Brigitta Gottmann

* 1939

  • "Da ich sehr früh geheiratet habe und drei Kinder hintereinander, hatte auch etwas abgenommen, ich war abgearbeitet, und wurde sehr krank. Ich hatte Angst, Angst, Angst. Und das hatte keinen Grund. Wir sahen keinen Grund in meiner Umgebung weder beim Mann noch bei den Kindern, noch bei mir, dass ich eine Krankheit hatte, die mich hätte ängstlich machen können. Ich konnte in keinen Buss gehen, ich konnte kein Kino besuchen, selbst in der Kirche bekam ich Platzngst und dann bin ich zu einem Psychologen gegangen und der hat mich behandelt. Und der sagte unter anderem, ich wäre alt genug gewesen, um alles mitzubekommen, hier diese ganze Vertreibungsgeschichte, aber zu jung, um das zu verarbeiten, zu verstehen. Und dann haben sie mich zur Kurwerk geschickt. Jedenfalls habe ich lange Jahre gekämpft, dass ich diese Angst verliere. Das war nicht immer einfach für meinen Mann aber ich habe das dann geschafft. Und bis dann ein Arzt zu mir gesagt hat von der Krankenkasse: Fahren Sie so viel wie möglich in Ihre Heimat. Dann ging das ja. Dann können Sie das abarbeiten. Und ich bin ganz ehrlich, als ich gestern in einer Kirche war in Schwaden, da kamen mir schon wieder die Tränen. Ich bin noch nicht darüber weg. Und das passiert ganz vielen, wie dem alten Mann, der jetzt angerufen hat, der meinte es auch. Es gibt ganz viele Menschen in meiner Umgebung, Bekannte, wenn sie über die Heimat sprechen, auch die Tränen kommen. Es ist einfach so. Und ich würde nie sagen, Lüdenscheid ist meine Heimat, sondern da wohne ich, da fühle ich mich wohl, da haben wir was geschaffen. Meine Heimat ist hier, in dem Sudetenland ist meine Heimat. Ich komme nach Hause, wenn ich hier komme, obwohl ich zu jung war, aber es steckt in einem drinnen."

  • "Das war ziemlich schnell, meine Tante hat uns informiert. Die Grossmutter hat ja in diesen Schichtwerken gearbeitet und sie ist ganz schnell den oberen Weg gegangen, also einen Wiesenweg kann man sagen, einen Waldweg, weil das Haus, wo sie gewohnt hat, war im oberen Schwaden, in Oberdorf. Und die Tante hat unten gewohnt, in Unterdorf, und ist die Landstrasse lang gegangen und hat die Oma gesucht und als sie aber den Kravall gehört hat, ist sie umgedreht, ist wieder nach Hause gelaufen und hat dann ihre Mutter im Dorf besucht. Dort war ja Stille. Jetzt hatte ich ein Foto dabei und ich weiss ganz genau, dss eine meine Tante da umgekommen ist. Meine Grossmutter wäre nur beinahe gewesen. Die wäre umgekommen, wenn sie ein paar Schritte weiter zur Brücke gegangen wäre. Da haben sie lückenlos alle zusammen getrieben von beiden Seiten. Doktor Kaiser hat mir gesagt, es wären nicht so viele gewesen, obwohl alle das behaupten. Ich habe so ein dickes Buch: Zeitzeugenbericht, von 46 war das schon. Da haben sich schon Zeitzeuge gegeben. Die haben alle gesagt: Die Elbe wäre rot von Blut gewesen. Und in Sachsen sind auch welche angekommen."

  • "Warum bin ich zu der Sudetendeutschen Landsmannschaft gekommen? Ich habe einen Schulaufsatz in der Schule in Sachsen schreiben müssen: Meine Heimat. Das ist sehr wichtig. Und meine Grossmutter hat mir geholfen, weil ich ja wenig musste. Dann haben wir das schön beschrieben und zwei Tage später kommt der Lehrer, schmeisst mir das Heft hin und sagt: Thema verfehlt! Ich denke, was hab ich jetzt gemacht. Ja, du hättest müssen über Sachsen schreiben. Dann wüsste ich ja noch weniger. Ja, und so ist das gekommen, das hat mich so..und ich sage: Das ist aber meine Heimat. Und ich war ja von zu Hause auch so geprägt: Wir kommen zurück. Wir kommen in die Heimat. Wir müssen nur sehen, wo die Verwandten alle sind, die Bekannten. Wir kommen schon zurück. Du wirst schon sehen. Aber das ist ja nicht geklappt."

