Rudolf Paulik

* 1938

  • Es sind doch die Juden auch dort getrieben worden. Und da ist eine bei uns in Obermoldau gestorben oder umgekommen und die haben sei dann ausgraben müssen. Da waren damals schon die Tschechen hier. Und sie haben sie dann am Dorfplatz aufgebahrt und mit Wurzelbürsten abbürsten müssen und dann hat man das ganze Dorf zusammengetrieben und dann haben die um die Leiche rumgehen müssen und küssen. Das habe ich mitgekriegt. Das war schlimm.

  • Das was auch für schäbig gefunden habe, wie wir verladen worden sind, sind wir zum Bahnhof getrieben worden und da sind die von außen zugestanden und haben auf uns gespien und mit Händen gedroht und … Das war schlimm. Das schönste war, wenn wir dann im Wagon drinnen waren.

  • Entlausung! Selbstverständlich. Ganz gleich wie lange der Transport gedauert hat, in Furth hat alles rausmüssen und da waren solche Barracken da und da ist ein jeder entlaust worden. Wenn er rausgekommen ist, war alles weiß. Und wenn ich heute unterwegs bin, ganz gleich in was für eine Ecke in Deutschland, und mich mit einigen unterhalte, und sage, dass ich in Furth war… Ach, sagen sie dann, wir sind über Furth im Wald ausgesiedelt worden und erinnern uns heute noch, wie man vom Lauspulver schneeweis von der Entlausungkammer rausgekommen sind.

  • Die Vertreibung, muss ich im Vorneherein sagen, werde ich den Tschechen nicht verzeihen können. Weil das geht über alles. Und wenn ich zuschauen habe müssen, was mit den Leuten alles getrieben worden ist, nur, weil sie Deutsche waren, dann ist das nicht richtig. Aber wir können das Rat heute nicht wieder zurückdrehen. Mit Sicherheit haben die Deutschen viel Schlimmeres getrieben, das will man auch gar nicht verneinen. Es war halt so. Aber die Deutschen haben sich x-Mal entschuldigt und die Deutschen haben, was möglich war, bezahlt. Und die anderen halten es nicht für richtig, dass sie sich auch entschuldigen? Um irgendetwas zu bezahlen steckt gar nichts drinnen. Es wäre höchst an der Zeit, wurde ich sagen, dass wir zusammenarbeiten, das wir zusammenschauen, dass es uns gutgeht. Und vor allem was ich ganz wichtig finde, dass unsere Jugend, ob Deutsche oder Tschechen eine gesicherte Zukunft hat, dass wir miteinander gehen können werden.

  • Wir haben kurz vor den Vertreibungstermin Postkarte bekommen und da ist oben gestanden, dass wir uns fertigzumachen haben zwei, drei Tage später und was wir mitnehmen dürfen, unter anderem glaube ich 1000 Reichsmark und 30 Kg Gepäck. Aber das Gepäck, da muss ich sagen, das war verschieden, manche haben 40 Kg mitnehmen dürfen, wie ich mitbekommen habe. Ob es stimmt, kann ich nicht behaupten. Und dann haben wir an dem Datum uns früh um Acht dort einfinden müssen, dann sind wir auf LKW verladen worden, dann ist unser LKW nach Prachatitz gefahren und da sind wir ins Lager gekommen. Und dann war wieder eine schäbige Sache. Koffer und so etwas hat man nicht viel gehabt, sondern in Windeln eingenäht ist die Ware geworden, natürlich hatte man nicht Glasscherben mit, sondern etwas Gutes und was man unmittelbar gebraucht hat. Und im Lager sind die Windel aufgeschnitten worden und was den Böhmen gefallen hat, haben sie sich genommen. Und das war also mehr als schäbig. Wenn einer schon am Boden liegt, dann tritt man nicht drauf.

  • Full recordings
  • 1

    Neukirchen, SRN, 02.09.2019

    (audio)
    duration: 01:11:50
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Wenn einer schon am Boden liegt, dann tritt man nicht drauf

Rudolf Paulik, Neukirchen 2019
Rudolf Paulik, Neukirchen 2019
photo: Natáčení

Rudolf Paulik wurde am 13. Januar 1938 in Ober Moldau (Horní Vltavice) in eine deutsche Familie mit königlich-privilegierter Tradition geboren. Die Mutter des Vaters kam aus Hussinetz (Husinec) und war Tschechin, starb aber vor Kriegsende. Der Familie gehörte der umfangreiche Paulik-Hof. In der Zeit um Rudolfs Geburt diente der Vater in der tschechoslowakischen Armee, später kämpfte er in den Reihen der Wehrmacht und war in sowjetischer Gefangenschaft. Die Mutter kam aus einer Müllersfamilie und führte während der ganzen Kriegszeit allein den Hof und den Kolonialwarenladen in Ober Moldau. Den Zeitraum seiner Kindheit während des Krieges nimmt er als konfliktfrei war. Bei den Nachkriegsereignissen erinnert er sich an die abstoßende Behandlung durch Aufseher, die die deutsche Bevölkerung auf dem Dorfplatz von Ober Moldau dazu zwang, den toten Körper eines jüdischen Mädchens zu küssen. Am 24. Mai 1945 wurde die Familie in ein Sammellager und von dort nach einigen Tagen mit einem Transport über Eger (Cheb) nach Deutschland gebracht. Rudolf Paulik durchlief seine Ausbildung in Regensburg, wurde Handwerksmeister und diente als einer der ersten ab 1959 für die bewaffneten Kräfte der Bundeswehr in Nürnberg. Er ist Vater von vier Kindern, die er seit ihrer Kindheit allein aufzog. Böhmen besuchte er das erste Mal 1966, als er sich in Ober Moldau mit „nichtvertriebenen“ Freunden traf. Obwohl er bei der Gründung einiger deutsch-tschechischen Partnerschaften dabei war und in seinen Adern „tschechisches Blut zirkuliert“, kann er die Vorgehensweise der tschechischen Leute nach dem Krieg nicht vergessen und vergeben.