Rudolf Lux

* 1939

  • Er muss sehr stark geschlagen worden sein. Aber er hat praktisch kaum darüber gesprochen. Und dann waren da die Schotterstraßen… In einem Lager, in Reichenau (wir waren insgesamt in drei Lagern, der letzte war Reichenberg, dort war es dann human, kann man sagen), aber vorher in Reichenau, da waren in der Hälfte des Lagers noch Gefangene eingesperrt, die haben sie über Schotter robben lassen und die haben auch entsprechend ausgeschaut. So wurde es mir erzählt, meine Mutter hat verhindert, dass wir das gesehen haben, verständlicherweise. Aber es war noch im gleichen Lager. Ob es jetzt meinem Vater so passiert ist, das kann ich nicht sagen, er hat nie darüber gesprochen. Aber dort waren noch Gefangene, die richtig so mit Peitschen und Schüssen in die Luft gequält wurden, das habe ich noch mitgekriegt, aber nur von dem Schreien und von dem Rumgebrüll der Wachen. Aber die Mutter hat verhindert, dass wir zuschauen konnten. Es wäre möglich gewesen, aber Gott sei Dank, man muss nicht alles gesehen haben. Aber wenn Vater gefoltert wurde, weil er ja Fahnenflüchtiger war…. Ich würde von der tschechischen Seite verstehen, dass man solche Leute nicht brauchen kann, wenn sie einrücken müssen und das Land verteidigen und dann sind sie weg. Das geht natürlich nicht, heute sehe ich das auch so, bloß ich verstehe auf der anderen Seite auch, dass viele Deutsche das gemacht haben, das kann ich nicht anders sagen.

  • Da waren wir auf dem Feld. Was da genau gemacht wurde, ich weiß es nicht. Es lag Schnee, das weiß ich noch, und dann kam so eine dunkle Limousine mit vier Mann, so wie es oft in Filmen gezeigt wird, die hatten so eine Art Ledermäntel an und haben ihn mitgenommen. Da war er weg. Es war ein tschechisches Auto, das habe ich noch gesehen. Dann war großes Geheule am Feld. Die Mutter konnte sie ja nicht zu Hause lassen, die Kinder, die musste sie ja mitnehmen. Ich weiß nicht, haben wir noch nachgehackt nach Kartoffeln, so etwas musste es gewesen sein. Es ging dann schon in Richtung Jänner, das kann ich aber nicht genau sagen. Ich weiß nur, wie er verhaftet wurde. Die Mutter hat dann geweint, klar. Die Oma war glaube ich auch dabei, auch da war natürlich großes Weinen. Also es war nicht extra lustig, auch nicht für uns Kinder, wobei uns das nicht so stark bedruckt hat, denn er war sowieso die ganze Zeit nicht da. Wenn sie die Mutter genommen hätten, das wäre schlimmer gewesen. Aber der Vater war mehr oder weniger ein Fremder. Er hat immer so gestachelt, wenn er da war. Er musste seinen Großen immer auf den Arm nehmen und es war furchtbar für mich, daran kann ich mich noch schwach erinnern. Er hatte so einen ähnlichen Bartwuchs wie ich und war recht stachlig. Also der Vater war nicht unbedingt das, was er sein sollte, weil er fast nie da war.

  • Später dann in dem Lager, waren wir Mutter, ihre Mutter und fünf Kinder in einem Raum, Dusche irgendwo in dem Raum, aber so eine Reindusche, wenn überhaupt. Wir mussten alle vier Wochen raus und über Nacht draußen bleiben, weil es ausgegast wurde, damit sie die Insekten loswurden, was da so herumgetrappelt ist, Wanzen, Flöhe, alles. Die Wanzen waren die interessantesten, für ein Kind. Ich musste im obersten Bett schlafen, weil ich am ehesten heraufgekommen bin, die anderen konnten das nicht, es waren Stockbette mit drei Stöcken. Auf jeden Fall, die Wanzen hattest du, wenn das Licht aus war und es halbwegs hell war vom Mond her, dann hast du die Wanzen über dich trappeln gesehen. Die gingen auf die Wand auf, auf der Decke entlang, wo die Wärme aufgeht, da lassen sie fallen, und dann hattest du die Wanze irgendwo in den Klamotten. Ich habe kein Problem gehabt damit, bei mir war es am nächsten Tag wieder weg, aber meine Schwester – wie die ausgeschaut hat! Gesamt verfressen, von oben nach unten! Ihr Blut haben sie mehr gemocht und es hat sich auch entzündet bei ihr. Der nächste Bruder, der dritte… Wir waren vernünftig versorgt, da Mutter die Chefin in der Küche war, bloß er hat nie was gegessen. Wenn wir dann nach Westen gekommen sind, hatte er noch mit Vierzehn Jahren die Größe von einem Elfjährigen, Hühnerbrust, die Schulter eingezogen.

