„Wir hatten das Glück, dass ein Nachbar von uns, sein Sohn war mein bester Freund, zur gleichen Zeit ausgesiedelt wurde wie wir und wir hatten praktisch das gleiche Waggon. Der Vater von meinem Freund war Eisenbahner, der kannte sich aus. Er hat manchmal von der Lokomotive heisses Wasser holen lassen in einem Kübel, und da hat man auch Kaffe gemacht. Essen gab es eigentlich keines, was man selber mitgenommen hatte vielleicht.“
„Und dann die ganze Nacht im Lager, am Boden gesessen, am Boden geschlafen. Am nächsten Tag gab es Apell, der Leiter vom Lager ist gekommen und hat die Angetretenen eingeteilt praktisch. Die einen sind in Kohlengruben gekommen, die anderen zu Bauern, die Frauen mit Kindern blieben im Lager. Wir sind also im Lager geblieben. Eine unliebsame Angelegenheit hat es auch gegeben. Ein deutscher Gastwirt hat gesagt, er kann nicht in die Kohlengruben, er ist herzkrank. Das hätte er lieber nicht sagen sollen, denn da wurde er zusammengeschlagen, bis er am Boden lag, ist dann praktisch weg getragen worden. Das alles weiss ich, es war ein furchtbares Erlebnis. Wir sind dann im Lager geblieben, nicht die ganzen vierzehn Tage sind wir dort geblieben. Inzwischen war der Wintereinbruch, es hat stark geschneit, und der Tscheche, der das Haus angeschaut hat und wahrscheinlich in das Haus einziehen wollte, ist nicht mehr eingezogen. Mein Onkel hat es dann mit dem tschechischen Bürgermeister vereinbart, dass wir wieder nach Hause konnten. Wir sind nach den vierzehn Tagen wieder in unser Haus eingezogen. Und da waren Weihnachten.“
„Eines Tages war es dann so, dass ein Tscheche zu uns gekommen ist, und wollte sich das Haus anschauen. Wir konnten nichts dagegen tun, es war ja alles verstaatlicht. Das wussten wir ja. Er hat sich das Haus angeschaut, und ist dann wieder gegangen. Und im November mussten wir auf einmal weg. Und zwar ist abends die Polizei gekommen und sagte: ‚So, morgen um sechs Uhr früh müssen Sie weg.‘ Wir konnten da 30 Kilo Gepäck mitnehmen pro Person. Meine Mutter und Grossmutter haben die ganze Nacht gepackt, das Notwendigste halt. Und in der Früh ist ein Fuhrwerk gekommen, wo wir draufgeladen worden sind, und zu der Sammelstelle gefahren bei der Glasfabrik im Ort. Wir hatten eine grosse Glasfabrik im Ort. Und von dort sind wir ins Lager nach Reichenau gekommen. Das war weniger schön muss ich sagen, weil wir da den halben Tag im Nieselregen auf dem Lagervorplatz gestanden sind und gegen Nachmittag, gegen Abend wurde dann unser Gepäck kontrolliert. Das war eine lange Tischreihe, wo das Gepäck dann ausgebreitet wurde, links und rechts standen die Tschechen und haben es weitergeschoben, haben es angeschaut, ob vielleicht da was Brauchbares dabei war, weiss ich nicht, und am Ende ist alles auf den Boden geworfen worden. Dort konnten wir es wieder einsammeln.“
Ich bin bereits in Österreich zu Hause, aber meine Leidenschaft für Glas kommt aus Gablonz
Herbert Reckziegel wurde 1934 in einer deutschen Familie in Paseky bei Jablonec nad Nisou geboren. Er wuchs jedoch in Lučany u Jablonce auf, wo sie außerhalb des Dorfes lebten und sein Vater Emil in seiner eigenen Glashütte arbeitete, während seine Mutter Elisabeth sich um den Haushalt und den Bauernhof kümmerte. Nur eine tschechische Familie betrieb in dem überwiegend deutschen Dorf einen Lebensmittelladen, und das Zusammenleben verlief ereignislos. 1939 meldete sich sein Vater mit sechsmonatiger Verspätung zur deutschen Armee, da seine Frau eine schwere postpartale Krankheit hatte. Er wurde vomn der Famile während des Krieges nur zweimal gesehen. Der kleine Herbert besuchte zunächst eine deutsche Schule, nach Kriegsende musste er auf eine tschechische Schule gehen, wo ihm Mathematik und Russisch am besten gefielen. Obwohl die Familie in einem Lager interniert war, wurde sie zunächst nicht deportiert, da die Eltern nicht in der NSDAP aktiv waren und der Onkel sogar ein Antifaschist war. Anfang 1946 erhielten sie jedoch die Nachricht, dass der Vater noch am Leben und in Österreich sei, und wollten zu ihm. Doch zunächst wurden sie im Juli 1946 nach Bayern deportiert, und Anträge auf eine Wiedervereinigung der Familie wurden strikt abgelehnt. In der Zwischenzeit hatte der Vater eine neue Glashütte in Oberösterreich gebaut. Schließlich gelang es der Mutter, den beiden Kindern und der Großmutter, mit Hilfe eines Jagdhauses, das halb in Deutschland und halb in Österreich lag, illegal nach Österreich zu gelangen. Die nächsten sechs Jahre lebte die Familie jedoch in einer Lagerbaracke in einem ehemaligen Arbeitslager, bevor es ihr gelang, ein eigenes Haus zu bauen. Nach und nach kamen zwei weitere Töchter zur Familie hinzu, und der junge Herbert erhielt eine gute Ausbildung und besuchte die Militärschule, wo er Radiotechnik studierte. Er interessierte sich jedoch nicht sehr für diesen Bereich und kehrte in den väterlichen Betrieb als Glasbieger und Glasschneider zurück. Als in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren Maschinen die Handarbeit der Glasmacher ersetzten, arbeitete er als Buchhalter. Er und seine Frau hatten drei Kinder, sechs Enkelkinder und drei Urenkel. Herbert Reckziegel kehrte Ende der sechziger Jahre zum ersten Mal in seine alte Heimat zurück, und auch seine Kinder besuchten von Zeit zu Zeit Böhmen, aber sie hatten keine Beziehung mehr zu ihrer alten Heimat. Sie alle betrachteten Österreich als ihre Heimat.