht drin wohnen. Wir machen aber Sonntags im Sommer Führungen durch das Schloss. Und ich hab die Schlüssel und ich hab die Vergangenheit auch auf diese Art und Weise abarbeiten können. Und ich werde bleiben, bis man die Augen zumacht. Und deshalb auch diese Einrichtung von der Flüchtlingsstube, weil es mir ein Anliegen war, in einer der noch leerstehenden Räume, in der Zwischenzeit hat die vorletzte Besitzerin die Räumlichkeiten eingerichtet, möbliert, aber es sind Paar Räume leergeblieben. Da habe ich wirklich alles zusammengetragen, einschließlich der Koffer noch aus Niklasdorf sind, Feldbett, alles Sachen, die entweder vom Zuhause da ganz Daheime noch war, oder aber die im Schloss schon vorher in der Flüchtlingszeit schon dort waren, bzw. benutzt wurden, ja, das zusammengetragen. Und dazu gehören eben auch die Schulbilder, die eben auch für die Einheimischen sehr interessant sind. Und ich halte auch nicht hinter dem Berg zurück, diese Zeit zu erzählen und den Besuchern weiterzugeben, wie die Flüchtlingszeit war, weil wir auch ständig jetzt zwar von anderen Ländern über Flüchtlinge hören usw. Und dass sie das Problem nicht so weit weghaben, dass es auch bei uns gewesen ist, das ist mir schon auch ein Anliegen."

  • "Das Schloss stand leer, das gehörte einen Flüchtling aus Polen, aus Schlesien, aus Liegnitz, und die auch flüchten mussten, und insofern hat sich das eigentlich noch gnädig erledigt, wie immer man das nennen wollte, weil dieses Schloss war im Grunde eine Luxusherberge für die Flüchtlinge. Die brauchten nicht in einer Scheune übernachten oder irgendwelchen Baracken, sondern sie hatten feste Mauern, sie hatten zum Teil auch für eine Familie ein Zimmer zur Verfügung und es war einfach geregelte. Und es war diese Gemeinschaft, die auch getragen hat. Die kannten sich doch teil untereinander."

  • "Also wir sind am 30. August aus Niklasdorf, da gab es eine ehemalige Munitionsfabrik, die man Muna nannte, die, das war dann ein Lager, diese Muna, sind in der Zeit von Februar bis November 1946 über 51.000 Menschen (wir nennen das) deportiert, oder weggeschafft worden in den Viehwagons. Und meine Eltern gehörten zu den 30 Eisenbahnwagons mit Tausendzweihundert Leuten, die dann über Furth in Wald registriert wurden und in Bamberg war dann Endstation. Und dann waren sie drei Tage untergebracht in der Martinsschule in Bamberg, sind von dort in eine leerstehenge Polizeischule nach Ebermannstadt gekommen, das ist auch in der Fränkischen Schweiz, und wurden von dort verteilt. Vierzehn Tage waren sie dort, in dem Lager, in der Polizeischule, was man mir erzählte. Und dann sind ungefähr Hundertfünfzig Leute, die auch in diesem Eisenbahnzug waren, die sind dann in ein Schloss, ein leerstehendes Schloss gekommen, was als Flüchtlingslager ausgewiesen wurde. Und dort bin ich aufgewachsen, und da sind auch meine ersten Erinnerungen."

  • "Also es wurde ja nur gesprochen im Schloss, in meiner Familie und mit den anderen Schlossbewohnern, die ja alle sehr eng einander wohnten, und die alten die haben sich getroffen und an irgendeiner Bank sich draußen gesetzten, je nach Jahreszeit, es wurde nur gesprochen von der Heimat. Und ich wusste dann auch nicht, von was sie sprechen, da ich kannte die Heimat nicht und nicht die Menschen, von denen sie gesprochen haben. Und ich hab das dann immer an die Gegenwart gemünzt, aber das stimmte ja nicht, bis ich dann hinter gekommen bin, dass sie von etwas ganz anderen sprechen, nicht von den Leuten, die ich mich eingebildet hatte. Und dann hab ich gefragt, ganz gezielt, immer wieder, sprecht ihr von Daheim oder ganze Daheim. Daheim war mich das Schloss. Und ganz Daheim das Sudetenland. Also so hat man das als Kinder definiert und erlebt."

  • Full recordings
  • 1

    Pegnitz, SRN, 12.07.2020

    (audio)
    duration: 01:55:25
    media recorded in project The Removed Memory
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Meine Kindheit erlebte ich im Flüchtlingslager auf einem Schloss, aber „ganz daheime“ war für uns das Sudetenland

Dora Gebhardt, Pegnitz, 2020
Dora Gebhardt, Pegnitz, 2020
photo: Natáčení

Frau Dora Gebhardt wurde am 12. April 1944 in der Gemeinde Ziegenhals (heute Glucholazy in Polen) geboren und verlebte ihre frühe Kindheit im benachbarten Niklasdorf (Mikulovice). Beide Gemeinden gehörten im Krieg zu Deutschland. 1946 wurde ihre ganze Familie zum Abtransport einberufen. Ein großer Teil der Aussiedler aus Niklasdorf wurde im leeren Schloss bei Hollfeld in der amerikanischen Besatzungszone untergebracht. Frau Dora verbrachte hier siebeneinhalb Jahre, während der ihre jüngere Schwester verstarb und ein Bruder geboren wurde. Die Mutter war geistig abwesend und der Vater arbeitslos. 1954 bekam der Vater Arbeit in der sich entwickelnden Industrie und die Familie zog nach Düsseldorf. Frau Dora baute mit ihrem Mann ein Reisebüro auf und arbeitete und lebte im Ausland. Nach der Scheidung begann sie sich ihrem lebenslangen Hobby, der Malerei, zu widmen und zog in die Fränkische Schweiz, mt Blick auf das Schloss, wo sie aufgewachsen war. Die Schlosskapelle schmückt ihre Bilder und sie macht Führungen durch das Schloss. Sie errichtete dort eine „Flüchtlingsstube“ mit Originalgegenständen von der Vertreibung und erzählt den Besuchern ihre Geschichte. Sie ist mit der Heimat ihrer Eltern in Kontakt, mit Schlesien und dortigen Alteingesessenen.