Marie Zajíček

* 1927

  • Das war eine schreckliche Zeit nach Kriegsende. Mich haben sie einmal zu Gendarmarie gerufen, da bin ich hingegangen und ich bin hereingekommen und ich habe eine Ohrfeige bekommen. Ich hab nie bis zum heutigen Tag, weiß ich nicht warum. Ich weiß nicht, ich hab aber dann gesagt, wie alt ich bin von meinen Eltern hab ich nie bekommen, denn wir mussten folgen, deswegen brauchten die uns auch nicht hauen. Und da hab ich gesagt, von meinen Eltern hab ich nie eine Ohrfeige bekommen. Ich bin hereingekommen, ich wusste nicht einmal warum. Aber dann hat er es mir erzählt, dass wir bei Geburtstag waren, dass dort Deutsch gesungen wurde. Und da sag ich, dass ist aber auch nicht wahr. Ein Bäcker hatte einen Jungen, vielleicht um ein paar Jahre war er älter als ich, ich war dort und lauter Kinder, die in die deutsche Schule gegangen sind, vielleicht sieben waren wir dort, aber der eine hat nur gesungen 'Barcelona du allein', das war alles. Und da wurden wir über uns gelogen, die haben gesagt dass wir zusammen kommen, das wir wieder den Nationalsozialismus Empor heben wollen und solche Sachen.

  • Ich heiße Maria Zajíček und bin eine geborene Dudaerin. Datum wollen sie auch, am 9. November 1927 bin ich geboren. Das war während der Tschechenzeit. Wie ihnen schon bekannt ist, das Hultschiner Ländchen hatte jede Weile Änderungen. Und in der Zeit war es die Tschechische Republik und damals war ja auch der deutsche Privatunterricht. Also mein Vater, der hat in Deutschland gearbeitet und er hat immer gesagt: „Arbeit haben die hier nicht für uns, ihr werdet alle in die deutschen Schule gehen, ihr werdet alle Deutsch lernen“. Also ich mein halt, wir haben zu Hause nur Deutsch gesprochen. Also meine Brüder und ich wir sind in die deutsche Schule gegangen. Das zweite Schuljahr bin ich schon nach Troppain die Klosterschule gefahren, da war ich schon in der Klosterschule dort. No, und dann im Jahre 35, 36 hat der Benes die deutsche Schulen im Hultschiner Ländchen verboten. Die Lehrer mussten weg und wir sind dann in die tschechische Schule gegangen. Weil der Benes ein Gesetz herausgegeben hat, dass die deutschen Schulen nicht mehr existieren im Hultschiner Ländchen. Nur in Hultschiner Ländchen ? Also Hultschiner Ländchen hatte 38 Ortschaften. Und da bin ich in die vierte und fünfte Klasse bin ich in die tschechischen Schule gegangen. Also wir mussten alle gehen. Die Schule mit dem deutschen Privatunterricht wurde geschlossen und wir mussten in die tschechische Schule gehen.

  • ...und wir sind bis in der Nähe von Hohenmauth, Vysoké Mýto heißt das, da haben uns die Russen an der Straße überrumpelt. Und dort habe ich etwas erlebt. Die haben uns, die Leute von da, die Tschechen, das konnte ich nicht verstehen. Bei mir war immer jeder, jeder war ein Mensch, egal ob es ein Tscheche oder ein Deutscher war oder ein Engländer. Und da haben die uns bespuckt, mit Steinen beworfen, ich konnte das nicht verstehen, was eigentlich geschehen ist. Wieso sich die Leute so benehmen. No, und dann haben die uns so in der Nacht, es war so nachmittags halb fünf am 9. Mai und da haben die uns nach Holice ins Lager gebracht. Aber das musste ein Sportlager gewesen sein oder was. Wir haben da an der Erde /geschlafen/, dort waren Soldaten, deutsche Soldaten, dort waren Leute, dort waren Frauen, Kinder, Männer, auf der Erde haben wir geschlafen. No, und dort haben wir etwas erlebt. Dort sind die Russen dann gekommen in der Nacht und da kann ich mich erinnern und man konnte nicht schlafen, es war nicht möglich, die Nerven, man dachte an alles mögliche, die sind gekommen und haben die Mädchen rausgezogen. Und jetzt kam auch einer und der hat mich geschüttelt, der hat geglaubt ich schlafe, aber ich hab nicht geschlafen und da hat er gesagt 'Kommen sie mit mir', ich habe gesagt 'Ich hab keine Schuhe'. Da ist er gegangen und da hat er mir so solche Schuhe gebracht und ich bin vor ihm weggelaufen und ich hab den Mut gehabt und ich bin, dort war so ein kleines Zimmer, vielleicht die Hälfte wie dieses Zimmer und da waren vielleicht acht oder zehn Milizionäre und ich bin hineingegangen, ich hab mich entschuldigt, ich hab gesagt, um mich ist der Russe gekommen, der stand in der Tür, aber ich gehe nicht mit dem, ich hab angefangen Tschechisch zu sprechen, das war, die Sprache war, für sie war das, denn ich konnte das „R“ nicht aussprechen und das ist ein großer Fehler und da hab ich ihnen gesagt, ich gehe mit dem Russen nicht, die sollen mich hier erschießen, und dann meinen Eltern nach Bolatitz schreiben, die Adresse hab ich gesagt ich gebe ihnen die Adresse. Und das ist dann so alles. Dann ist der Russe weggegangen.

  • Full recordings
  • 1

    Bolatice , 01.05.2009

    (audio)
    duration: 02:35:19
    media recorded in project Sudetenland destinies
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Aber dann am 16. April, das vergesse ich nicht, kamen die Russen nach Bolatitz. Ich war damals nicht einmal 18 Jahre. Ich hab das nicht geglaubt. Ich hab geglaubt, Menschen sind Menschen, aber es war nicht so

Im Alter von etwa 18 Jahren
Im Alter von etwa 18 Jahren
photo: Privatarchiv Marie Zajíček

  Marie Zajíček wurde im November 1927 in Bolatitz [Bolatice] im Hultschiner Ländchen [Hlučínsko] geboren. Als sich die Lage im Mai 1938 zuspitzte, flüchtete die Mutter mit den Kindern ins Deutsche Reich. Nach dem Münchner Abkommen kehrten die Zajíčeks wieder zurück. Marie Zajíček besuchte nun eine deutsche Schule, danach ging sie in die Handelsschule in Troppau [Opava]. Nach Kriegsende wurde sie von Russen gefangen genommen und kam in ein Lager in Holitz [Holice]. Nach einem halben Jahr wurde sie in ein anderes Lager gebracht. Von dort ließ sie der Stadtkommandant nach Hause gehen. Ihr Haus in Bolatitz wurde in der Zwischenzeit zerbombt, doch kam sie bei einer Nachbarin unter, bis die Eltern zurückkehrten. Nach Kriegsende arbeitete sie im Büro einer Textilfabrik. Nur langsam verbesserte sich ihr Tschechisch. Daher wurde sie von ihrem Chef mit der Buchhaltung betraut – dafür waren Rechenkünste wichtiger als Sprachkenntnisse. 1949 heiratete sie, ihr Mann ist ebenfalls Deutscher. Sie bekamen zwei Töchter. Als praktizierende Katholikin hatte sie es unter dem Kommunismus zusätzlich schwer. Im Jahre 1992 gründete Marie Zajíček gemeinsam mit ihrem Mann den ersten deutschen Verband im Hultschiner Ländchen.