Annemarie Kury

* 1932

  • Es war im November einundneunzig, das Slovenienkrieg war schon beendet, Slovenien war schon selbständig, in Kroatien war der Krieg, und ich bin am Abend am Fernseher, schaue mir die Nachrichten an und es ist vom Krieg in Kroatien, Ostkroatien, Vukovar, sind die Serben einmarschiert. Und es war Krieg. Mit schieβen und allem was da ist. Und Unmengen von Flüchtlingen, Vertriebenen, das waren nicht nur Flüchtlinge, Vertriebene, ich mache da einen Unterschied, sind nach Zagreb gekommen. Die Turnhallen, die Schulen, Alles war voll. Wie bei uns auch fünfundvierzig. Und nach dieser Sendung war ein runder Tisch. Es waren nur Männer, die diskutiert haben. Jede Diskusion nimmst du verschieden auf, zu mir ist rübergekommen, was der Andere tun sollte. Was die UN tun sollte, was der Rote Kreuz tun sollte, was die Charitas...immer was die anderen tun sollten. Und ich habe mich geärgert über diese Männer, über diese Diskussion und ja. Habe dann abgedreht und bin wirklich gesessen und habe gedacht. So. Und ich sitze hier und schaue mir das an und tue auch nichts. Was kann man da tun? Da beim nächsten Tag, ich habe noch gearbeitet, aber trotzdem immer wieder angerufen in Zahreb, bei der Charitas. Und diese Charitas Direktorin kannte ich von irgendeinem Seminar und habe gesagt, ich habe diese Bilder gesehen, und wie geht es euch wirklich, was braucht ihr? Das höre ich heute noch: „Essen, Essen, Essen“. Jetzt wenn dir jemand sagt, wenn du fragst, „was braucht ihr“, und sie sagt „Essen“, was kannst du tun? Sage ich, „kann ich euch was bringen?“ „Ja.“ „Was?“ „Alles.“ „Gut, danke. Werde es probieren.“ Und zwei Tage später habe ich meinen Beifahrersitz herausgenommen, selber, bin heute noch stolz und habe eingekauft und das Auto vollgefüllt von meinem Geld mit ja on Keks und..., was halt so in den Lagern man essen kann.

  • Ich weiss nicht im welchen Jahr, aber ich glaube es könnte fünfundsechzig gewesen sein, haben wir zu den Allerheiligen im Radio die Tschechoslowakische, damals noch, glaube ich Republik gibt, Kurzvisa für Besuche auf Gräbern in Tschechien. Und ich bin sofort hingelaufen ob wir für unsere Familie... und da war ich das erste Mal drinnen und wollte meiner Familie meine Heimat zeigen. Und ich habe immer erzählt, Vimperk ist so eine schöne Stadt und das Schloss und es ist alles so. Und ich komme hin und muss meiner Familie zeigen, es ist so viel kaputt und die Fenster sind nicht in Ordnung. Und wir haben kein Quartier gekriegt, wir sind wieder gefahren. Es war ganz traurig. Ich habe mich geniert meiner Familie das zu zeigen, ich habe gesagt, wir haben das ganz anderes verlassen. Und nach Radost, also Schenkenberg, wo ich als Kind so viel war, konnten wir nicht, das war militärisches Sperrgebiet.

  • Aber sonst in der Zeit, das war dieses, fast wie eingesperrt sein, kein Recht zu haben, Staatenlos, die Staatsbürgerschaft ist uns ja genommen worden. Für mich ist heute noch, nicht die Sachen, die wir dort gelassen haben, die wertvollen, sondern für mich sind das Sachen wie, die Heimat weg ist, die Staatsbürgerschaft genommen, und die Freunde...das sind Sachen. Oder das wir keine Fotografien aus der Zeit damals mithaben. Das sind alles immaterielle...also es hat nichts mit materiellen Sachen zu tun. Und das sind auch oft Sachen, die den tschechischen Volk eigentlich nichts gebracht haben.

  • Full recordings
  • 1

    Vídeň , 21.02.2018

    (audio)
    duration: 01:42:20
    media recorded in project Stories of the 20th Century TV
Full recordings are available only for logged users.

Ich wusste genau, von welchem Baum die Äpfel kamen.

Das Porträt der Zeitzeugin
Das Porträt der Zeitzeugin
photo: Annemarie Kury

Annemarie Kury, geb. Heske, wurde 1932 in Vimperk geboren. Ihre Mutter war Deutsche und ihr Vater stammte aus einer Mischehe. Die männlichen Vorfahren der Familie waren seit Generationen bei den Vertretern der aristokratischen Familie Schwarzenberg beschäftigt. Die Familie lebte auf dem Schlossgut in Vimperk. Nach 1938 kam die Leitung des Herrenhauses unter deutsche Verwaltung. Nach dem Ende des Krieges im Sommer 1945 wartete die Familie auf eine Berufung zur Zwangsdeportation nach Deutschland. Durch die Bemühungen der Schwarzenbergs gelang es den Eltern, eine Arbeitserlaubnis für Murau, in Österreich, zu erhalten. Karel Schwarzenberg, ein Präsidentschaftskandidat der Tschechischen Republik im Jahr 2013, absolvierte ein einjähriges Praktikum beim Vater der Zeitzeugin. Annemarie Kury hat ihre Abiturprüfung im Jahr 1955 in Salzburg abgelegt, schloss eine Ausbildung zur Krankenschwester ab, heiratete und im 1963 eröffneten sie mit ihrem Mann eine Praxis für physikalische Medizin. Sie haben fünf Kinder großgezogen. Im Jahre 1977 starb ihr Mann während einer Expedition im Himalaya. Gegen Ende ihrer beruflichen Laufbahn im Jahr 1991 begann sie, in den vom Krieg zerstörten Gebieten des ehemaligen Jugoslawien selbst materielle und finanzielle Unterstützung zu organisieren.