  • Und das Russen bei uns zu Hause waren, denn die Mutter war ja alleine mit den fünf Kindern zu der Zeit, dass weiß ich auch noch. Aber da kann ich mich bloß auf diesen fürchterlichen Schreinen meiner Mutter erinnern. Sie hat auf diese Weise wahrscheinlich, so habe ich das im Nachhinein interpretiert, eine Vergewaltigung verhindert. Durch ihr irrsinniges schreien.

  • Es war diese Gastwirtschaft, die gepachtet war, die hieß Blaue Donau, Gastwirtschaft und eine kleine Metzgerei dabei. Die waren da ja alle nicht groß. Die in Gablonz ja, die hatten zu beliefern die Glashütten. Aber das war in Lautschnei nicht der Fall. Und die Blaue Donau, die ist dann nach dem Krieg, warum auch immer, es war ein altes Gebäude, weggeschoben wurden. Keller, Gewölbe kann man immer noch sehen, so Reste davon, aber ich habe nicht nachgegraben, ob da noch das Bier unten steht oder sonst etwas. Aber interessanterweise ist da anstatt der Straßenbahn, die auch herausgerissen wurde, eine Bushaltestelle und die heißt immer noch Modrý Dunaj – Blaue Donau.

  • Full recordings
  • 1

    Weidenberg, Německo, 30.05.2019

    (audio)
    duration: 02:01:18
    media recorded in project The Removed Memory
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Ich habe ein Zeugnis aus der „Lagerschule“, die fehlende Allgemeinbildung ersetzte mir nach der Vertreibung niemand mehr

Rudolf Lux v roce 2019
Rudolf Lux v roce 2019
photo: Natáčení

Rudolf Lux wurde am 14. März 1939 in Lautschnei an der Neiße im Kreis Gablonz (Loučná nad Nisou, okres Jablonec) in der Familie des Fleischers und Gastwirts Rudolf Lux und Elisabeth, geborene Fleischmann aus einer Glaserfamilie, geboren. Der Vater pachtete in Lautschnei die Gastwirtschaft Modrý Dunaj in der Nähe der Umsteigehaltestelle der Straßenbahnlinien und führte auch eine kleine Fleischerei. Er leistete die Wehrpflicht in der tschechoslowakischen Armee bei der Kavallerie, entschied sich aber in der Zeit des Münchner Abkommens vor seiner Mobilisierung zu fliehen, wofür er nach dem Krieg verurteilt wurde. Im Krieg führte die Mutter das Unternehmen und der Vater kämpfte in den Reihen der Wehrmacht in der SSSR, wo er schwer verletzt wurde. Der kleine Rudolf war Zeuge der Ankunft der Roten Armee und indirekt auch des Versuchs der Vergewaltigung seiner Mutter, im Herbst dann der Verhaftung seines Vaters durch tschechische Behörden. Rundum Weihnachten 1945 musste auch der Rest der Familie die Heimat verlassen und sie hielten sich in den Lagern in Reinowitz (Rýnovice) Reichenau (Rychnov) und schließlich in Reichenberg (Liberec) auf. Nicht weniger als drei Jahre verbrachte die Familie im Lager im Regionalsammelzentrum Reichenberg. Dort besuchte Rudolf die Schule des Zentrums (Lagerschule), wo sich Erwachsene im Lager bemühten den Kindern Grundkenntnisse beizubringen. In der Schule unterrichten die internierten Bewohner auf deutsch, aber nur Lesen, Schreiben und Rechnen. Herr Lux hat bis heute Probleme mit Rechtschreibung und liest in einem beträchtlichen Umfang nur fotografisch. Eine Allgemeinbildung erlangte er in den meisten Fächern und in keine Schule mehr und machte daher eine Fleischerlehre. Die Familie Lux wurde Ende 1948 erst nach der Freilassung des Vaters nach Bayern abgeschoben. 1954 bekam der Vater die Gelegenheit zur Gründung einer Fleischerei und das Gewerbe setzte sein Sohn Rudolf fort, der vor seiner Rückkehr nach Bayern an verschiedenen Orten in Deutschland lebte, in Stuttgart heiratete und einen Sohn hat. 1961 diente er in der Bundeswehr in der Nähe des Städtchens Regen, wo er half die NATO-Grenze zur damaligen ČSSR zu bewachen. Rudolf fährt in der letzten Zeit regelmäßig nach Böhmen und fühlt sich weiter im Isergebirge (Jizerské hory) zuhause.