Josef Paul

* 1937

  • "Das Haus ist jetzt, die Fasade brückelt etwas ab. Wir wurden einma sogarreingellassen. Das erste Mal, das war noch während des Kommunismus, es war ein aufwühlendes Erlebnis. Mit meiner Tante war ich dort. Man hat die eigene Wände vielleicht zwanzig Jahre nicht gesehen, und jetzt hatten wir die Gelegenheit gehabt. Das hat uns innerlich ungeheuer gerührt. Wenn ich jetzt nach Lobzy komme, macht es mir nicht viel aus. Ich bin distanziert. Ich wäre vielleicht, wenn ich zu Hause geblieben wäre, wäre ich in Lobzy gar nicht geblieben. Es ist aber doch die Geburtsheimat und ich habe dort einige Jahre verbracht, also es interessiert mich schon, was dort geschieht. Meine Mutter hat strickt abgelehnt, zurückzukehren. Für meinen Großvater hat sich die Möglichkeit nicht ergeben, er ist 1959 gestorben. Meine Großmutter ist 1949 gestorben. Sie hatte Magenkrebs, das war sehr viel für sie. Diese Generation hat schon sehr viel mitgenommen. Meine Tante, die Lehrerin, die ist auch öfters hingefahren und hat es distanzierter gesehen. Wir waren uns meistens einig, zum Glück können wir immer wieder nach Hause fahren, nach Bayern, das ist unser neues Zuhause."

  • "Wie der Krieg zu Ende ging, am 8. Mai 1945. Da kamen plötzlich amerikanische Soldaten, von Norden, Nordwesten her. Ich habe in meinem Leben zum ersten Mal einen schwarzfarbigen Soldaten gesehen. Für mich war es… diese Soldaten haben sich in Schuhen ins Federbetten gelegt und wollten zum Essen Eier haben, weil sie sicher gehen wollen, dass man sie nicht vergiftet. Aber die waren nur eine Nacht und sind dann weitergezogen, sie haben wohl zu der Einheit von General Patton gehört. In Pilsen ist ein großes Patton Memorial. Bei uns waren die Soldaten nicht, aber bei der Tante, bei den Nachbarn, waren sie. Sie sind am nächsten Tag gleich weitergezogen. Es war eine Erleichterung, sie zu sehen. Man hat schon seit Monaten absehen können, dieser Krieg wird nicht gewonnen, und wenn das nur schon vorbei wäre."

  • "An Köthen kann ich mich insofern erinnern, dass die Lebensmittel auf Marken waren und es war sehr knapp, es war im Winter sehr kalt, der Winter 1946/1947 war kalt und auch der darauf folgende. Ich musste mich als Kind anstellen mit einer Alluminiumkanne, um zum Beispiel eine Wurstsuppe oder auch Molke zu bekommen, das hat oft lange gedauert. Ansonsten war es auch noch üblich auf den Felden Ähren zu lesen, die liegendgebliebene Ähren, sie auszuklopfen, die Körne auszuklopfen und so Mehl zu gewinnen. Das war das größte Schock für meine Familie, vor allem für die ältere Generation. Meine Großeltern haben den ersten und den zweiten Weltkrieg überstanden, und nun standen sie vor dem Nichts. Zu Hause war dieser Hof, um den sich alles gedreht hatte, der Bauernhof mit 39 Hektar, jetzt waren sie Habenichtse. Der Großvater hatte bei der Bahn eine Arbeit gefunden, hat dann a bisl Kohle heimgebracht."

  • "Es gibt für die Historiker ein Spruch: Sine ira et studio. Das heisst, ohne Zorn und Übereifer und mit Studium soll man Geschichte beurteilen. Ich habe jetzt genug Distanz. Ich werde nicht lande leben und ich habe viele Informationen bekommen, die wir früher nicht hatten. Aus der Distanz sieht man es anders."

  • Full recordings
  • 1

    Rehau, 16.09.2019

    (audio)
    duration: 01:15:11
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Nach Tschechien zieht mich immer unsere gemeinsame Kultur

Zuhause, um 1941
Zuhause, um 1941
photo: Archiv pamětníka

Josef Paul wurde am 25. April 1937 im Dorf Lobzy (Lobs), der heute ein Teil von Oschelin (Bezirk Tachau) ist, geboren. Seine Familie gehӧrte zu groβen Ortsbauern. In der Zeit der ersten Republik war der Groβvater des Zeitzeuges Bürgermeister, politisch gehӧrte er der Agrarpartei an. Im September 1946 wurde die Familie Paul nach Köthen in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands ausgesiedelt. Im Mai 1949 hat es der Familie gelungen ins Dorf Trasching nach Bayern umzuziehen, wo des Zeitzeugen Tante Rosa Paul als beliebte Lehrerin gewirkt hat. Dank der Tante hat es dem Zeitzeuge gelungen die Universität in München und Erlangen studieren, Fachrichtung Lehramt Latein und Deutsch. In den Jahren 1969–2000 wirkte er am Gymnasium Burglengenfeld, später auch als Stellvertretender Direktor. Gemeinsam mit seiner Frau, die aus dem Gebiet unter Riesengebirge stammt, interessieren sie sich intensiv um die Sudetendeutsche Themen und tschechisch-deutsche Beziehungen.