  • "Ich weiss nur, dass in Sebusein, als wir angekommen sind, wollte meine Mutter mit uns drei Kindern in die Elbe gehen. Wir wären nicht die Einzigen gewesen. Denn in dieser Zeit schwammen viele Frauen und Kinder zusammengebunden auch mit Eheleuten. Die schwammen in der Elbe. Das wurde mir dann erzählt. Und meine Mutter war auf dem Weg von der Grossmutter Haus zur Elbe runter. Die war ziemlich reissend, ja. An verschiedenen Stellen war sie ziemlich schnell. Und da haben wir eine Verwandte getroffen und Mutter hat sehr geweint. Und die Verwandte hat auf sie eingesprochen: sie sollte wieder zurückgehen mit den Kindern. Und das hat sie dann auch getan. Aber meine Mutter war sehr seelisch angeschlagen durch den kranken, blinden Grossvater. Sie musste schon mit zwolf Jahren arbeiten gehen, barfuss bei anderen Leuten Wäsche waschen. Sie war wirklich arm und der Opa hatte ja auch einen Blindenschein, dann konnte er betteln gehen."

  • "Als wir raus mussten, konnten wir unsere Möbel mitnehmen und meine Mutter hatte mir einen Spaten so hingesetzt, dass ich da drauf sitzen konnte, aus dem Wagen heraus. Und dann sah ich einen toten Soldaten im Strassengraben liegen. Mutter und Tante haben gerade auf die Elbe geguckt und ich hatte im Strassengraben einen Soldaten liegen gesehen. Das Gesicht war abgewandt von mir. Und nach Jahren ist ja ein Friedhof in Eger der deutschen Kriegsgräber eingeweiht worden und da habe ich ziemlich weinen müssen, weil ich immer an diesen toten Soldaten gedacht habe. Und dann habe ich mir vorgestellt während dieser Feierlichkeit, wo ja viele Nationen da waren, dass mein Soldat, den ich gesehen habe, dort mitbeerdigt wurde. Also das sind schon diese Erlebnisse, die kriegen Sie nicht raus, Sie müssen sich einfach Brücken bauen. Und dann haben wir auf diesem Weg nach Sebusein viele Tiere und auch Menschen in der Elbe schwimmen gesehen. Das haben wir gesehen, auch ich. Ich sah nur Gegenstände. Ich sah einmal eine Kuh, die ihre Beine hoch hatte. Ich glaube, das müssen Beine gewesen sein. Die sah ich wirklich. Und das andere, Menschgestalten. Was die im einzelnen hatten, ob die irgendwie verletzt waren, das war nicht zu sehen. Und Tante und Mutter haben sich noch, als sie sich wiedergetroffen haben nach dem Krieg, darüber immer unterhalten. Einige Sachen, die ich bis jetzt gesagt habe, habe ich wirklich gesehen. Und die schwimmenden Menschen und Tiere habe ich auch gesehen aber ich weiss nichts näheres. Ich habe die nicht körperlich direkt gesehen, den Körper wohl, aber nicht irgendwie ins Gesicht oder irgendwas."

  • Full recordings
  • 1

    Praha, 27.07.2020

    (audio)
    duration: 01:34:03
    media recorded in project The Removed Memory
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Ich bin das Kind eines Landes zweier Völker

Brigitta Gottmann, Prag, 2020
Brigitta Gottmann, Prag, 2020
photo: Natáčení

Brigitta Gottmann, geborene Kaschte, kam am 11. April 1939 in einer wenig begüterten Familie in Schwaden (Svádov) zur Welt. Im Krieg erwarb der Vater einen Posten als Bahnvorsteher in Großpriesen (Velké Březno). In der Dienstwohnung im Bahnhofsgebäude wohnten sie einige Jahre, ab 1944 nur noch die Mutter mit den drei Töchtern. Das Ende des Zweiten Weltkrieges erinnert Brigitta insbesondere in Verbindung mit diesem Bahnhof. Im April 1945 musste Brigitta mit der Mutter, Tante und den Schwestern die Wohnung verlassen und zur Großmutter väterlicherseits nach Sebusein (Sebuzín) ziehen. Die Mutter wollte nach der Ankunft in Sebusein mit den Kindern Selbstmord in der Elbe begehen. Am Ende überstanden sie einige Woche, die sie auf Erdbeerfeldern arbeiteten, und wurden über Zinnwald (Cínovec) ins Flüchtlingslager in Sachsen abgeschoben. Nach der Grundschule trat Brigitta eine Schlosser-/Drechslerlehre an. Danach wollte sie Landwirtschaft studieren, hielt aber nicht die Lehrfristen ein und floh zu ihrer Schwester in den Westen nach Lüdenscheid. Sie heiratete früh und bekam drei Kinder. Seit den 50er Jahren ist sie ein sehr aktives Mitglied der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Aufgrund der Geschehnisse in der Kindheit leidet sie an Ängsten und kehrt auf Empfehlung ihres Psychotherapeuten bis heute oft an ihren Geburtsort zurück. Mit Geldsammlungen bemühte sie sich um die Rekonstruktion der Schwadener Kirche und den Aufbau eines Hospizes. Bis heute initiiert sie Treffen zwischen Zeitzeugen und arbeitet auf der tschechischen Seite vor allem mit Kirchenräten zusammen.