Gudrun Wilcke -Pausewang

* 1928

  • "Und nachdem die weg waren, hat sie gesagt, jetzt können wir nicht mehr bleiben hier, wir müssen flüchten. Da sind wir wild geflüchtet, also nicht wie später die Deutschen, die dort waren, mit der Bahn. Wir haben alles zu Fuß gemacht und sind schon im Oktober 1945 sind wir bei der Schwester von meiner Mutter angekommen. Und zwar auch nur deswegen, es war so: die Mutter ist mit uns geflüchtet bis über die Grenze und dort hat sie bei guten Freunden von meinem Vater gewohnt mit uns, aber nur eine Woche. Dann ist sie mit uns losgezogen. Diese eine Woche war sie auch mal Mittenwalde, das ist eine deutsche Stadt, die war früher auch deutsch, und dort hat sie gesehen, dass dort vor dem sowjetischen Stadtkommandanten stand eine lange Schlange von Frauen. Da hat sie sich auch in die Schlange reingestellt und hat erfahren, diese Frauen das waren bombengeschädigte Frauen, die haben keine Wohnung. Die wollten jetzt zurück in ihre Gegend. Da hat sie sich einen Schein gegeben lassen und da stand, diese Frau ist auch eine Frau aus Westdeutschland ist. Und mit diesem Papier sind wir später, im Herbst und Oktober 1945 nach Westdeutschland angekommen. Und, also was Flüchtlinge sind, das weiß ich wirklich. Neun Wochen zu Fuß. Wir haben ungefähr… das müssen acht Hundert Kilometer gewesen sein."

  • "Der Krieg war am 8. Mai zu Ende. Und am 22. Mai, glaube ich, da war Pfingsten, und am 24. Oder 25. Mai kam eine Horde von paramilitärischen Tschechen nach Wichstadtl und haben 10 Männer, 10 deutsche Männer auf die grauenhafteste Weiße umgebracht. Also, totgequält. Der Bürgermeister und der Lehrer, Oberlehrer, die sind ganz fürchterlich behandelt worden, Kleidung ausgezogen und dann, z.B. Mit dem Feuerzeug den Schnurrbart abgebrannt. Und dann getötet. Mein Vater sollte auch, bei den 10 Männer… Es wurden alle deutsche Männer ausgesucht, aber nur 10 wurden rausgerufen. Da war kurz vorher, ein Deutscher, der in dem Glatzer Kessel zu Hause war, der also mit Wichstadtl gar nichts zu tun war, der ist nach Wichstadtl gekommen, weil seine Frau ein Haus geerbt hat. Er war schon pensioniert und war ein bisschen schwerhörig. Da hat er gehört, da wurde mein Vater ausgerufen, Siegfried Pausewang. Er hörte schlecht und hat gedacht, Emil Pausewang, das war sein Name. Und er ist totgeschlagen worden. Ein Vater von einem SS-Soldaten, ein deutscher Vater, der dafür gar nichts konnte. Er ist auch umgebracht worden. Oder ein Deutsche, der hatte einen tschechischen Name Schafar, aber er war Deutsche, er konnte kein Tschechisch. Den haben sie auch umgebracht, weil er seinen Namen Schaffer, er hat aus Safar Schaffer gemacht. Und ein Deutsche, dem ein Arm fehlte aus dem Krieg, der ist auch umgebracht worden. Es waren insgesamt 10 Leute. Man weiß, wo sie begraben wurden. Man hat sie inzwischen schon ausgegraben. Der Sohn von dem Bürgermeister, der hat den Doktortitel, und er hat erreicht, dass sein Vater, der Bürgermeister von Wichstadtl, dass seine Ehre wieder hergestellt wurde. Und jetzt zu Pfingsten da soll ein Ehrengrab dort hingestellt worden, wo die Toten alle liegen."

