The following text is not a historical study. It is a retelling of the witness’s life story based on the memories recorded in the interview. The story was processed by external collaborators of the Memory of Nations. In some cases, the short biography draws on documents made available by the Security Forces Archives, State District Archives, National Archives, or other institutions. These are used merely to complement the witness’s testimony. The referenced pages of such files are saved in the Documents section.
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Du hattest so eine Wut, das können Sie sich nicht vorstellen.
1923 Geburt in Eibenberg (Tisová) bei Graslitz (Kraslice)
Eltern Arbeiter und engagierte Sozialdemokraten
1938 Vater zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich
1942 zum Arbeitsdienst eingezogen
April 1945 Rückkehr aus dem Arbeitsdienst bei Augsburg
1947 Aussiedlung nach Deutschland
1948 Heirat, Umzug nach Waldkraiburg
00:00 Familie Elsa Pecher wurde am 16. Juni 1923 in Eibenberg bei Graslitz (heute Kraslice bei Karlovy Vary) geboren. Der Vater war Sandweber und in der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung stark engagiert, die Mutter war Heimarbeiterin. Nach der Besetzung des Sudetenlandes durch das Deutsche Reich 1938 wurde der Vater zunächst verhaftet und dann zur Arbeit nach Thüringen eingezogen. Pecher hat eine vier Jahre jüngere Schwester, deren Herkunft aus einer sozialdemokratischen Arbeiterfamilie zunächst ein Hindernis darstellte bei der Aufnahme in einer Lehrerbildungsanstalt in Prag. 12:26 Kriegserlebnisse Pecher wurde 1942 zusammen mit ihrem gesamten Jahrgang für den Arbeitsdienst gemustert, von den 26 Mädchen wurden jedoch nur zwei zum Arbeitsdienst eingezogen, da sie einen sozialdemokratischen bzw. kommunistischen Hintergrund hatten. Pecher kam dann in ein Arbeitsdienstlager und arbeitete bei einem Bauern. Anschließend leisteste sie Kriegshilfsdienst in einer Munitionsfabrik. Sie erzählt von engen Großraumzimmern, Hunger, Kälte und einem streng geregelten Tagesablauf. Schließlich wurde sie als Flakhelfer eingezogen, zunächst nach Nürnberg und dann an den Bodensee und nach Augsburg. Auch Nachts musste sie wache schieben und sah im Dunkeln der Verfinsterung die hell erleuchtete Schweiz auf der anderen Seite des Bodensees. In Augsburg erlebte Pecher auch eine Bombardierung. Bei einer politischen Schulung am Bodensee legte sie sich mit dem Ausbilder an, da sie die Frage nach dem Geburtstag des Führers nicht beantworten konnte und argumentierte, dass sie aus der früheren Tschechoslowakei komme. Das Kriegsende erlebte Pecher Ende April ebenfalls in Augsburg. Zusammen mit einer Freundin, die auch aus Kraslitz kam, machte sie sich per Anhalter auf den langen Weg nach Hause. Mehrmals wurden sie von Soldaten in Lastern mitgenommen, sie sah Märsche von KZ-Gefangenen, erlebten Tieffliegerangriffe und verlor schließlich ihre Tasche mit dem Entlassungszettel. Mitten in der Nacht kam sie zuhause an, wo sie ihre gesamte Familie wiedertraf. 51:25 Nach Kriegsende in der Tschechoslowakei Zurück zuhause erlebte sie dort den amerikanischen Einmarsch und die Auseinandersetzung amerikanischer Truppen mit sowjetischen. Die Grenze zu Bayern konnte die Familie nicht mehr rechtzeitig überqueren. Der Vater half bis 1947 bei der Vorbereitung der Transporte für die Aussiedlung. Sie selbst wurde in einer Fabrik für Musikinstrumten angestellt. 59:23 Aussiedlung und Ankunft in Bayern Die Familie von Frau Pecher wurde 1947 ausgesiedelt. Sie kamen in ein Flüchtlingslager nach Mettenheim, in dem sie mit 45 Personen in einer Holzbaracke untergebracht waren. Dort blieben sie drei Monate bis November 1947. Die Ankunft fiel ihnen schwer, Frau Pecher beschreibt beispielsweise Schwierigkeiten bei der Lebensmittelversorgung. Von Mettenheim wurden sie nach Kraiburg zu einem Bauern zugeteilt, der mit Polizeigewalt dazu gezwungen werden musste, sie aufzunehmen. 01:03:22 Einleben in Bayern Pecher heiratete 1948 ihren Mann, den sie bereits aus der Heimat kannte. Er arbeitete zunächst im Casino der amerikanischen Armee in Waldkraiburg. Als die Amerikaner Anfang 1949 abgezogen wurden, konnte auch die Familie Pecher sich ein Zimmer in der ehemaligen Kaserne ausbauen. Zusammen mit anderen gründeten sie eine Baugenossenschaft, in deren Häuser sie mit der Familie ihres Mannes einziehen konnte, ihre eigene Familie lebte in der Nachbarschaft. 01:12:07 Neuorganisation der Musikinstrumentenindustrie In Bayern organisierte sich auch die böhmische Musikinstrumentenindustrie neu. Die Musikinstrumentenbauer fingen an mit einfachen Mitteln in Baracken zu arbeiten, mit dem, was sie aus Böhmen mitgebracht hatten. Sie bauten so die Industrie im kriegszerstörten, bäuerlichen Bayern mit auf. 01:14:16 Kindheit in der Arbeiterbewegung Pecher verbrachte ihre Kindheit v.a. mit dem Arbeiterturnverein, der 1938 verboten wurde. Sie erinnert sich an viele Feste und Ausflüge mit dem Fahrrad bis nach Karlsbad. Die großen Sommerferien verbrachte sie jedes Jahr bei einer Familie im Böhmerwald. Die Überquerung der Grenze nach Bayern war eine Selbstverständlichkeit, z.B. zur Kirchweih. 01:26:40 Besuch in der Tschechoslowakei 1993 Eigentlich wollte Frau Pecher nicht mehr in die Tschechoslowakei reisen, entschied sich anlässlich ihres 70. Geburtstags 1993 dann für diese Reise. Mit ihrem Mann besuchte sie ihren Heimatort, die Umgebung, Karlsbad und den Böhmerwald, schaute sich ihr Elternhaus jedoch nur von außen an.
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Witness story in project Not to disappear from history (Dorothee Ahlers)