Hermann Sehr

* 1938

  • "Ja, man muss sich vorstellen, Deutschland hatten den Krieg verloren, die Wohnung, die meine Mutter hatte, musste sie räumen, das Dorf Boden waren 10 Hausnummer, davon waren nach dem Krieg 5 Bauer geflohen aus Angst, ein leerstehendes Haus hatte meine Mutter als Ersatzwohnung bekommen. In diesem Dorf waren dann auf einmal von heute auf morgen 3 tschechische Bauern, die einen Hof von einem Egerländer übernommen haben, 3 einheimische Bauer und wir, Kinder. Ich erinnere mich, dass wir vielleicht 5, 6 zusammen waren. Die Hälfte waren deutsche, tschechische Kinder, die Hälfte waren Egerländer Kinder, wie waren in einem Dorf, was uns als Spielplatz zur Verfügung stand. Die leerstehenden Bauernhöfe, waren auf einmal für uns Spielplätze, wir waren neugierig, was gibt es da zu entdecken, so sind wir wie streunende Hunde in den ganzen Ortschaften rumgezogen. Rumzigeuner. Schlimm war es, dass die deutschen Bauern, meistens aus Angst, dass sie in das Landesinnere verschleppt worden, oder wurden sollten, denen ihre Höfe, ihr Vieh in Stich ließen, und sind nach Bayern geflüchtet. Meine Mutter hatte es noch anhören müssen, wie das Vieh gebrüllt hat, weil es nicht gemelkt wurde. Da kann ich mich erinnern, dass sie einmal mit zwei großen Wassereimer voller Milch nach Haus kam, dass wir auf einmal in Überfluss von Milch standen. Und die Milch konnten wir nicht trinken, sondern nur mit den Fingern Rahm oben abschöpften."

  • "Dort war es etwas ganz Neues, wie sie sich vorstellen können, für mich war es schön, auch wenn die meisten nicht zum Militär wollten. Ich habe Musik gelernt, ich habe nebenbei Musik lernen dürfen, ich habe die Zeit bekommen zum Musiklernen, bin auch nebenbei gefördert worden. Und natürlich im Orchester die schönen Auftritte, von denen ich heute noch erzählen kann. Und von den guten Kollegen. Wir waren ja Musiker, wir waren keine Militaristen."

  • "Das Gespräch mit den älteren Leuten war interessanter, weil die ältere Leute waren in der Welt. Geigenbauer, die waren in der ganzen Welt. Als Instrumentenbauer, oder Reparatur, bis in Budapest, oder in Wien, oder als Musiker bis auf Helgoland, sie sin in der ganzen Welt. Ihr Horizont war anders. Mit diesen Leuten konnte man sich unterhalten. Die könnten die Unterschiede, was gut und was schlecht ist. Die haben die Menschenkenntnisse, das war interessant mit ihnen zu reden. Mit ihnen könnte man auch über alles reden, die waren keine Fanatiker. Heute kann man sich nur über Fußball unterhalten. Mit diesen Leuten könnte man sich unterhalten, was ist schön und was ist nicht schön. Das war bei uns ein Thema, als Instrumentenbauer, als Geigenbauer hatte man es im Augen haben. Wenn einer die Schnecke geschnitten hat, die musste auch schön aussehen. Die hätte man auch fräsen können, Maschine macht es vielleicht genauer, aber die Hand macht es schöner. Wenn einer ein Bild gemalt hat, könnte man sagen, es ist schön, es ist nicht schön. Heute ist alles abstrakt schön."

  • "Nachdem wir auch aus der Dorf geflohen sind, haben wir zurückgeschaut, auf das Dorf, wo ich gewohnt hatte. Boden war 500 Meter von der Grenze, 1950 standen die Häuser noch, obwohl sie schon alle leer waren, da waren auch schon die Tschechen, die damals die Höfe übernommen haben, die haben sich auch in das Landesinnere umgezogen, das ganze Dorf stand leer. Nur die Taubten kreisten über den einzelnen Höfen. Die sind dann später auch verwildert. Und so habe ich es verglichen, wir sind verwildert, die Tauben sind wieder verwildert, aber der Gedanke, da war mein Leben… Und im Frühjahr, wenn die Kirschbäume geblüht haben, hat man gesehen, das war mal ein Dorf, wo die Menschen früher gewohnt haben. Wo ich gelebt habe, und wo man nicht mehr hindurfte. Das ist eigentlich, das sind die Erinnerungen, die beschäftigen mich sehr oft, die Gedanken kommen immer wieder zurück."

  • "Ich habe als kleiner Bub von einem böhmischen Dorf die ganze Welt gesehen. Ich will jetzt nicht anfangen von meinen Reisen zu erzählen, aber als Militärmusiker haben wir die ganze Welt gesehen, darauf bin ich sehr stolz."

  • Full recordings
  • 1

    Rehau, 13.09.2019

    (audio)
    duration: 01:31:02
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Egerländer Vollblutmusiker

Hermann Sehr
Hermann Sehr
photo: Post Bellum

Hermann Sehr wurde am 8. Juni 1938 in Pernatitz im Kreis Tachau in Westböhmen geboren. Seine Eltern wohnten jedoch in der Egerer Gegend, zuerst in Altalbenreuth (Mýtina) und später im ehemaligen Zollhaus. Hermann hat noch einen jüngeren Bruder. Sein Vater ist 1941 im Krieg gefallen und seine Mutter blieb mit zwei Kindern allein. Während des Krieges wohnte die Familie in der Siedlung Boden. Am 8. August 1946 beschloss die Mutter, mit den Kindern nach Bayern zu flüchten, weil sie eine Aussiedlung in die sowjetische Zone befürchtete. Bis 1952 wohnte die Familie in einer Notunterkunft in Neualbenreuth. Von 1952 – 1955 lernte Hermann in der Geigenbauerwerkstatt in Bubenreuth, die von den aus Schönbach bei Eger ausgesiedelten Meistern geleitet wurde. Hier lernte er auch Blasinstrumente spielen, was ihm die Laufbahn eines Militärmusikers bei der Bundeswehr eröffnete. Für seine Verdienste erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u. a. 1992 das Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold. Er ist verheiratet und ein glücklicher Großvater.