  • "Mein Vater hatte ein sehr starkes Heimatgefühl. Jetzt waren wir wieder in Mladkov und da stellte meine Mutter fest, wenn mein Vater noch zwei Semester an einer Prager Universität studierte, dann könnte er Volksschullehrer werden. Das wäre für mein Vater ideal gewessen. Dass wollte er nicht, er wollte unbedingt siedeln. Zuerst hat er gesagt, gut, dann mache ich es. Als kleines Kind, als vielleicht dreijährige, war ich ein Semester in Prag. Aber ein Problem hatte der Vater, er hätte Tschechisch lernen müssen, denn jeder Volksschullehrer musste Tschechisch können, wenigstens etwas Tschechisch. Aber mein Vater hat sich bemüht, aber wahrscheinlich wollte er kein Tschechisch lernen. Damals war man unglaublich nationalistisch eingestellt. Als er dann merke, nein, Tschechisch geht nicht, das kann er nicht lernen, hat er in Prag Schluss gemacht und ist zurück nach Mladkov, und meine Mutter und ich auch."

  • "Es war so: unter meinem Großvater, der ja früher auch an dieser Schule unterrichtet hat, der hat drei deutsche Schulklassen gehabt. Das war noch Österreich-Ungarn. Als ich in die Schule ging, da gab es schon eine Klasse Tschechen und zwei Klassen Deutsche. Aber in der tschechischen Klasse, da gab es viele Deutsche. Es war so, die Tschechen haben den deutschen Kindern, oder allen Kindern aus ihrer Klasse ein großes Paket mit Wintersachen geschenkt. Und weil viele Deutsche ganz arm waren, haben sie ihre Kinder in diese Klasse geschickt, nur um dieses Paket zu bekommen. Das war von der tschechischen Regierung wahrscheinlich… "

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    Baunach, 26.03.2017

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    duration: 
    media recorded in project Stories of 20th Century
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Wenn ich mich an meinen Volksschullehrer erinnere, muss ich immer daran denken, wie sein Schnurrbart abgebrannt wurde

gudrun.jpg (historic)
Gudrun Wilcke -Pausewang
photo: http://www.cbdb.cz/autor-13319-gudrun-pausewang

Gudrun Pausewang ist eine der renommiertesten deutschsprachigen Kinder- und Jugendbuchautorinnen. Sie wurde am 3. Mai 1928 in Wichstadtl (Mladkov) in der Tschechoslowakei geboren. Ihr Vater, Siegfried Pausewang, war der jüngste Sohn des Wichstadtler Volksschullehrer, ihre Mutter stammte aus Saarbrücken. Das Ehepaar kaufte sich ein Grundstück in der Nähe von Wichstadtl. Dank der landwirtschaftlichen Kenntnissen des Vaters und der Fleiß und Mühe seiner ganzen Familien ist es den Pausewangs gelungen, aus der „Rosinkawiesse” ein fruchtbares Stück der Erde zu schaffen. Gudrun war das älteste von sechs Kindern. In 1943 kam ihr Vater in Russland ums Leben. Damals besuchte Gudrun das Gymnasium in Mährisch Schönberg und ebendort hat sie auch, bis zum kurz vor dem Kriegsende, gewohnt. Am 22. Mai 1945 wurden in Wichstadtl mehr als 10 deutsche Männer tot gequält. Unmittelbar danach hat sich die Mutter entschlossen, mit ihren Kindern zu flüchten. Ihr Weg nach Westen hat über 9 Wochen lang gedauert und die Familien hat die Strecke zu Fuß gemacht. Die Pausewangs haben ihr neues Zuhause in Wiesbaden gefunden. Gudrun ist Grund- und Hauptschullehrerin geworden. Viele Jahre war sie an deutschen Schulen in Südamerika tätig. Die Erinnerungen an ihre Kindheit hat sie in mehreren Büchern verfasst. Für ihr Buch Die Wolke hat sie in 1988 den Deutschen Jugendliteraturpreis bekommen. Sie wohnt in Baunach (Oberfranken).