Krystina Hauck

* 1970

  • „Ich habe mich nicht als Häftling gefühlt. Ich hatte ja nichts gemacht. Ich habe in meinen Augen keine Straftat begangen. Ich war verliebt und ich wollte zu dem Mann. Und ob es jetzt im Osten oder im Westen, oder egal wo ist, das war egal. Ich habe mich nicht schuldig gefühlt. Politisch? Das ist schwierige Frage. Nein, eigentlich nicht. Ich habe eine Straftat begangen in einem Staat, dass die Menschen benutzt. Aber das war für mich kein Mittel, ich hatte keine politischen Hintergründe. Ich war verliebt, mehr nicht. Aber eben auch nicht weniger. Deswegen bin ich in diese Situation gekommen.“

  • „Wir hatten in September ein Treffen und haben uns wieder verabredet für Oktober. Und dann kam der Telefonat. Ich bin in September Achtzehn geworden, habe ein Tag nach dem Geburtstag einen Antrag auf Familienzusammenführung gestellt. Ich habe diesen einen Tag gewartet, um wirklich amtlich Achtzehn zu sein. Und wir hatten ein Treffen in Oktober in Karlovy Vary vereinbart. Und er hatte mich am Telefon noch gesagt, er hätte mir eine neue Jeanshose gekauft, etwas Tolles, und ich sollte noch ein Bisschen abnehmen. Ich hatte wenig, nur 53 Kilo! Aber das macht man halt natürlich, man isst halt drei Tage nichts und dann sind drei Kilo gleich weg. Dann sind wir dahingefahren. Dann kamen die aus dem Westen mit über zwei Stunden Verspätung in Hotel an. Man wartet, man wartet… Dann kamen sie irgendwann, er hat mich zur Seite genommen und hat gesagt: ´Du kannst diesmal mitkommen.´“

  • „Ich hatte großen Vorteil, dass ich sportlich war, dass ich Akrobatik gemacht habe und damals noch schlanker war. Es war schon eng natürlich. Viel Bewegen ging nicht. Ich bin reingeqetscht, hatte Jogginghosen an, T-Shirt und Strickpuli, sonst hatte ich nichts an. Es war genau dieser Platz, wo der Tank war. Und aufgrund der Umluft habe ich Luft bekommen. Ich konnte ja auch nicht raus. Wenn es zu Unfall käme? Diese Überlegung gab es nicht. Wir sind losgefahren und dann standen wir an der Grenze. Ich wusste, wenn sie halten, sind wir an der Grenze. Ich meine zu wissen, dass es zwei Schlagbäume in der Tschechei gab und einen in der Bundesrepublik. Man musste dreimal halten, haben sie mir gesagt. Es gibt natürlich aber auch mehrere Gründe, warum das Auto stehen konnte. Wir sind zweimal losgefahren und das dritte Mal stand das Auto. Ich dachte – fahrt doch los, fahrt doch einfach! Aber das Auto fuhr eben dann nicht mehr…. Ich lag da hinten und mir blieb in dieser Position und dieser Situation nur das Ausharren und Warten, was dann passiert. Aus Minuten werden Stunden. Das ist ewig.“

  • „Ich kann mich da wieder nur erinnern an die Untersuchungshaft in Pilsen, oder Cheb, eines von den Gefängnissen. Da saß ich zehn Tage in Einzelhaft. Da wusste ich sofort, was das heißt. Ich hatte nichts mehr. Kaum Essen, fast nichts zum Trinken, kein Kontakt, Telefon gab es nicht. Ich war dort zehn Tage weggesperrt. Ich konnte nicht liegen, es war kein Bett drinnen, ich musste vierundzwanzig Stunden sitzen, oft bin ich umgekippt von Müdigkeit. Und dass jemand zuschaut, wenn man auf die Toilette geht! Es war übel. Das waren zehn Tage, in denen ich ein ganzes Stück erwachsen worden bin. Davor war ich noch Teeny, jugendlich. Da bin ich ganz schnell erwachsen, da drinnen. Ich wusste, ich muss dort überleben.“

  • Full recordings
  • 1

    Praha, 02.08.2022

    (audio)
    duration: 01:38:35
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Ich wurde nur deswegen verurteilt, weil ich verliebt war

Krystina Hauck und Holger Frenzel vor der Flucht
Krystina Hauck und Holger Frenzel vor der Flucht
photo: pamětnice

Krystina Hauck wurde am 14. September 1970 in der ostdeutschen Karl-Marx-Stadt (heutiges Chemnitz) geboren. Sie verliebte sich in ihren Freund, der nach Westdeutschland ausgereist war. Treffen konnten sie sich nur in der Tschechoslowakei, wohin beide einreisen durften. Direkt nach dem Erreichen der Volljährigkeit versuchte ihr Freund sie bei Eger (Cheb) über den Eisernen Vorhang im Kofferraum seines Autos zu bringen, wobei sie aber aufgedeckt wurden. Nach einem Aufenthalt im tschechischen Gefängnis wurde sie nach Hause in die DDR ausgeliefert, wo sie über ein Jahr im Gefängnis verbrachte. Freigelassen wurde sie erst während der Amnestie am 9. November 1989, genau am Tag des Mauerfalls. Gleich danach zog sie in den Westen. Die gescheiterte Beziehung mit ihrem Freund, zu dem sie fliehen wollte, konnte sie nicht mehr retten. Bis heute macht sie Therapien und versucht sich mit den Folgen der Haftzeit abzufinden, sie hat bis heute Angst vor engen Räumen und schnellen Autos. In der Tschechischen Republik wurde sie dank der Initiative von JUDr. Lubomír Müller gerichtlich rehabilitiert - die finanzielle Entschädigung war jedoch nur symbolisch.