Friedrich Kraus

* 1933

  • "Als ich mit dem Fahrrad fuhr, ich war der erste, ich habe dann plötzlich im Wald Geräusche gehört, und dann ´Stuj!´ Ich habe gedacht, ich versinke mich in Boden. Das war für mich als zwölfjährigen schlimm. Es waren zwei Tschechen, ein jüngere und ein ältere, der ältere war recht vernünftig gewesen, der hat noch versucht den jüngeren zu überreden, dass er vielleicht… 12 Jahren, das können sie sich vorstellen… Jedenfalls habe ich geschrien, habe ich gedacht, mein Vater, der hinter mir kommt, konnte mich hören, ich dachte an seinen Ausweis. Jedenfalls hat er mich hingeschmissen in so einen Graben, mit dem Kopf gegen einem Holz gestoßen. Ich hatte jahrelang Kopfschmerzen gehabt, habe aber keinem darüber etwas gesagt, sechs Geschwister, der Vater hatte keine Arbeit, also ich musste das ganz einfach ertragen. Gut. Dann kam mein Vater nach und hatte den Tschechen den Ausweis gezeigt. Ich glaube, dass es der ältere geglaubt hat, warum wir es bei Nacht machen. Mein Vater hat gesagt, da kommt in das Forsthaus ein anderer Kollege, der den Bereich übernimmt. Und er versucht jetzt runterzukommen. Er lies uns dann ziehen."

  • "Das war diese Zeit, als dann auch junge Leute und ganz alte Leute eingezogen wurden in den Krieg. Da hatten wir auch vom Jungvolk her, wir sind da von Marienbad raus, wir waren 8 Leute, haben ein Fahrradausfluggemacht Richtung Böhmerwald. Wir hatten eine Gewähr dabei, dass war Kleinkalibergewähr. Wir haben uns selbstversorgt, haben den Bauern die Hühner weggeschossen und haben Kirschbäume abgeleert, hatten einen eigenen großen Topf dabei, das war der Monat Juli 1944. Und wir waren wieder bei so einer Station, um uns Essen zu besorgen, man hat Eier geholt von den Bauern, das waren eigentlich arme Leute dort, aber die waren recht freigiebig, recht deutschfreundlich, es waren mehr Tschechen. Jedenfalls musste immer ein andere von uns das Gewähr tragen. Da wurde das Gewähr einem guten Freund von mir übergeben, plötzlich ging es los, ein Schuss. Da ist das Gewähr von einem auf den anderen übergeben worden und er blieb auf dem Abzughahn an der Fahrradstange hängen, und da ging der Schuss, er ist plötzlich hingefallen, war aber voll da, am Bewusstsein, den haben wir angeschaut und haben gesehen, aus dem Magen quälen Kirschen, gemischt, und so weiter. Jedenfalls hat es lange gedauert, bis unser „Führer“ zugelassen hat, dass wir einen Arzt suchten. Es war sehr schwer damals auch einen Arzt zu bekommen, es war mitten in der Prärie, dann ist man zu Bauern, haben Milchgeholt, hat Milch gegeben, und in dieser Situation ist der junge Mann gestorben. War weg. Man konnte ihm nicht mehr helfen. Das war für uns, das kann man nicht beschreiben, das war schlimm. Und dann, in der Nacht, wollten wir uns ein Zelt aufstellen, kam ein richtiger Wolkenbruch, wir haben das Zelt nur als Plane hingelegt, haben uns dahinter gelegt, sind nach Hause geradelt. Es war eine furchtbare Tour gewesen. Sowohl physisch, und auch psychisch. Und so unwahrscheinlich belastet, mich vor allem, weil ich mit ihm sehr befreundet war, der junge Mann ist dann auch in Drei Hacken beerdigt worden, ich war später mal dort. Der Friedhof war ziemlich demoliert, ich habe es nicht verstanden, dass man nicht mal die Toten ruhen lassen kann. Das war eine Sache, die mich richtig bewegt hat. Ich habe immer noch Situationen, wo ich nachts richtige Alpträume habe. Ich wache manchmal auf, ganz nass, ich bin alleine, meine Frau ist vor drei Jahren gestorben, es passiert immer wieder, aber auch immer seltener."

