Ivo Vendolsky

* 1933

  • "Wir sind dann zu dem Sammelplatz gegangen und sind mit diesen, das waren vielleicht 3000 Menschen, die sich dort angesammelt hatten. Und wir wurden durch berittene Svoboda-Truppen begleitet bis zur deutschen Grenze. Jedoch mussten wir einmal in einem Wald übernachten, weil die Strecke zu gross war. Zwei Tage waren wir untewegs. Und was mir noch im Hinterkopf Gedächtnis ist... Ich will es trotzdem sagen. Da waren alte Leute dabei, die nicht mehr konnten. Die haben sich also in den Straßengraben gesetzt, die Svoboda-Truppen kamen, haben drei mal gerufen Steh auf, geh weiter, und wenn die Leute gesagt haben ich kann nicht, haben sie einfach mit der Maschinenpistole draufgeschossen."

  • "Meine Mutter hat meine Tante zu diesem Platz begleitet und dort hat ein Tscheche, der in Bensen gelebt hat auch während des Dritten Reiches, ihr gesagt: Du bist doch nicht ausgewiesen. Du musst da bleiben und Ivo geht zu seinem Vater. Und da hat meine Mutter gesagt, ich will meinen Sohn nicht verlieren, ich gehe mit. Sie ist also nicht ausgewiesen worden, sondern sie ist von selbst gegangen, damit sie mich behalten kann."

  • „Einer von den Svoboda-Truppen hat bei uns eine sogenannte Hausdurchsuchung gemacht und hat gesagt, ich bin Schüler von ihrem Mann gewesen. Und meine Mutter, die ja nun fließend tschechisch sprach, hat den tschechischen Rundfunk abgehört und wusste, was auf uns zukommt und hatte bereits in Ziechen, wissen sie was Ziechen sind?, also Betttücher, und haben in Betttüchern bereits Dinge gesammelt, die zur Ausweisung mitgenommen werden sollten. Und der Tscheche hat ihr gesagt, auf Deutsch: 'Was ist das? ' 'Ja, ich bereite mich für die Ausweisung vor. 'Woher weißt du das?' 'Ja vom Radio.' 'Wenn du das sagst, erschieße ich dich – aber ich erschieße dich nicht, ich war Schüler von deinem Mann.'“

  • Full recordings
  • 1

    Praha, 09.10.2021

    (audio)
    duration: 02:03:20
    media recorded in project The Removed Memory
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Mama hat gesagt, dass sie ihren Sohn nicht verlieren möchte und ist so freiwillig in die Vertreibung gegangen

Ivo Vendolsky, Praha 2021
Ivo Vendolsky, Praha 2021
photo: Natáčení

Ivo Vendolský wurde am 21. August 1933 in Teplitz (Teplice) in eine deutsch-tschechische Lehrerfamilie geboren. Der Vater Jaroslav war Tscheche, die Mutter Irmgard hatte deutsche Wurzeln. Zuhause hat man beide Sprachen gesprochen. Die Eltern ließen sich jedoch nach einigen Jahren scheiden und Ivo wohnte schließlich bis zum Ende des Krieges in Bensen (Benešov nad Ploučnicí), während der Vater in das gebürtige Brünn (Brno) zurückkehrte. Den Anschluss des Sudetenlandes an Deutschland im Herbst 1938, begrüßten die Bewohner von Bensen, er erinnert sich daran, wie er mit den anderen auf der Straße die Ankunft deutscher Soldaten beobachtete. Vom Krieg selbst waren die dortigen Bewohner nicht direkt betroffen. Nach Kriegsende kamen aber nach Bensen Gruppen von bewaffneten Tschechen und es begann die sogenannte wilde Vertreibung. Ivo und seine Mutter verließen am 20. Juni 1945 die Stadt, als eine 3000-Köpfige Gruppe unter der Aufsicht von Bewaffneten auf Pferden, sich auf den Fußweg in Richtung deutscher Grenze machen musste. Die Mutter schloss sich den Vertriebenen freiwillig an, sie wollte nämlich nicht, dass sie irgendwann von ihrem Sohn getrennt werden sollte. Erst nach Jahren erfuhr Ivo Vendolský, dass sein Vater ihn in der Stadt vergeblich gesucht hatte. Während der zweitägigen Reise erschossen die Soldaten einige ältere Menschen, die nicht mehr weiterlaufen konnten. Unweit der Grenze fanden sie dann Zuflucht in einer ehemaligen Herberge des Reichsarbeitsdienstes. Die Mutter kehrte noch einige Male heimlich über die Grenze zurück, wo sie für tschechische Lebensmittelmarken Brot einkaufte. Sie sprach so gut Tschechisch, dass auch als sie während des Grenzübergangs gefasst wurde, niemand erkannt hat, dass sie Deutsche ist. Später zogen der Sohn und seine Mutter in das Inland. Ivo Vendolský machte einen Abiturabschluss und später studierte er auch an der Universität in Dresden. In der DDR absolvierte er eine Militärausbildung und vergleicht die politische Indoktrination dieses Landes mit dem, was er als Kind im nationalsoazialistischen Deutschland erfahren hat. Im Jahr 1960 wollte er promovieren, er bekam aber die Bedingung, in die SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) einzutreten. Dies lehnte er ab und entschied sich, nach Westdeutschland zu gehen, wo der Großteil seiner Familie war. In Westdeutschland widmete er sich der Energetik und wurde sogar für einige Jahre durch die deutsche Regierung als Berater nach Afghanistan ausgesendet. Im Jahr 1962 heiratete er Sieglinde, die er bereits aus Bensen von ihrer Geburt an kannte. Die Familie seiner Ehefrau wurde nach der Internierung im Lager Rabstein nach Westdeutschland ausgesiedelt.