Dietrich Koch

* 1937  †︎ 2020

  • Der wichtigste Leipziger Schnittpunkt der gestigen und sonstigen kulturellen Geschichte Leipzig war verschwunden. In der Universitätskirche wirkte Johann Sebastian Bach und Felix Mendelssohn-Bartholdy. Sie war Ort von Uraufführungen beider Komponisten. Mit ihr ist das Deusche Geistesleben über Jahrhunderte verbunden. Unter anderem mit den Namen Tetzel Müntzer, Gottsched, Gellert, Goethe, Lessing, Fichte, Novalis, Wagner, Nietzsche, Reger, Carl Friedrich von Weizsäcker und Niemöller. Ich möchte noch hinzufügen, zu der Universitätskirche hatte ich eine persönliche Beziehung.

  • Vor allem über die groβe Hilfsbereitschaft, die mir im Westen von fast allen Seiten entgegenschlug habe ich mich sehr gefreut.

  • Ich bin aus der Haft in den Westen … Das war im Grunde eine doppelte Befreihung: einmal aus der Stasi-Haft und zum Zweiten aus der DDR. Im Westen musste ich mir erst ein neues Leben aufbauen.

  • Full recordings
  • 1

    Mülheim, Německo, 15.07.2019

    (audio)
    duration: 25:52
    media recorded in project Stories of 20th Century
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Der Nagel ist rausgefallen, löste den Faden auf und das installierte Plakat entrollte sich

Dietrich Koch
Dietrich Koch
photo: Pamětník

Dietrich Koch wurde am 27. August 1937 in Leipzig geboren. Er studierte an der Leipziger Karl-Marx-Universität Physik. Ab 1962 arbeitete er als theoretischer Physiker an der Deutschen Akademie der Wissenschaften der DDR in Leipzig. Am 30. Mai 1968 ließ die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) die spätgotische Leipziger Universitätskirche St. Pauli sprengen. Drei Tage vor der Sprengung wurde Koch bei einer Protestansammlung vor der Kirche von der politischen Kriminalpolizei ein erstes Mal festgenommen, worauf sein Arbeitgeber ihn fristlos entließ. Einen Monat später ließ eine Leipziger Dissidentengruppe während der Abschlussveranstaltung des Internationalen Bach-Wettbewerbes in der Leipziger Kongresshalle automatisch ein Plakat entrollen, das den Wiederaufbau der Kirche forderte. Den Zeitschalter hatte Dietrich Koch zusammen mit seinem Bruder Eckhard gebaut. 1970 wurde Koch wegen des Verdachts der Republikflucht ein zweites Mal verhaftet. Während dieser Untersuchungs-Haft erfuhr der Staatssicherheitsdienst der DDR (Stasi) durch Leichtsinn eines in den Westen geflohenen Mitglieds der Dissidentengruppe über die Beteiligung von Koch an der Plakataktion. Nun wurde Koch zusätzlich vor allem wegen dieser Plakataktion, aber auch wegen staatsfeindlicher Verbindungsaufnahme, staatsfeindlicher Hetze und staatsfeindlicher Gruppenbildung beschuldigt. Die Stasi versuchte mit ungeheurem Aufwand, ihn geständig-kooperativ zu machen und zu Selbst- und Fremdbezichtigungen zu erpressen. Sie täuschte, bluffte, drohte, erpresste, spielte die mitverhafteten Freunde gegeneinander aus, nutzte persönliche Schwächen aus und setzte Psychopharmaka ein. In ungezählten Verhören, ganztägig und öfter auch nachts, bezweckte die Stasi auch eine systematische Zersetzung der Person. Koch wehrte sich gegen diese totale Vereinnahmung durch die übermächtige Stasi und bewahrte seine menschliche Würde. Hilfreich war ihm dabei seine Verwurzelung in der Herrnhuter Brüdergemeine. Er weigerte sich in der dreiundzwanzigmonatigen Untersuchungshaft sich und andere zu belasten. Die Stasi ließ ihn zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilen mit anschließender unbefristeter Einweisung in die Psychiatrie. 1995 hat die Sächsische Untersuchungskommission seinen Fall als einen von politischem Psychiatriemissbrauch anerkannt. 1972 wurde Koch nach Westdeutschland abgeschoben, studierte Philosophie, promovierte und arbeitete als Philosoph an der Universität Essen. Nach der Friedlichen Revolution konnte Koch seine etwa 10.000 Seiten lange Stasi-Ermittlungsakte einsehen. Das Ergebnis dieser Forschungsarbeit ist sein Buch: „Das Verhör – Zerstörung und Widerstand“, 3 Bände. Es gilt als das Standardwerk zu den Verhörpraktiken der Stasi. Koch gehört zu den Ausnahmefällen, die ein Geständnis verweigerten. Er hielt deutschlandweit zahlreiche Lesungen und Vorträge. Als ehemaliger politischer Häftling der SED-Diktatur führte er an Schulen und politischen Bildungseinrichtungen etliche Zeitzeugengespräche durch. Koch brachte sich in die Walter-von-Baeyer-Gesellschaft ein, die den Opfern politischen Psychiatriemissbrauches hilft. Als Mitbegründer des Vereins „Pro Universitätskirche Leipzig“ erinnert Dietrich Koch seit vielen Jahren mit großem Engagement an die Zerstörung der Leipziger Universitätskirche und an den Widerstand dagegen.