  • "Und auf diesem Weg, das habe ich in den späteren Jahren immer häufiger gemerkt, da gab es so Züge von irgendwelchen Gefangenen in Sträflingskleidung mit Kappen, die bewacht waren, wie ich es damals beurteilen könnte, bewacht waren durch eigene Leute. Also die dann irgendwelche Privilegien hatten, ich weiß es nicht. Aber ich stelle es mir so vor. Wir haben da ganz grausame Dinge gesehen, da habe ich mir gedacht, mein Gott, in welchen System lebt man. Wo man die eigenen Leute erschlägt."

  • "Am 15. Mai 1993 hat der Landkreis Klingental in Eger auf dem Marktplatz diese Ausstellung gemacht. Ich habe mich da so engagiert, das war meine Herzenssache. Wir haben dort unsere Stände aufgebaut, auch mit Instrumenten, dann hat die Klingentaler Stadtkapelle auf dem Marktplatz Musik gemacht. Und ich durfte, wahrscheinlich als erster in deutscher Sprache eine Begrüßungsrede auf dem Marktplatz in Eger halten. Nebenan stand der Dolmetscher von Otokar, der hat es ins Tschechische übersetzt. Ich dachte, das darf nicht sein. Hier in die Schule gegangen, hier verschüttet gewesen, der Vater war nicht weit auf dem Flugplatz.

  • Full recordings
  • 1

    Rehau, 10.09.2019

    (audio)
    duration: 01:36:20
Full recordings are available only for logged users.

Da geht es gar nicht darum, sich in die Vergangenheit einzubinden, sondern sich für sich selbst einzubinden.

Fritz Kraus
Fritz Kraus
photo: Post Bellum

Friedrich Kraus wurde am 8. Mai 1933 geboren und er verbrachte seine ganze Kindheit in der Gegend von Marienbad – sein Vater arbeitete im Staatsforst und die Familie wohnte in einem Forsthaus. In nahem Dorf Drei Hacken wurde er eingeschult und später besuchte er Schulen in Marienbad, Mies und Eger. 1945 war er nach dem Luftangriff auf Eger ein paar Tage in Trümmern verschüttet. Im Sommer 1945 flüchtete die Familie nach Deutschland, ab März 1946 lebten sie in Oberfranken, wo der Vater Arbeit als Förster fand. Fritz Kraus setzte seinen Schulbesuch in Münchberg und später in Bayreuth fort, aber als sein Vater mit 54 Jahren unerwartet starb, musste er auf eigenen Füßen stehen. Viele Jahre arbeitete er bei der Landesversicherungsanstalt Oberfranken und Mittelfranken in Bayreuth. 1972 schloss er das Studium and der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie Nürnberg/Erlangen/Bayreuth ab. Im selben Jahr wurde er für die CSU in den Stadtrat von Bayreuth gewählt, wo er in verschiedenen Ausschüssen vierundzwanzig Jahre lang tätig war. Nach 1989 bekam er das Angebot, bei der Angleichung der ostdeutschen staatlichen Verwaltung an die westdeutsche behilflich zu sein. In den Jahren 1990-1996 war er Landrat im Landkreis Klingenthal. Er beteiligte sich an der Entstehung des Naturparks Erzgebirge Vogtland, und er war der erste Vorsitzende von Euregio Thüringen Sachsen. In seiner Arbeit war ihm wichtig, Kontakte zu den Menschen auf der böhmischen Seite zu knüpfen und zu erneuern, sowohl auf der offiziellen als auch auf der informellen und privaten Ebene. Für seinen lebenslangen Einsatz bekam er eine Vielzahl von Auszeichnungen. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter und einen Sohn.